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teilung im Wäscheschrank einer holländischen Familie entdeckt, die aus der Gegend von Delft nach Paris verzogen war. So ergreifend wie in dieser reli giösen Szene und so dramatisch und handgreiflich wie auf dem Dresdener Frühwerk geht es indessen bei Vermeer sonst nicht zu. Er hat im Grunde das Temperament eines Stillebenmalers, der am Spiel und Gegenspiel gewählter Farben seine Freude hat und in der feinsinnigen Wiedergabe seiner Augen erlebnisse schwelgt. Stillebenhafte Menschen, umgeben von den Stilleben ihrer Wohnungseinrichtung, mit den Mitteln einer verfeinerten Malkultur zu schil dern, sieht er als seine vornehmste Aufgabe an. Mit größter Sorgfalt und Liebe, gewissenhaft und dementsprechend langsam malt er seit 1656 die Reihe der berühmten und hochgeschätzten Interieurbilder, in denen ein einzelner Mensch bei seiner alltäglichen Beschäftigung dargestellt wird oder zwei oder drei Personen in traulicher Unterhaltung, zu musikalischer Kurzweil oder bei einem Glas Wein zusammensitzen oder Herrin und Magd wegen eines Briefchens miteinander zu tun haben. Im Gegensatz zu der helldunklen Raumschilderung Rembrandts sind seine Zimmer oder Zimmerausschnitte meist von strahlendem Licht erfüllt und farbig durchglüht, wobei die helle Hinterwand ohne Ausnahme parallel zur Bildfläche verläuft. Fast immer sind die Bilder, in denen mehr als eine Person auftritt, räumlich stärker durchkomponiert als die für einen einzelnen Menschen geschaffenen Inte rieurs. Das gilt auch für ein gegen Ende der sechziger Jahre entstandenes allegorisches Gemälde, das im Werk des Meisters eine besondere Stellung einnimmt, „Die Allegorie der Malerei“ in der Czernin-Galerie in Wien. Es ist die Wiedergabe einer Künstlerwerkstätte, in der ein von hinten gesehener Maler im Festtagsstaat vor seiner Staffelei sitzt (wahrscheinlich ein Selbst bildnis Vermeers) und ein von silbrigem Licht umflossenes, rührend unge schickt dastehendes junges Mädchen mit Buch und Posaune als die ruhm redige Muse der Geschichtsschreibung malt. Wichtiger als die kunstvollen Raumkompositionen erscheinen uns indessen Jan Vermeer van Delft: Küchenmagd. Amsterdam, Rijksmuseum Jan Vermeer van Delft: Spitzenklöpplerin. Paris, Louvre die Schöpfungen des Meisters, in denen er seine ganze Liebe der vollendeten Wiedergabe einer einzigen Gestalt in ihrer Umwelt zuwendet. Mag die hier wiedergegebene „Küchenmagd“ des Rijksmuseums (46x42 cm) noch nicht der reifsten Zeit des Meisters angehören - man setzt sie noch in die fünfziger Jahre —, so ist sie doch ein Glanzstück seiner Malerei. Sie nimmt es an Adel des Malwerks selbst mit den berühmtesten Stücken auf, den beiden Bildern der „Briefleserin“ in Dresden und Amsterdam, der „Goldwägerin" in einer Privatsammlung in Philadelphia und dem „Perlenhalsband“ in Berlin. Stets sind die Motive von einer gelassenen Stimmung erfüllt. Wie hier die Köchin mit dem bescheidenen Gerät hantiert, Milch von einem Topf in den anderen gießt und Obacht gibt, daß die dickflüssige Sahne zurückbleibt, das geschieht mit einer Andacht und Feierlichkeit und wird von dem Maler mit einer Liebe zu den kleinen Dingen des Alltags geschildert, wie es im 17. Jahrhundert nur ein Holländer und unter den Holländern nur Vermeer konnte. Volles Tageslicht umfließt die echt holländisch derbe, dabei an mutige Gestalt, so daß ihr Umriß teils hell, teils dunkel, aber immer klar vor der kahlen, leuchtenden, nahen Wand steht, die nur unten mit einem Streifen Delfter Fliesen geschmückt ist. Ein ebenso klares Licht zeichnet die einfachen Gegenstände des Stillebens auf dem Tisch, den Korb mit weißem und schwarzem Brot, die knusprigen Brötchen, den blauen Steinkrug und den glasierten braunen Milchtopf sowie den rötlichen Henkelkrug in den Händen der Magd. Deutlich teilen die Diagonalen das Bild auf, die eine von links unten über das Stilleben des Tisches und den Oberkörper der Magd hinweg in die rechte obere Ecke strebend, die andere von rechts unten über das Stövchen (einen hölzernen Fuß wärmer mit einem Kohlenbecken aus Ton), den hochgesteckten blauen Rock, das blinkende Messinggefäß an