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Hund, der selten fehlt, und häufig auch bunte Glasmalereien. Emanuel de Witte soll ein unleidlicher Mensch gewesen sein, hochmütig und streitsüchtig, dabei wegen seiner Mißerfolge ständig in Geldnot. 1667 mußte er sich um Bett, Kost und 800 Gulden jährlich einem Amsterdamer Maler verdingen und ihm alles, was er malte, ausliefern; er hat diesen entwürdigenden Zustand nicht lange ertragen und den Vertrag wieder gelöst. Im Alter von 75 Jahren erhängt sich der in seinem hohen Streben verkannte Meister nach einem klein lichen Streit mit seinem Hauswirt - ein trauriges Zeichen der Zeit am Jahr hundertausgang, die einen Künstler nicht zu schätzen wußte, der inmitten des allgemeinen Verfalls der Kunst die große Tradition zu bewahren trachtete. WILLEM KALF (1622 bis 31. VII. 1693). Im 17. Jahrhundert gewinnt ebenso wie in Flandern auch in Hol land die Stillebenmalerei an Beliebt heit und Bedeutung. Im Vergleich mit den üppigen, Überfluß und Frucht barkeit symbolisierenden Tafeln der Flamen (s.Abb. S.62)wirken freilich die Gemälde der Holländer einfach und bescheiden. Aber gerade ihr nüchter ner Wirklichkeitssinn, ihre Vorliebe für die stille Welt des häuslichen Kreises und ihre Freude an den Annehmlich keiten behaglichen Lebens sichern ihrer Kunst die stetige Entwicklung zu klassischer Vollkommenheit. Etwa bis zur Mitte des Jahrhunderts zeichnen sich deutlich lokale Richtungen ab. Die Stillebenmaler der Patrizierstadt Haar lem erwählen sich den Frühstückstisch, die Künstler der Universitätsstadt Lei den dagegen Bücher, Musikalien und Musikinstrumente, denen sich ein Gläs chen Bier oder ein Pfeifchen Tabak zugesellt. Im Haag wartet man mit Austern und Fischen auf, während in Utrecht die farbenprächtigste Gattung, das Stilleben der Blumen und Früchte, erblüht. Schlicht und einfach in der Komposition, nüchtern und kühl in der Farbgebung, aber immer anziehend durch die Gediegenheit der künstle rischen Auffassung und Behandlung er scheinen die Werke der Frühzeit. Ihre wichtigsten Vertreter sind zwei Haar lemer Maler: der aus Westfalen stam mende Pieter Claesz. (um 1598-1660), der noch unscheinbare Gruppen von Trinkgefäßen und eßbaren Dingen zeigt, und der ihm nahestehende Wil lem Claesz. Heda (1594- um 1679), der seine bürgerlichen „Frühstückstische“ durch die Zugabe erlesenen Tafelgeräts zu bereichern pflegt. Vollendete Meisterwerke des Stillebens gelingen aber erst dem eine Generation später in Amsterdam geborenen Willem Kalf, über dessen Leben und künstlerische Ausbildung uns fast gar nichts bekannt ist. Seine frühesten, 1643 und 1644 datierten Stilleben, Frühstückstische mit einfachem Mahl nebst Gläsern und Kannen aus Silber und Zinn, sind im Aufbau und in der Wahl der Gegen stände den Werken der beiden Haarlemer Meister verwandt. Aber der grau braune Einheitston und das Helldunkel dieser Gemälde weisen schon deut lich aufRembrandt als Vorbild. Später, unter dem Eindruck der farbenreichen Bilder des großen Meisters, wird auch Kalf allmählich glutvoller und präch tiger in der Wahl seiner Farben und in der Zusammenstellung gewähltester Dinge. Sehr reizvoll ist eine Reihe von „Küchenwinkeln“, in denen Geschirr, Gerät und Eßware aller Art in malerischer Unordnung umherliegen. Die reif sten Schöpfungen sind jedoch wiederum „Frühstückstische“, höchst kunst voll und mit feinstem Geschmack zusammengefügte Gruppen von schmack haften und kostbaren Gegenständen, Stilleben, die durch die vollendete Wiedergabe des Stofflichen alle anderen Darstellungen dieser Kunstgattung weit übertreffen. Aus der stattlichen Zahl dieser Bilder zeigen wir das Berliner „Stilleben mit chinesischer Schale“ (65 x54 cm). Auf einem Steintisch mit halb zurückgeschobenem Teppich erblickt man eine blau gemusterte chine sische Fayenceschale mit duftigen Pfirsichen und einer Melonenschnitte, die nebst einer halbgeschälten Zitrone und einem Obstmesser auf einer schmuck vollen Silberplatte steht. Darüber ragen ein perlmuttartig schimmernder Nautilusbecher und einige prächtige Kunstgläser empor, aus denen rot und golden der Wein leuchtet, links neben einer kunstvollen Taschenuhr ein Rö mer, in der Mitte ein Deckelpokal, da neben ein venezianisches Spitzglas und ganz rechts eine kristallene Obstschale. Dem Amsterdamer Kalf kommt an Be deutung am nächsten der vielseitige Haager Abraham van Beij eren (162 0 bis um 1675), der große Fisch- und Fleisch bänke, Frühstückstische mit Austern und Hummern, Blumen- und Frucht stücke und außerdem auch Seestücke malt und durch die Üppigkeit seiner Darstellungsweise oft an die flämischen Stillebenmaler gemahnt. Der ge schmackvollste und bedeutendste Blu men- und Früchtemaler ist der aus U trecht stammende,inLeidengebildete und größtenteils in Antwerpen tätige Jan Davidsz. de Heern (1606-1684), der die flämische Kunst stark beeinflußt. Nur in weiterem Sinne der Stilleben kunst zuzurechnen sind schließlich die Tier- und Jagdstücke des Amster damers Jan Weenix (1640-1719) und die Geflügelbilder des im Haag und in Amsterdam arbeitenden Utrechters Melchior d’Hondecoeter (1636-1695), tüchtige Werke einer überaus sorgfäl tigen Feinmalerei, die allmählich im mer glatter wird und zuletzt zu be dauerlicher Erstarrung führt. Das Gesamtbild der holländischen Ma- lerei im 17. Jahrhundert erscheint so vielgestaltig, daß esunmöglich ist, von all ihren verschiedenen Äußerungen Proben zu zeigen. Nur in wenigen Höchstleistungen konnten wir ihre be deutendsten Vertreter zu Worte kom men lassen. In jeder der Spezialgattun gen, die sie finden und ausbauen, sind indessen neben ihnen noch zahlreiche Künstler tätig, die den führenden Mei stern in einzelnen Werken an Rang nahekommen. Mögen manche im Spezialistentum einseitig geworden sein, so erweisen sie sich gerade in der Beschränkung als Meister. So mannigfaltig aber ihr Gesamtschaffen ist, so einhellig ist ihr Bemühen, die Schönheit im Alltag zu entdecken. Die antike Mythologie und das religiöse Bild, für die das neue Geschlecht in Holland kein Interesse mehr bezeugt, findet zwar in Rembrandts Werk noch tiefste Deutungen, aber in dem Schaffen der übrigen Künstler spielen diese Hauptthemen früherer Zeiten kaum noch eine Rolle. Im Einzel- und Gruppenporträt, im Genrebild, in der Land schaftsdarstellung, im Tierstück, im Architekturbild und im Stilleben und in ihren vielen Sondergattungen erreichen sie jedoch eine Stufe der Voll kommenheit, die weit über alle nationalen Grenzen hinaus noch für spätere Zeiten vorbildlich wurde. Diese große, fast unerklärliche Blüte der hollän dischen Malerei ist allerdings gegen Ende des Jahrhunderts bereits welk geworden, und im 18. Jahrhundert bringt das Land keinen Künstler hervor, der auch nur an die Kleinmeister der Rembrandtzeit heranreicht. Willem Kalf: Stilleben mit chinesischer Schale. Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum