Volltext Seite (XML)
8MMU M AM AtzeitW Rr. 182. t« Nr. 31 dr« Hauptblattes. 1928. Beauftragt mit der Herau-gabe ReglerungSrat Brauhe in Dresden. L>n»l»Mtrh«ndl«njen. (Fvrtsctznng »er bS. Sitzung vv« T-n«er»t«g. de« 2. Februar 1928.) Abg. Reuuer (Komm.): Ich habe schon vorhin bei -er kurzen Berichterstattung über den Antrag Nr. 421 darauf hingewiesen, daß die heute zur Beratung stehenden Mieteranträge auf eine ziemlich lange Ver schleppung -urückblicken: daran baden besonder- die jenigen Parteien teil, die heute hier vor Mieterfreund- Iichkeit üversließen. Herr Aba. vr. Bünger hat sehr stark in den Vordergrund geschoben die Frage der unbedingten Notwendigkeit de- sreizügigen Markte-, der schrittweisen Aufhebung der MieterrechtSbeschränkungen, der Zwangsverordnungen, der Zwangsbestimmungen und hat darauf hingewiesen hat, in Anknüpfung an die Erklärung de- Regierung-- Vertreters, daß nur durch die Aufhebung der Zwangs wirtschaft auf dem WohuungSmarkte der Wohnungsnot gesteuert werden könnte, und daß dann eine größere Möglichkeit zur Beschaffung von Wohnräumen vorliegen würde. Da muß man von Anfang an ganz klar unterstreichen, daß bei dem Stande der Dinge die bürgerliche Gesellschaft überhaupt nicht in der Lage sein wird, die jetzt bestehende Wohnungsnot auch nur noch im' geringsten zn beheben und zu beseitigen. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Man sagt, es würde kein Geld im Wohnungsbau an gelegt werden, wenn nicht eine Freizügigkeit in den Wohnungsmietcn einträte. Dazu muß man zuerst ein mal feststellen, daß das Reichsmietengesetz auf diejenigen Wohnungen beschränkt ist, die vor dein 1. Juli 1918 erbaut worden sind, und daß die Neubauwohnungen nicht unter diese Mieterschutzbestimmungen und damit auch nicht unter die Mietfestsetzungen fallen, daß infolge dessen bei diesen Renbauwohnungen der Mietwucher in weitem Umfange bemerkbar ist und daß die Dinge praktisch so liegen, daß das Gros der Wohnungslosen in diese Neubauwohnungen nicht einziehen kann, weil cs nicht die Möglichkeit hat, die Mieten aufzubringen, die dort gefordert werden. Ich brauche nicht noch ein mal auf den durch die Erklärung deS Herrn Riemer und der Hausbesitzer-Vertreter unterstrichenen Grundsatz hinzuweisen, daß das Kapital nur dort Geld anlegt, wo e- große Gewinne damit machen kann. Die Spekulation deS PrwatkapitalS und der WohnunaSbauspekulanten ist ganz offensichtlich. Die ausdrücklich festgesetzten Zwangsbestimmungen für die Miete, die eine Wirt- fchaftliche Notwendigkeit für den größten Teil der Mieter sind, drücken darauf, daß die Mietpreise der anderen Sette nicht allzuhoch werden, wirken aber auf der anderen Seite auch darauf hin, daß das Gro- der arbeitenden Masse nych in Wohnungen wohnen bleiben kann, in denen eS früher gewohnt hat. Wenn eine Aufhebung der Zwangsbestimmungen eintritt, würbe das ein allgemeines Heraufsetzen der Mieten bedeuten. Das bedeutet aber auch, daß die wohnungslosen Mieter nicht Unterkommen könnten, weil sie auch dann nicht in der Lage sein werden, den Mietforderungen zu ent sprechen. ES würde ein hemmungsloser und schonungs loser Mietwucher einsetzen, der gleichzeitig mit einer iveiteren Steigerung der Baurohstoffe verbunden wäre. Das würde wieder dahin führen, daß die Wohnungen, die noch gebaut werden, und auch die schon vorhandenen leer stehen müßten und die große Menge keine Woh nungen hätte, sondern weitere Zwangsguartiere und Baracken geschaffen werden müßten. Unterstreichen muß man die Tatsache, daß man sich in Dresden zur Durchführung eines Wohnungsbau programmes unter Zustimmung der übergroßen Mehr heit des Dresdner Ratskollegiums dazu entschlossen hat, durch eine sogenannte Wohnungsbauaktiengesellschaft Wohnungen erstellen zu lassen, die Gelder von privater Seite zum Wohnungsbau verwenden will. Man will die MietzinSsteuer nicht mehr zn Bauzwecken verwenden, sondern zur Verzinsung der in die Bauten hineln- gesteckten Privatkapitalien. Heute ist ein ganzes Jahr vergangen, aber aus dem Dresdner Projekt, das damals die begeisterte Zustimmung der Sozialdemokraten ge sunden hat, ist noch nichts geworden. Es zeigt sich, daß cs sich bei dieser Frage für die Bürgerlichen nicht darum handelt, wie man der Wohnungsnot abhelfen kann, sondern nur darum, wie man dem Privatkapital Profit verschaffen kann. Ich habe vorhin durch einen Zwischenruf schon unterstrichen, als Herr Müller-Planitz auf die Haltung der Demokratischen Partei zu einem hier im Landtage stehenden Anträge eine Forderung an die Regierung stellte, daß Herr Müller-Planitz sehr naiv war, wenn er angenommen hat, daß die Demo kraten aus den ihnen angegebenen Gründen gegen den Antrag gestimmt hätten, nämlich, weil sie glaubten, daß die Regierung ihre Versprechungen durchführen werde. Das ist auch sehr bezeichnend, wenn ausgerechnet Herr vr. Kastner herauftritt und eme Rede für den Schutz der Gewerbetreibenden hält, und wenn dann seine Partei die Koalition des Mietwucher- und die Ber- nichtung einer Anzahl Existenzen der Gewerbetreibenden unterstützt. Dann hat Herr Abg. vr. Bünger noch einen Versuch gemacht; er hat so mit einem halben Auge nack links hinüberschielend erklärt, daß diejenigen Kreise, die von der Verordnung de- ehemaligen Herrn Justizminister betrosfen werden, doch Kreise au- der bessergestellten Kaufmannschaft seien: und er hat da wahrscheinlich darauf spekuliert, daß daun ein Vorteil für diese Gewerbtreibendenkreise nicht eintreten wird, und daß wir daun nicht so eigentlich Stellung nehmen könnten gegen diele Verordnung der Regierung, weil sie ja doch die von uns in erster Linie vertretenen Kreise nicht trifft. Ich weiß nicht, ob das so die Ausführung sein sollte, aber man muß doch den Anfängen wehren und dem ersten Schritt wehren, weil der zweite sehr bald nachfolgen wird. Ich will das jetzt gleich sagen, wie die Dinge mit Ihrer Verordnung zusammenhüngen. ES steht in der Verordnung ausdrücklich darin, daß dort, wo Verträge neu abgeschlossen werden für Gewerberaummieter, sie heranSlallen. Also wenn nicht durch die Verordnung eine große Anzahl von Gewerbe raummietern gezwungen wären, neue Verträge ab- zuschließen, oder in der Verordnung nicht eine Höchst grenze festgesetzt wäre, über die hinaus den Gewerbc- raummietern gekündigt werden kann, so daß die Haus besitzer diese Gelegenheit benutzen, um die KündigungS- liiaßnahmen einzuleiten bzw. durchzuführen, dann würde die Wirksamkeit des neuen Beschlusses sehr begrenzt bleiben. Aber Ihre Verordnung ist ein Entgegen kommen an diesen Beschluß, und wenn der Herr Justiz- Minister v. Fumetii diesen Beschluß aufrechterhält, so bedeutet das faktisch ebenfalls ein solches Entgegen kommen an den Beschluß. Als vor etwa 4—5 Wochen schon einmal diese Frage im Rechtsau-schuß behandelt wurde, wurde damals vom Regierunasvertreter erklärt, der Regierung liege noch gar kein Material vor. (Hört, hört! b. d. Komm.) AIS beim letzten Male die Frage im Rechisausschuß be sprochen wurde, Mittwoch vor acht Tagen, erklärte der Regierung-Vertreter bekanntlich, daß der Regierung neuerdings das Material vorliege, daß sie aber noch leine Zeit gehabt habe, das Material zu prüfen. Ter Herr Abg. Enterlein stützt seine ganze Politik deS Miet wuchers überhaupt darauf, daß nur seyr wenige Leute bei der Geschichte bankrott werden. Ich habe Material, bas natürlich auch noch nicht erschöpfend und aus reichend ist, aber es liegen uns 126 Fälle aus Chemnitz vor, in denen überall Kündigungen eingesetzt haben, die darauf basieren, daß die Verordnung des Ministeriums die Möglichkeit dazu gibt und daß die Hausbesitzer Wuchermieten fordern, die die Ladeninhabcr nicht be zahlen können (der Redner führt einige Fälle an). Wenn man zu Mietersraaen jetzt im sächsischen Landtag Stellung niinmt und zu der Mieterverord- nung, die diese WohnungSkündigungen nach sich zieht, jo muß man zuerst immer wieder auf das Ver halten der angeblich jo mieterfreundlichen Aufwer- iung-partei Hinweisen. Nachdem sie in der letzten Sitzung erst wieder einen Antrag vertagt hat (Hört, hört! b. d. Komm.), überfüllt sic heute den Landtag wieder mit einem neuen Antrag. Da- ist doch mehr wie ein spiel, das ist eine Demagogie gegen die Mieter. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Die Aufwertungspartei hatte einen Antrag eingebracht, in dem sie verlangte, daß die Mietgrenze, über deren Höhe hinaus erst eine Sün- digung eintreten darf, höher gesetzt wird, alS das jetzt in der Verordnung der Fall ist, und sie fordert in dem Antrag, daß du» Miete festgesetzt wird in den Städten Dresden nnd Leipzig auf 4000 M , in den anderen Orten der Ortsklasse auf 3500 M., dann auf 2500, 1500 und 1000 M. Dieser Antrag aber hätte zum mindesten Erschwerungen gebracht und den Krei der Betroffenen noch mehr verringert. Was haben sie aber gemacht- In der RechtsauSschußsitzung kurz vor der Abstimmung über diesen Antrag hat Herr Abg. Göttlmg die Vertagung dieses Antrages selbst beantragt. (Hört, hört! b. d Komm.) Mit diejer Regelung wird auch der Antrag charakterisiert, der uns heute auf den Tisch des Hauses geworfen worden ist, nämlich der Antrag, der verlangt, daß die Regierung ersucht werden sott, die Verordnung über die Lockerung der Wohnungszwangswirtschaft vom 6. April 1927 auf begründete Beschwerde hin örtlich begrenzt ganz oder teilweise aufzuheben; sofern sich bereits cingegangene Beschwerden als begründet er- weisen sollten, ist der Aufhebung rückwirkende Kraft auf ausgesprochene Kündigung zu verleihen; ferner ist das Material dem Landtage baldigst vorzulegen. Auch in dieser Frage hat ja Herr Abg. Bünger die Rolle der Aufwertungspartei schon zur Genüge gekennzeichnet, indem er hier feststellte, daß sic ja diesen Antrag erst gebracht haben, nachdem sich alle Koalition-Parteien über eine solche eventuelle Regelung einig waren. In der letzten Sitzung des RcchtsauSschusse- hat Herr Ministerial rat vr. Zieger eine Erklärung abgegeben, in welc. er steht, daß die auf Grund der Verordnung bei dem be teiligten Ministerium eingeaangenen Beschwerden zahl reich geworden seien, und daß die Regierung nun erwägen bzw. prüfen wolle, ob die Verordnung der Regierung örtsich begrenzt, aufgehoben oder eingeengt werden kann. Also wenn die BolkSrechtler uns hier einen solchen neuen Antrag hinlegen, nachdem sie ihren eigenen positiven Antrag nicht zur Abstimmung gebracht haben, dann charakterisieren sie damit nur, daß sie nichts weiter wollten, alS eine Irreführung der davon betroffenen Mieterschaft. (Lebhafte- Sehr richtig! links. — Wider spruch b. d Vp.) Ich möchte dann noch eine Bemerkung machen zu den Ausführungen des Herrn Abg Müller-Plani- über die Haltung zur Sozialdemokratischen Partei m Preußen. Ich weiß, daß da- der Sozialdemokratischen Partei nicht sehr angenehm wenn hier dn Landtage ^kündig gesagt werden muß, daß ihre Rolle in Preußen analog der der «SP. oder der Aufwertler oder der Demokraten hier in Sachsen ist. Nicht anders als wie die ASP, die Aufwertler und Demokraten, die die Interessen der Mieter verraten, handelt die Sozialdemokratische Partei in Preußen. Die neue Erklärung, die die Regierung abgegeben hat, bedeutet nicht- andere- als ein demagogisches Manöver gegenüber der Mieterschaft. Wenn die Aufwer tung-Partei ernsthaft die Interessen der Mieter vertreten wollte, dann hätte Herr v. Fumetti un- nicht ankündigen dürfen, daß er in Erwägung und Prüfung ziehen wird, dies und jenes zu tun, sondern dann hätte er diese- und jenes tun müssen, dann wäre das ein positiver und praktischer Schritt gewesen. Der Herr Abg. vr. Bünger hat sowohl hier im Hause als auch im Ausschuß das hohe Lied der frei willigen Schiedsgerichte gesungen, und er hat auch vorhin wieder ein besonoeres Loblied auf die frei willigen Schiedsgerichte anaestimmt. Die freiwillige Verständigung, von der dabei die Rede ist, wird so aussehen, daß dort, wo jetzt 3600 M. Miete bezahlt wurden, der Hausbesitz dann 8—10000 M. Miete fordert, und cS wird eine Verständigung auf der mitt leren Linie yerauskommen, daß die Miete nicht auf 10000 M. steigen wird, aber doch auf 7000 M. (Zuruf b. d. Soz.: Das ist ja jetzt schon gang und gäbe!) Mau hat absolut nicht die Absicht, gegen den Mietwucher aufzutreten und sich dagegen zur Wehr zu setzen. Solange die Mieter nicht begreifen, daß ihr Kamps gegen den Mietwucher und die Wohnungsnot ein aus gesprochener politischer Kampf ist, werden sie die Ver hältnisse nicht ändern und werden sich im Schlepptau wlch schwankender Parteien mit ihren demagogischen Manövern befinden, wie sie von diesen kleinen Zwischen und Mittelparteien gemacht werden. Abg. Hentschel (Wirtsch): Es vollzieht sich in Sachsen gegenwärtig der Vorgang, den Preußen, Bayern, Württemberg, Baden nnd andere deutsche Staaten schon durchgemacht haben: man ist zu der Überzeugung gekommen, daß die Wohnungszwangswirtschaft nicht daS Heiimittel ber Wohnungswirtschaft darstellt. Preußen, das vorangegangen ist unter Führung von Hirtsiefer, ist in seinen Verordnungen viel weiter als Sachsen gegangen. Run ist es so, daß wir erst einmal ihre Anschauung darüber richtigstellen müßen, wie die Reichs- partci de- Mittelstandes sich zur ganzen Bohnungs politik stellt. Sie nehmen sich immer zur Aufgabe, das Programm, das wir haben, zu interpretieren; ich will das auch einmal selber, und zwar vom Standpunkt meiner Partei aus tun. Wir stehen arundjätzlich auf dem Standpunkt, daß die Privatwirtschaft unter allen Umständen gegen die Idee der Allgemeinwirtschaft geschützt und ausrechterhaltcn werden muh. (Sehr richtig! b. d. Wirtsch.« Wir stehen weiter auf den, Standpunkt, daß die Auffassung, wie sie in Art. 153 der Verfassung über das Eigentnm zum Ausdruck gebracht ist, nicht richtig ist. DaS Vorhandensein der ReicvSpartei des Mittelstandes ist in erster Linie zurückzuführen auf die Bestimmungen, die in der Verfassung über das Eigentum stehen. Gerade in diesen Bestimmungen seben wir eine ernste Bedrohung der kleinen mittelständischen Existenzen. Wir stehen nicht auf dem Standpunkt, den man uns gern unterschieben möchte, nämlich, daß wir unter allen Um ständen sofort die freie Wirtschaft in, Wohnwesen herbeiführen wollen. In Sachsen kommen Anträge, daß die Lockerungs- Verordnung vollständig aufgehoben werden soll. DaS Justizministerium hat ja in seiner Erklärung zum Aus druck gebrecht: cs will die Verhältnisse genau prüfe» und abwägen. Ich kenne Anträge, die unmittelbar nach dem Erlab der Verordnung schon da waren. Welches sind nun die Motive, die dahinterliegen? Wenn man die Frage ausrollt: war die Wohnungszwangswirtschaft überhaupt notwendig?, dann können nur ohne weiteres, wenn wir die Verhältnisse von Ende 1918 ansehen, die Überzeugung gewinnen, daß es nicht notwendig war. Wir hatten eine Wohuungsreserve von 280000 Woh nungen. Aber es lag das neue Prinzip der ganzen wirtschaftlichen Entwicklung zugrunde, und dieses neue wirtschaftliche Prinzip läßt es heute nicht dazu kommen, nun einem Gedanken zuzustimmen, der allmählich unter vollständiger Abwägung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Mieter und Vermieter zur freien Wirtschaft hinüberführt. Es wird immer mehr das Interesse lebendig, daß man die Wohnungszwangs^ wirtfii ast verewigt, daß man ein großes Gesetz schafft, das über die Zeit hinaus dauert, das die Grundlage für Jahrzehnte und Jahrhunderte weiterhin im Woh nungswesen geben soll. Ganz besonders durch die Stel lungnahme, die Herr Ministerialrat vr. Zieger in Berlin im Wohnungsaueschuß eingenommen hat, ist diese Frage allgemein in die Erörterung gezogen worden. Er hat dort erklärt, daß der Wegfall des Mieterschutzes nicht zeitiger erfolgen kann als nach der Beseitigung der Wohnungsnot. (Sehr richtig ! b. d. Soz.) Da» ist ein Gedanke, der durchaus anzueikennen ist, eS handelt sich bloß noch um die Festlegung deS Begriffes Wohnungs not und die Feststellung ver Ursachen, warum die Woh nungszählungen, die heute gemacht werden, bei der heutigen Zwangsverteiluna der Wohnungen uns ein genaues Bild der tatsächlichen Verhältnisse nicht geben. Nun hat sich Herr Ministerialrat vr. Zieger auch mit der Neubildung de- Wohnrecht- befaßt, emer Frage, die