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ÄckaKW M AW« AichckU NV. 11. zu Nr. 9 des Hauptblattes. 1927. Beauftragt mit der Herausgabe RegierungSrat Brauße in Dresden. L»»dt«-Svtrha»dl«nge». «. Sitzung. Dien-tag, 11. Jannar 1927. Präsident Schwarz eröffnet die Sitzung 1 Uhr 1 Minute nachmittags. LS wird sofort in die Tagesordnung eingetreten: Wahl deS Ministerpräsidenten. (Art. 5 und 26 der Verfassung.) Abg. Böchel lSoz.) schlägt für die Sozialdemokratische Partei den ReichstagSadgeordneten Fleißner vor. Abg. Hofman« (Dnat.) gibt im Namen seiner Fraktion folgende Erklärung ab: I. Wir stellen fest, daß der Versuch, eine Regierung aus den Parteien rechts von der Sozialdemo kratischen Partei Deutschlands unter Ausschluß der Deutschnationalen zu bilden, eine grobe Ver letzung deS Mehrheitsprinzips, auf dem die Demo kratie ruht, darstellt. (Zuruf b. d. Soz.: Das ist wohl ein Irrtum! — Zu rufe b. d. Komm.) 2. An der Wahl eines Ministerpräsidenten, der eine Regierung bilden soll, auf deren Zusammensetzung wir keinen Einfluß haben, können wir uns nicht beteiligen. (Zurufe b. d. Komm.: Da gehen Sie doch hinaus! Heldt ist doch schon Ihr Mann! Sie haben ihn doch schon in der Tasche!) Das müssen Sie ja besser wissen als ich. 3. Gegen die jetzt geplante Regierung ist insbesondere einzuwenden, daß sie der von allen nichtsozia listischen Fraktionen bisher vertretenen Auffassung von der Notwendigkeit der Vereinfachung der Staatsgeschäfte durch Verminderung der Minister sitze auf höchstens fünf nicht Rechnung trägt, obwohl die von keiner Seite bestrittene große wirtschaftliche Not nach unserer Meinung dazu zwingt. (Zurufe b. d. Komm. u. Soz.) Das Wahlergebnis ist folgendes: Es sind 94 Stimmzettel abgegeben worden, darunter 4 weiße, also nur 90 gültige Stimmzettel. Es haben Stimmen erhalten Fleißner 45, Heldt 31, Krug von Nidda 14. Die Majorität, die zur Wahl eines Ministerpräsidenten notwendig ist, beträgt 46. Die Stimmenzahl von 46 ist von keinem erreicht worden, daher rst die Wahl wieder ergebnislos verlaufen. (Lebh. Hört, hört! links.) Präsident r^ver Vorstand schlägt vor, die nächste Sitzung Dienstag, den 18. Januar abzuhalten mit der Tagesordnung: Wahl des Ministerpräsidenten. Abg. vi. Blüher (D. Vp. — zur Tagesordnung): Die Bemühungen, bei der Wahl des Ministerpräsidenten ein positives Ergebnis zu erzielen, sind nun mehrere Wochen lang ohne Erfolg geblieben. Die Herren links haben keine Mehrheit erreicht; wir rechts haben auch keine Mehrheit erreicht. Die Aussicht dafür, daß in 8 Tagen das Ergebnis ander- sein werde, vermag ich ebensowenig zu beurteilen wie die Herren von links, aber ich glaube, der Landtag hat kein Interesse daran alle 8 Tage diesen Leerlauf zu wiederholen. Des wegen wird wohl nichts weiter übrig bleiben, als auf die Vorgänge zurückzugreifen, die i. I. 1923 bei der Neubildung der Regierung stattgefunden haben. Auch damals, als wegen des Mißtrauensvotums gegen Herrn Minister Lipinsti die Regierung zurücktrat, sind zunächst eine Reihe von Leerläufen versucht worden; nachdem sich aber diese Leerläufe abgespielt hatten, ist dann der Landtag auf den Standpunkt gekommen, daß er unbe kümmert um die Regierungsbildung seine Arbeiten fortsetzt, und daß der Präsident oder der Vorstand ersucht wird, die Wahl erst wieder auf die Tagesord- uung zu setzen, wenn ihm unterbreitet wird, daß eine Mehrheit vorhanden ist. (Lachen links.) Ich würde also Vorschlägen, daß wir den Vorstand ersuchen, eine sachliche Tagesordnung festzusetzen und vorläufig die Wahl deS Ministerpräsidenten nicht wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Abg. Böttcher (Komm.—zur Tagesordnung): Die Erklärung, die Herr Abg. Blüher abgegeben hat, dars man wohl al» die Bankrotterklärung des sächsischen RechtsblockS ansehen. (Zuruf recht-: Was machen Sie denn?) Sie «nach rechts) haben gekuhhandelt leit vor Weihnachten und sind nicht imstande gewesen, eine Regierung zustande zu bringen. Die widerstrebenden Interessen im sächsischen Kleinbürgertum kommen in der Erklärung des Herrn Abg. Blüher sehr deutlich zum Ausdruck. Die Wirtschaftspakte! war so unvorsichtig, diesem werdenden sächsischen Bürgerblock das Brandmal des Mietwuchers auf die Stirn zu drücken. (Wider spruch b. d. Wirtsch.) Der Hauptgrund für die Ver schiebung der Wahl des Ministerpräsidenten im Landtage liegt in der Regierungskrise im Reiche. Man will abwarten, welche Entwicklung die ReichSpolitik nimmt, um dann in Sachsen dem Reiche gleichgelagerte Ver hältnisse zu schaffen. Es ist nicht zu leugnen, daß auch auf der sozialdemokratischen Seite hier im Landtage bestimmte Hoffnungen vorhanden sind, daß im Reiche und damit auch in Sachsen die Große Koalition zur Durchführung kommen soll. DaS ist insbesondere die politische Spekulation der Alten Sozialdemokratischen Partei in Sachsen. Unsere Auffassung ist, daß diese Bankrottpolitik, wie sie seit vor Weihnachten agiert wird, keine Stunde länger geduldet werden darf. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Deshalb ist die einzige Möglichkeit, die jetzt vor der Arbeiterklaffe steht, daß der Landtag aufgelöst wird. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Die Auflösung dieses Land tages ist das Gebot der Stunde. (Sehr richtig b. d. Komm.) Wir beantragen deshalb, auf die nächste Tagesordnung den Antrag der kom munistischen Landtagsfraktion zu stellen: 1. Der Landtag wolle beschließen: Der Landtag löst sich auf. 2. Die nächste Sitzung de- Landtags findet nicht erst nächsten Dienstag, sondern bereis am nächsten Donnerstag statt. (Bravo! b. d. Komm.) Präsident: Es ist ein weiterer Antrag gestellt wor den von den Herren Abgg. Tittmann (Natsoz.) und vr. v. Fumetti (Volksr.): In 2 Stunden eine neue Sitzung anzufetzen mit der. selben Tagesordnung: Wahl des Ministerpräsidenten. (Lebh. Sehr richtig! links.) Abg. Böttcher (Komm.) zieht seinen Antrag zugunsten dieses Antrages zurück. Abg. Liebmann (Soz. — zur Geschäftsordnung): Meine Partei wird dem Anträge zustimmen, den Wahl- gang in 2 Stunden zu wiederholen, weil wir Wert darauf legen, daß möglichst schnell eine Entscheidung in der Frage der Regierungsbildung getroffen wird. Im übrigen habe ich im Auftrage meiner Fraktion zu sagen, daß Herr Blüher mit dem was er dargelegt hat, nur den Bankrott des Bürgerblocks bestätigt hat. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Aber eS ist durchaus em Irr tum, anzunehmen, wenn Herr Blüher mit seinen Block freunden jetzt am Ende seines Lateins ist, daß darum der Landtag oder das ganze sächsische Volk und der Par lamentarismus am Ende ihres Lateins wären. (Lebh. Sehr richtig! b. d. Soz.) Herr Abg. Blüher hat mit seinem Hinweis auf 1923 einen ganz falschen Vergleich gezogen. 1923 handelte es sich um eine der üblichen parlamentarischen Regierungskrisen im Verlause der ordentlichen LandtagStagung. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Tas läßt sich gar nicht mrt den Schwierigkeiten ver gleichen, die wir gegenwärtig bei der Regierung-bil- düng haben (Sehr richtig! b. d. Soz.), die nach einer Neuwahl de- Landtags gemäß der Verfassung stattzu finden hat. Wir werden unter allen Umständen darauf beharren, daß, ehe der Landtag seine ordnungsgemäßen Arbeiten aufnimmt, die Regierung gebildet sein muß. (Lebhaftes Bravo! b. d. Soz.) Abg. vr. Blüher (D. Vp.): Wir halten den Antrag auf Vertagung mit der neuen Tagesordnung nicht mit der Geschäftsordnung für vereinbar und erheben des- halb Widerspruch. Präsibent: Es steht nicht im Widerspruch zur Ge schäftsordnung, wenn wir an demselben Tage eine oder zwei oder drei Stunden später eine neue Sitzung ein- berufen, nur darf in dieser neuen Sitzung am selben Tage nichts anderes behandelt werden, als waS in der ersten Sitzung behandelt worden ist. (Lebhaftes Sehr richtig! links ) Hierauf wird der Antrag Vr.v. Fumetti und Tittmann mit den Stimmen der Sozialdemokraten, Kommunisten, Nationalsozialisten und Bolksrechtpartei angenommen. (Bravo! b. d. Soz ) Die neue Sitzung wird auf 4 Uhr anberaumt mit der Tagesordnung: Wahl deS Ministerpräsidenten. (Schluß der Sitzung 1 Uhr 31 Min. nachmittags.) 7. Sitzung. Dienstag, 11. Januar 1927. Präsident Schwarz eröffnet 4 Uhr 34 Minuten die Sitzung. Bor Eintritt in die Tagesordnung fragt Abg. Renner (Komm.) unter Hinweis darauf, daß wegen einer kleinen Ansammlung von Zuschauern vor dem LandtagSgebäude, die auf die Tribüne wollten, die Polizei aufmarschiert sei und sie in ziemlich rücksichtsloser Weise auSeinanderaetrieben habe, an, wer in diesem Falle die Veranlassung zum Heranholen der Polizei gegeben hat und ob Präsident Schwarz in derselben Art und Weise zu verfahren und die Geschäfte zu führen gedenke, wie das unter dem Präsidenten Winkler üblich war, und beantragt noch heute zu beschließen, daß die Tribünen wieder wie früher geöffnet werden und ihr Besuch nicht von der Kartenausgabe abhängig gemacht wird. Präside«t: Von einem Aufgebot der Schutzmannschaft wem ich nichts. (Aba Renner: Also Kühn!) Über den eben gestellten Antrag kann ein Beschluß nur herbeigeführt werden, wenn irgendwelcher Wider spruch nicht erhoben wird. (Zuruf rechts: Wir wider sprechen !) Es ist Widerspruch erhoben worden, infolge dessen hat sich diese Angelegenheit erledigt. Hierauf wird in die Wahl des Mi«isterpräside«ten eingetreten. Abg. vöchel (Soz.) schlägt den Reichstagsabgeord neten Fleißner vor. (Abg. Böttcher: Zum 5. Male!) DaS Wahlergebnis ist folgende-: ES sind 96 Stimmzettel abgegeben worden, davon 2 weiße. Es haben erhalten Fleißner 45 Stimmen, Heldt 49 Stimmen. Damit ist Heldt zum Minister präsidenten gewählt. (Pfuirufe bei den Soz. und Komm, und von der Tribüne. Präsident: Ich ersuche dringend, daß jede BeffallS- oder Mißfallensäußerung seitens der Tribüne unter bleibt; ich müßte sonst die Tribüne räumen lassen. Abg. Böttcher Komm, (zu einer Erklärung): Die Wahl des Arbeiterverräters Heldt. (Lebhafte Bravorufe von der Tribüne.) — Präsident: (unterbrechend): Ich ersuche, die Tribüne zu räumen. (Lebh. Widerspruch und Unruhe links und auf der Tribüne.) (Pause. — Die Tribüne wird geräumt.) Nach Wiedereröffnung der Sitzung protestiert Abg. Böttcher (Komm.) gegen die Räumung der Tribüne und fährt fort: Zur Wahl des Ministerpräsidenten Heldt erklärt meine Partei unbeschadet unserer besonderen Stellung nahme bei der Regierungserklärung: Die Wahl des Arbeiterverräters Heldt zum sächsischen Ministerpräsidenten ist das Ergebnis eines beispiellosen parlamentarischen Schachergefchäftes zwischen politischen Bankrotteuren der ASPS. und den parla nentcuischen Kommis des Verbandes Sächsischer Industrieller, des Sächsischen Landbundes und der sächsischen Bankiers. (Lebhaftes Lachen von der ASPS- bis zu den Dnat.) An diesem Kuhhandel haben sich die durch Demagogie und Volksbetrug in den Landtag gekommenen Vertreter der Wirtschafts- und Aufwertungspartei auf Kosten ihrer Wühler beteiligt. lSehr richtig! b. d. Komm.) Der Auswertungspartei, die unter dem Truck der Mieter- organlfationen, unter dem Truck der kleinen Handwerker und Gewerbetreibenden heute mittag bei der Wahl um- gefallen war und nun innerhalb von 2 Stunden wieder zum Bürgerblock umgefallen ist, wird für die s ihre Schandtat hier im Landtag die Quittung von der Wählerschaft bekommen. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Die völkische sog. Nationalsozialistische Freiheitspaitei (Zuruf des Abg. v. Mücke), verkündet m großen Plakaten hier in Dresden, daß sie gegen das internationale Finanzkapital kämpfen will, und zur gleichen Zeit trägt sie oazu bei, daß der typische Vertreter des sächsischen Finanzkapitals als Ministerpräsident gewählt wird. Auch in dielen Dingen werden wir Abrechnung halten, und die paar armen betrogenen Arbeiter, die dieser Partei heute noch nachlaufen, werden auch endgültig erkennen, daß ihr Platz nicht bei den Demagogen brr Schwarz- weiß-roten ist, sondern daß sie in die rote Klasfenfront hineingehö.en. Die Wahl Heldts ist die folgerichtige Fortführung der von den 23 Rechtssozialdemokraten im verflossenen Land.ag begonencn und von der SPD unterstützten arbeiterfeindlichen Politik. Sieger au» der ganzen Linie sind jetzt die Deuts nationalen (Sehrrichtiglb.d.Komm.), die heute mittag noch eine Erklärung abgaben, daß sie nicht dem Bürgerblock zustimmen könnten aus Gründen der Vereinfachung des Staatsbetriebes. Sie sind nun mehr unter dem Drucke, der ausgeüvt worden ist, um gefallen und ebenfalls eingeschwenkt in die Locarnofront, m die Front des Völkerbundes. (Lachen b. d. Dnat.) Die Möglichkeit deS Zustandekommens eines Bürger blocks in dem hochindustriellen Sachsen, in dem 80 Proz. aller Einwohner Lohn- und Gehaltsempfänger sind, ist aber in erster Lmie das Resultat der Koalition«- und Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokratischen Partei im Reiche, in den Ländern und Gemeinden. Die KoalitionS- politik hat zur Schwä. ung des Proletariats und zur Stärkung der Bourgeoisie geführt. Während in Sachsen die sozialdemokratischen Führer in Scheinopposition gegen die Koalition-Politik standen, trieben sie saktisch Koalitionspolitik mit der Bourgeosie in den Gemeinden und ArbeitSgemeinschastSpolitik in den Gewerkschaften. (Zuruf b. d. Soz.: Quat ch l) Das ist kein Quatsch, sondern Tatsache. (Lachen b. d. « oz.) Der Abg. Wirth, der immer noch Bezirkeleiter des Einheitsverbandes der deutschen Eisenbahner ist, wird von den Parteigenossen der Sozialdemokraten draußen im Lande gestützt, und unterstützt und sitzt hier als ein Bundesbruder der Schwarz- weiß-roten. Wir werden aber dafür sorgen, daß ihnen Hören und Sehen vergeht. In der ReichSpolitik unterstützen diesächsischenfozialdemokratischenFühreralleMaßnahmen deS Parteivorstandes der SPD., um die Durchführung seiner verbrecherischen Koalitionspolitik zu ermöglichen. Die Büraerblockclique in Sachsen hat sogar darauf verzichtet, ihr Reaktionsprogramm zu verschleiern Größere Reaktion in der Verwaltung,Justiz und Polizei, schärfere Ausbeutung aller Werktätigen, Erhöhung der Mieten und Freigabe der gewerblichen Räume sind die Kaufsumme für den Bürgerblock.