Volltext Seite (XML)
7S7 ÄÄGbeilv W ZiWn AMzeitW Nr. 195. zu Nr. 268 des Hauptblattes. 1928. Seaustrog« mit der H-rauSgab- R-glnunM-« Beaus« In Dresden. Landtagsverhandlungen. 92. Sitzung. Dienstag, de« 15. November 1928. Stellv. Präsident v. Hickmann eröffnet die Sitzung 13 Uhr 5 Minuten. Am Regierungstisch die Minister Elsner, vr. v. Fumetti, vr. Kaiser und Weber sowie Regierungs- Vertreter. Es wird sofort in die Tagesordnung eingetreten. Punkt 1: Erste Beratung über den Antrag des Abg. Böttcher u. Gen. wegen: s) Streichung des 8 94 des Gesetzes über Arbeits vermittlung und Arbeitslosenversicherung, b) Auszahlung der Erwerbslosenunterstützung an die Ausgesperrten in der nordwestdeutschen Eiseniudustrie. (Drucksache Rr. 975.) Der Antrag Nr. 975 lautet: Die Unternehmerverbände haben mit den Mitteln des schärfsten Terrors im Ruhrgebiet eine Massen- aussperrung organisiert. Die Arbeiterschaft soll durch eine Hungerkur vollständig niedergezwungen werden. Zu diesem Zweck wird die Auszahlung der Erwerbs- lojenunterstützung an die Ausgesperrten verweigert. Nach den Meldungen vom 5. November hat der Vor- stand der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung eine Entscheidung gefällt, nach der die von der Massenaussperrung in der nord- westdeutschen Eisenindustrie betroffenen Arbeiter keine Erwerbslosenunterstützung erhalten dürfen. Die Kommunistische Landtagsfraktion hat bereits bei der Aussperrung in den Mitteldeutschen Stahl werken in Riesa und Gröditz zu Beginn dieses Jahres vom Landesarbeitsamt Sachsen die Auszahlung der Erwerbslosenunterstützung an die Ausgefperrten gc- fordert. Die neue Welle großer Wirtschaftskämpse fordert gebieterisch den Kampf gegen das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Die sächsischen Textilbarone rüsten ebenfalls zu einem neuen Schlag gegen dasTextilproletariat. Auch in diesenbevor stehenden sächsischen Textilarbeiterkämpfen muß sich die Arbeiterschaft durch die Auszahlung der ihr recht- mässig zustelienden Erwerbslosenunterstützung vor Aushungerung schützen. Der Landtag wolle beschließen: die Negierung zu beauftragen, 1. bei der Reichsregierung uno dem Neichsrat zu verlangen, daß der 8 94 des Gesetzes über Arbeits- Vermittlung und Arbeitslosenversicherung von: 16. Juli 1927 gestrichen wird; 2. bei der Neichsregierung dahin gehend vorstellig zu werden, daß die Erwerbslosenunterstützung an die AuSgcfperrten in der nordwestdeutschen Eisen industrie sofort mit rückwirkender Kraft zur Aus zahlung gelangt. Abg. Roscher (Komm. — zur Begründung): Vor ungefähr 14 Tagen haben die Ruhrindustriellen über 200000 Arbeiter auf die Straße geworfen. Dieser Aus- sperrungsfeldzug der Ruhrindustriellen ist der Anfang des organisierten Machtkampfes der Trusibourgeoisie, der darauf hinausführt, die Arbeiter vollständig dem Willen der Kapitalistenklasse zu unterwerfen. Mit diesen Aussperrungsmaßnahmen der Ruhrindustriellen solidarisiert sich vor allen Dingen die sozialdemokratische Koalitionsregierung. Die Reichsstelle für Arbeitsvermitt lung und Arbeitslosenversicherung hat bestimmt, daß die Ruhrarbeiter keine Erwerbslosenunterstützung be kommen, trotzdem sie an dem Zustande, daß sie nicht mehr arbeiten können, unschuldig sind. Die Kommu nistische Fraktion hat darauf den Antrag Nr. 975 ein gebracht: Wir sind nicht nur gegen den 8 94 des Er- werbslosenversicherungsgesetzes, sondern wir sind Gegner des Gesamtgesetzes, weil dieses Gesetz in seiner Aus wirkung nur gegen die Arbeiter gerichtet ist, was sich besonders zeigen wird, wenn wir in eine größere Wirtschaftskrise hineingeraten werden. Dann werden wir erleben, daß das Unternehmertum mit Hilfe dieses Arbeitslosenversicherunzsgesetzes durch den Staat die Arbeiter zugetrieben bekommt, vor allen Dingen die Arbeiter, die nach längerer Erwerbslosigkeit nicht mehr Erwerbslosenunterstützung erhalten und auf die Wohlfahrtsunterstützung angewiesen sind. Die Unter nehmer werden dann, wie wir das auch im Jahre 1926 gesehen haben, bereit fein, die Betriebe zu öffnen, und werden die Bedingung stellen, daß die Arbeiter zu dem von ihnen festgesetzten Lohnsätzen arbeiten müssen, wie wir das schon im Jahre 1927 in Thüringen gesehen haben. Wir müssen feststellen, daß da- Unternehmer tum schon seit Jahren die Machtkämpfe, die jetzt ein geleitet werden, mit dem Kampfe in Nordwest-Deutsch land vorbereitet hat, der nun mit aller Wucht gegen die Arbeiterklasse geführt wird. Dabei kommt der ge samte Staatsapparat dem Unternehmertum zu Hilfe. Die Arbeitsgerichte, von denen die Sozialdemokraten der Meinung sind, daß mit ihnen die Arbeiter ihre Rechte erstreiten sollen, stellen sich auf die Seite der Unter nehmer und alle Urteile, die gefällt werden, fallen im Interesse des Unternehmertums aus. . Der Machtkampf, der jetzt in Nordwest-Deutschland vom Unternehmertum eingeleitet worden 1.1h gibt den Arbeitern einen kräftigen Anschauungsunterrlcht, ww die Arbeiter künftig bei ihren Forderungen auf höhere Lohne und Verkürzung der Arbeitszeit ihre Kämpfe vorbereUen und organisieren müssen. Das Unternehmertum fühlt slch so stark in seinem Kampfe gegen die Arbeiterklasse, weil die Gewerkschaften immer wieder zum Ausdruck bringen, daß sie für den Wirtschaftsfrieden sind und sich für eine Verständigung einsetzen, daß sie alles tun wollen, um wirtschaftliche Katastrophen zu verhindern. Tagegen nützen alle Beteuerungen der Gewerkschaftsführer, wie sie hier in der Gewerkschaftszeitung stehen, nichts. Die freien Gewerkschaften haben i« einer Erklärung aus drücklich betont, daß sie sich trotz starker Bedenken wegen der relativ geringfügigen Lohuzulage und der langen Arbeitszeit zur Annahme des Abkommens entschlossen haben, um der deutschen Wirtschaft den schweren Kampf zu ersparen, der infolge der Aussperrungsmaßnahmen der Unternehmer bei Ablehnung des Schiedsspruches auch durch die Gewerkschaften unvermeidlich geworden wäre. Das nützt das Unternehmertum aus und geht aufs Ganze. Der Reichsarbeitsminister, der Sozial demokrat Wissell, hat in seiner Rede im Reichstag sich mehrfach in dieser Richtung ausgesprochen. Wissell will die Arbeiter festlegen, damit dann die Arbeitsgerichte zugunsten der Unternehmer die Arbeiter unterdrücken helfen können. Aus allen diesen Dingen geht hervor, daß die Ge- werkichaftsführer mit Absicht die Arbeiter dem Machtwillen der Kapitalisten unterwerfen wollen. Das ist auch der Plan des Trustkapitals, in engster Fühlung mit den Gewerkschaften die Arbeiter zu unterdrücken; denn anders wird es ihnen nicht gelingen, wenn sie nicht die notwendige Hilfe dersogenanntenArbeiterführer haben. Esnütztnichts, wenn der „Vorwärts" darüber hinwegzutäuschen sucht und der Meinung ist, daß der Kampf des Großkapitals ein Kampf gegen die Staatsmacht sei. Wie will dies ein Kampf gegen die Staatsmacht sein, da der Staat vor allen Dingen ein Apparat im Dienste des Kapitals ist, der vollständig dem Willen der Bourgeoisie Rechnung trägt! Wir müssen feststellen, daß auch die Negierung und die sozialdemokratischen Minister bereit find, fich dem Willen der Kapitalisten vollständig zu unterwerfen. Die Brauchbarkeit im Dienste des Kapitals haben die sozialdemokratischen Minister auch in ihrer Zustimmung zum Panzerkrcuzerbau gezeigt. Heute beginnt im Reichs tag die Aussprache über den sozialdemokratischen Antrag gegen den Panzerkreuzerbau. Der deutschnationale Reichspräsident hat sich die redlichste Mühe gegeben, den Versuch zu machen, daß im Reichstag eine Mehrheit zur Bewilligung der Mittel zum Panzerkreuzerbau möglich wird; er hat sich mit den Deutschnationalen in Verbindung gesetzt, und die Deutschnationalen haben zugesagt, daß sie für die Mittel stimmen werden. Also der Reichspräsident will den Sozialdemokraten ihr Täuschungsmanöver so leicht wie irgend möglich machen. Aber er hat zu gleicher Zeit versucht, mit den sozial demokratischen Ministern in Verbindung zu treten, um sie zu überreden, daß sie sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten sollen. Der Reichskanzler Müller hat sich bereits in ähnlicher Weise geäußert, weil der Reichswehrminister droht, daß er, wenn die sozialdemo kratischen Minister gegen den Panzerkrcuzerbau Stellung nehmen würden, von feinem Posten zurücktreten will. Hindenburg hat aber ein großes Interesse daran, die sozial demokratischen Minister unter allen Umständen in der Re gierung zu erhalten, und es wird ihm auch gelingen, daß die sozialdemokratischen Minister sich dem Willen des Reichspräsidenten fügen werden. Es wird alles nichts helfen, was die linken Sozialdemokraten an Vorschlägen zu dieser Frage zum Ausdruck bringen und gebracht haben. Nun, warum Hindenburg so großen Wert darauf legt, die sozialdemokratischen Minister unter allen Umständen in der Regierung zu erhalten, das liegt daran, daß Hindenburg nur im Auftrage der Bourgeoisie seine Aufgabe erfüllt. Die Bourgeoisie braucht die sozial demokratischen Minister, weil es ihr dadurch viel leichter gelingt, die Arbeiter niederzuhalten, weil es ihr so leichter möglich ist, gegen die Arbeiter vorzugehen, um so leichter die Arbeiter zu täuschen. Denn neben den SPD.-Ministern stehen die Gewerkschaftsführer, die un bedingt für Erhaltung des Wirtschaftsfriedens sind, und diese brauchen zur Erhaltung des Wirtfchaftsfriedens unbedingt die Unterstützung des Ministeriums, was ihnen nicht in der Weise gelingen würde, wenn andere Minister an dieser Stelle wären, wenn sie es mit deutschnationalen Ministern zu tun hätten. Gestern bekamen wir die Mitteilung, daß das Reichs versicherungsamt ein Urteil dahingehend gefällt hat, daß in der Streitigkeit im Streikgebiet in bezug auf die Auszahlung der Erwerbslosenunterstützung die Unter stützung nicht bezahlt werden darf. Wir glauben, daß eS notwendig ist, daß die Arbeiter dagegen ihre Reihen organisieren, um diesem Stoß des Unternehmertums den Gegenstoß entgegenzustellen. Das wird unbedingt notwendig sein, denn auf Grund der Vermittlung-- aktionen, die die Gewerkschaftsführer ankündigen, auf Grund der Tatsache, daß die Minister der Meinung sind, daß Ruhe und Ordnung unter allen Umständen aufrechterhalten werden muß, ist doch ganz klar, daß der Machtdünkel der Unternehmer aanz gewaltig ge- stemert wird und die Arbeiter in die Defensive gedrängt und unter solchen Verhältnissen aus diesem Kampfe als Unterlegene hervorgehen werden. Wenn wir einen Antrag hier eingebracht haben, so bringen wir damit nicht zum Ausdruck, daß wir zu diesem Landtage das Vertrauen haben, als fei er bereit, Kiefen unseren Antrag anzunehmen. Wir sind der Meinung, daß, wenn der Landtag zu solchen An trägen Stellung nehmen muß, dann außerparlamenta rische Aktionen eingeleitel werden müssen, durch welche dieser Landtag unter Druck gestellt wird. Den Be- schluß, den die Trust-Bourgeoisie erneut gefaßt hat, die Aussperrung der Arbeiter zu erweitern, ist für die Arbeiter ein verschärftes Kampssignal, und die Arbeiter müssen jetzt mit allen Mitteln versuchen, die Kampf reihen zu organisiere»:, nicht nur unter den gewerk schaftlich organisierten Arbeitern, sondern es »st not wendig, daß auch die unorganisierten Arbeiter in die Kampfreihen einrangiert werden, es ist notwendig, daß die Einheit aller kämpfenden Arbeiter unter allen Um ständen hergestellt wird, um so eine gemeinsame Front gegen den Machtwillen der Unternehmer zu bilden, damit es dein Unternehmertum nicht gelingt, seinen Kampf zum Siege zu führen. Wir müssen feststellen, und das haben wir drüben im Erzgebirge gesehen, daß das Unternehmertum zahlen kann, wenn es nur will. Drüben im Erzgebirge entwickelt sich ein Kraft werk, das DKW-Werk, in der nächsten Zeit wahr scheinlich zum größten Motorenwerk Deutschlands. Tort besteht ein Tarif von 64 bis 66 Pf. Der Unternehmer zahlt den Arbeitern 20 bis 25 Pf. über dem Tarif, wenn sie sich bereit erklären, ihre Zu gehörigkeit zur Gewerkschaft aufzugebeu. Das zeigt also, daß das Unternehmertum zahlen will und kann, die Gewerkschaftsführer aber absolut keine Lust haben, ihre Forderungen so hoch zu stellen, wie sie das Unter nehmertum tatsächlich bewilligen kann. (Abg. Dobbert: Mensch, müssen Sie ahnungslos sein!) Die Folge ist, daß die Arbeiter cs für gleichgültig halten (Lachen b. d. Soz.), ob sie in der Gewerkschaft sind oder nicht. Natürlich benutzt der Unternehmer diese Maßnahmen, um die Reihen der organisierten Arbeiter zu lichten (Abg. Dobbert: Und Ihr helft mit daran!), um dann um so kräftiger feine Schläge gegen die Arbeiter zu führen und dann das, was er ihnen bis jetzt mehr ge zahlt hat, doppelt und dreifach wieder herauszuholen. (Abg. Kautzsch: Mit Euerer Hilfe!) In dem Vorgehen des Unternehmertums gegen die Arbeiter liegt eine Planmäßigkeit, die die Gewerkschafts führer nicht erkennen wollen (Lachen b. d. Soz.), aus ihrer Einstellung heraus nicht erkennen wollen, in ihrem Streben unter allen Umständen den Wirtschaftsfrieden zu wahren. Nur wenn der Wille der Arbeiter im Kampfe maßgebend ist, wenn die Arbeiter sich nicht dem Willen der Gewerkschaftsführer beugen, können die Arbeiter in ihren Wirtschaftskämpfen siegreich sein. Diesen gegenwärtigen Kampf zu organisieren, nicht nur die Einheit unter den im Kampfe stehenden Arbeitern herzustellcn, sondern darüber hinaus auch die Einheit der gesamten Arbeiterklasse zu schassen, um Unter- stützungsaktionen für die kämpfenden Arbeiter ein zuleiten, ist dringend notwendig. Eine Niederlage der Arbeiter würde bedeuten, daß die Offensive des Kapitals übergeleitet würde auf alle Industriezweige. Gegen wärtig befinden wir uns vor Lohnkämpfen der Textil arbeiter. Die Gewerkschaftsführer haben sich mit den Forderungen, die die Industriearbeiter in den Betrieben gestellt haben, nicht einverstanden erklärt. Sie sind der Meinung, daß 10 Pf. entgegen 20 Pf. Forderungen ausreicheu und daß für die Frauen 8 Pf. genügen. Natürlich, wenn marr solche Forderungen aufstellt, dann ist es sehr leicht, wenn es zu Verhandlungen kommt, eine Vereinbarung mit dein Unternehmertum zu treffen und dann den Arbeitern vorzulegen: wir wollen lieber das kleine Übel nehmen, als daß wir dann durch das rigorose Vorgehen der Kapitalisten einen Zustand schassen, der für die Arbeiterklasse verhängnisvoll werden kann. Das sind immer die Methoden, mit denen das Unternehmertum arbeitet. Je mehr die Gewerkschafts führer Wert darauf legen, auf friedlichem Wege alle Streitigkeiten zwischen Unternehmern und Arbeitern aus dem Wege zu schaffen, um so mehr ist das Industrie- kapital bereit, den Gewerkschaftsführern auf Grund ihrer großartigen Stellungnahme volles Lob zu spenden Wir werde»! mit allen Mitteln daraus hinarbeiten, den Arbeitern klar zu machen, wie sie ihre Kämpfe künftig führen müssen. Wir werden darauf hin- arbeiten, den Arbeitern klar zu machen, daß sie die Kämpfe nur gestützt auf ihren Willen führe»» können, daß sie nicht auf dem Wege des Wirtfchaftsfriedens, wie die Sozialdemokraten es anstreben, ihre Lebenslage verbessern können, sondern daß sie nur in Verbindung mit der Kommunistischen Partei (Lachen b. d. Soz.) unter Bildung revolutionärer Streikleitungen in der Lage sein werden, ihre Forderungen im Kampfe durch- zusetzen, so daß sie dadurch in der Lage find, den Machtwillen der Bourgeoisie zu brechen. (Lachen b. d. Soz.) Nur so — und die ganze jüngste Vergangenheit hat gezeigt, wohin die Politik der Gewerkschaftsführer die Arbeiterklasse führt —, gestützt auf den revolutio nären Willen, kann die Arbeiterklasse ihren Sieg über die Bourgeoisie erringen. Ich beantrage, daß unser Antrag sofort in Schluß- beratung genommen wird. (Beifall b. d. Komm.) Hierauf wird in die Aussprache elngetreten.