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auf die rechte und linke Bildhälfte gesetzt. Steht somit dieses Gemälde im Werk des Malers als eine überraschende, einzigartige Meisterleistung da, so wird das Rätsel noch größer, wenn man die Jahresangabe 1689, die freilich auch 1669 gelesen worden ist, in Betracht zieht. Von den fast 200 bekannten Arbeiten Hobbemas sind nämlich knapp drei Dutzend datiert, und zwar mit den Jahreszahlen zwischen 1657 und 1669; die undatierten Bilder kann man aus stilistischen Gründen fast alle in diesen 13 Jahren unterbringen, wesentlich nach 1669 ist kaum eines von ihnen gemalt worden. Nun hatte sich Hobbema im Oktober 1668 mit einer Küchenmagd des Am sterdamer Bürgermeisters vermählt und durch Fürsprache einer anderen Bürgermeistersmagd, die sich dafür bis zu ihrer eigenen Verheiratung eine Provision von jährlich 250 Gulden notariell ausbedang, die Stelle eines Weinvermessers beim städtischen Steueramt erhalten. Seitdem scheint er nicht mehr gemalt zu haben. Die Bäume der Allee wurden aber erst von 1664. ab gepflanzt, und die links von dem großen Bauernhaus in der Ferne sichtbare Bake wurde 1682 er richtet. Demnach hat der Meister nach etwa 2ojähriger Ruhepause noch einmal zum Pin sel gegriffen und dieses Meisterwerk geschaf fen, während ringsum die Landschaftsmalerei schon erstarrt war. ADRIAEN VAN DE VELDE (vor dem 30. XL 1636-21.1.1672). Nicht weniger als neun holländische Künstler des Namens van de Velde sind uns aus dem 17. Jahrhundert be kannt geworden. Sie stammen sämtlich von drei oder vier vielleicht miteinander verwand ten Flamen ab, die um 1590 in Holland ein wanderten und von de nen ebenfalls zwei künstlerisch tätig ge wesen sind. Den be- kurzen Schaffenszeit von kaum 20 Jahren, aus der über 400 Gemälde er halten geblieben sind, als erstaunlich vielseitig. Kennt man doch von ihm nicht nur Landschaften der verschiedensten Gattungen, sondern auch Inte rieurbilder von Pferdeställen, eine sittenbildliche Darstellung („Trinkendes Mädchen“ von 1662; Dresden), ein Genreporträt („Brustbild eines Gei gers“ in Haager Privatbesitz) und einige Bildnisgruppen in der Land schaft, unter denen das schöne Familienbildnis von 1667 (Amsterdam) be sonders genannt zu werden verdient, ferner eine Anzahl religiöser und my thologischer Bilder, die meistens im Freien spielen. Da er Figur und Land schaft mit gleicher Meisterschaft beherrscht, zählen seine reich ausstaffierten „Figurenlandschaften“, zu denen viele Darstellungen aus dem Hirten-, Fischer-, Jäger- und Reiterleben sowie Schilderungen der Winterfreuden auf dem Eise gehören, zu seinen besten Werken („Das Fährboot“ in Amster dam und München; „Halt vor dem Wirts haus“ in Leipzig). Als Darsteller der mit Tier und Mensch be lebten Natur ist Adri aen van de Velde von jeder Einseitigkeit fern, denn er malt den nor dischen Wald mit sei nem jagdbaren Wild oder mit weidendem Vieh so meisterhaft wie die italienisch emp fundene Ruinenland schaft, die er nicht aus persönlicher Anschau ung kennt, die nieder ländische Flachland schaft mit Kornfeldern und Wiesen unter ho hem Himmel wie die Hügellandschaft mit Burgen und Flüssen, die saftige Weide mit grasenden und wieder- käuenden Rindern, die eisüberzogenen Wiesen mit Schlittschuhläu fern und Schlittenfah rern und nicht zuletzt die Fluß- und Strand landschaften der Hei mat. Wir bringen je ein Meisterwerk seiner Adriaen van de Velde: Der Strand bei Scheveningen. Kassel, Gemäldegalerie deutendsten aus der ersten in Holland geborenen Generation, den Amster damer Esaias van de Velde (um 1590-1630), der in Haarlem und im Haag gearbeitet hat, haben wir als einen Erneuerer der Landschaftskunst bereits genannt (s. S. 67). Der Sohn eines der anderen flämischen Stammväter, eines Schiffers, war der Leidener Willem van de Velde d. Ä. (1611-1693), der sich als Meister in Amsterdam ansässig machte, nachdem er als Schiffs junge zur See gefahren war. Er wurde ein hervorragender Marinekenner und Schiffszeichner, der als künstlerischer Kriegsberichterstatter an den Seekriegen der Holländer gegen England teilnahm und 1672/73 (vielleicht als Gefangener) nach England kam. Hatte er vorher die Seesiege seines Vaterlandes geschildert, so feiern seine in der neuen Heimat geschaffenen Seeschlachtdarstellungen die maritimen Erfolge Englands, dessen Kriegs schiffe er von nun ab begleitet. Seine beiden Söhne sind Willem van de Velde d. J. und Adriaen van de Velde, dem wir uns zunächst zuwenden. In Amsterdam geboren, hat Adriaen bei seinem Vater zeichnen und bei einem Haarlemer Landschafter malen gelernt. Schon im Alter von 17 Jah ren hat er einige stimmungsvolle Blätter radiert, und ein Jahr darauf tritt er mit seinem ersten selbständigen Gemälde hervor. Adriaen ist weniger Spezialist als die anderen van de Veldes, ja er erweist sich sogar in seiner Hand aus den beiden letztgenannten Sondergattungen der holländischen Landschaftskunst, den „Strand bei Scheveningen" in Kassel (50x72 cm) und die „Flache Flußlandschaft“ in Berlin (41x66 cm), beide aus dem Jahre 1658, dem 22. Lebensjahre des Künstlers. Im Gegensatz zu dem graubraunen oder graugrünen Gesamtton der impressionistischen Form auflösung, die Jan van Goijen und andere in den zwanziger und drei ßiger Jahren des Jahrhunderts geliebt hatten, weisen sie kräftige, wenn auch kühle Farben und klare Zeichnung auf, ohne auf atmosphärische Dunstverschleierung in der Ferne ganz zu verzichten. Die Unendlichkeit der schlichten in heiterem Sonnenglanz liegenden Flachlandschaft ist das Thema beider Bilder. Der Künstler schildert die Grenzenlosigkeit von Him mel, Meer und Ebene nicht durch möglichst weit in die Tiefe gespannte Fernsichten, sondern durch Betonung horizontaler Linien, die die Vorstel lung endloser Ausdehnung in die Breite erwecken. Er zieht den Himmel so tief, daß er auf dem Flußbild genau drei Viertel der Fläche, über dem Meer des Strandbildes einen noch größeren Raum einnimmt. Die aus der Ferne heraufsteigenden Wolken halten etwa die Richtung der klar gezeichneten Horizontlinie ein. Die Dächer der Häuser laufen ihr parallel, auf dem Strandbild auch die auf den Sand gezogenen Boote und das draußen in der