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Pieter de Hooch: Mutter und Kind. Amsterdam, Rijksmuseum es wahrscheinlich, daß er bei dem Haarlemer Nicolaes Berchem (1620-1683) in die Lehre gegangen ist, der sich erneut dem Italianismus ergeben hatte und, nach längerem Aufenthalt im Süden, seit 1642 vor allem Bilder süd licher Landschaften mit Hirten und Herden, Reitern, Jägern und Soldaten schuf. Bald nach der Haarlemer Lehrzeit dürfte de Hooch nach Rotterdam zurückgekehrt sein, wo er um 1650 als Kammerdiener in die Dienste eines reichen Tuchhändlers tritt, der ihn auf seinen Reisen nach Leiden, Haag und Delft mitnimmt und für den er eine große Anzahl Soldatenstücke malt. 1654 heiratet er in Rotterdam eine Delfterin und übersiedelt nach Delft, in dessen Lukas-Gilde er im September 1655 aufgenommen wird. Einen besonderen Eindruck müssen ihm hier schon bei früherem Verweilen die Raumschilderungen des Carel Fabritius gemacht haben, dessen „Torwäch ter“ (s. Abb. S. 79) er für eines seiner besten Soldatenbilder (Rom, Galleria Nazionale) als Vorbild benutzt. Bald scheint er sich indessen, anlehnungs bedürftig wie er ist, an Vermeer angeschlossen zu haben, denn beide be ginnen in dieser Zeit mit ihren Raumkompositionen. Spätestens 1667 ver läßt er Delft und macht sich in Amsterdam ansässig, wo sich seine Spur ver liert; das letzte seiner selten datierten Gemälde trägt die Jahreszahl 1684. Hat Pieter de Hooch anfangs im Anschluß an den Haarlemer Kreis um Dirk Hals fast ausschließlich Soldatenstücke gemalt, die meist in keller artigen, dunklen Spelunken, Ställen oder Quartieren spielen, wo man mit Trinken, Rauchen, Kartenspielen und Handgreiflichkeiten gegen Schank mädchen und Wirtin den Tag verbringt, so wird er, seitdem er sich in Delft niedergelassen hat, ein gemütvoller Schilderer häuslich stillen Familien glücks in warm durchsonnten oder schattenkühlen sehr anheimelnden Räu men, die beinahe immer durch Fenster und Türen Ausblicke in andere, lichtere Räumlichkeiten, oft in eine Flucht von Zimmern und Dielen, durch die offene Haustür auf die Straße und auf die Häuser der anderen Straßen seite gewähren. Auch wenn er seine Staffelei außerhalb des Hauses in sorg fältig gepflasterten, reinlich gekehrten Höfen oder in Vorgärten aufstellt und hier die Mutter mit ihrem Kind, die Hausfrau mit ihrer Magd oder mit Besuchern Unterhaltungen führen, Anordnungen treffen oder einen frischen Trunk spenden läßt, versäumt er keine Gelegenheit, Türe, Pforten und Fen ster zu öffnen und uns auch den Nachbarhof und die Gärten, Winkel und Dächer der Nebenhäuser so ausführlich wie möglich zu zeigen, wobei sein poetischer Sinn immer neue Heimeligkeiten und stille Schönheiten im Alltag entdeckt. Am liebsten gibt er volle, golden leuchtende Tageshelle, in der alles spiegelt und blitzt, die Fensterscheiben funkeln und die Bodenfliesen blinken. Aber auch den späten Nachmittag, wenn die Schatten länger wer den („Die Spinnerin“ im Buckingham-Palast in London) oder durch ein mildes Licht sich Dunkelheiten an der Balkendecke und in der Kellerluke zusammenballen, versteht er zu zauberhaften Stimmungen auszunutzen. Die große Beliebtheit seiner Bilder als Zimmerschmuck erklärt sich nicht zuletzt daraus, daß sie stets aufs neue den Blick auf sich ziehen, weil neben einem stillen Leitthema so viele liebevoll behandelte Nebenmotive mitver arbeitet sind. Von den Interieurs und den Hofansichten wählen wir je ein Bild aus der besten Zeit des Meisters. Das berühmte Berliner Innenraumbild „Mutter und Kind“ (68x58 cm) erinnert mit seinem rotbraunen Goldton und den weich im Zwielicht verfließenden Umrissen an Gemälde des Rembrandt- Schülers Nicolaes Maes (s. Abb. S. 79). Mit feinem Gefühl für Tonwerte ist das Licht der drei Räume verschieden behandelt. Die Helligkeit des sonnigen Zimmers, in das man durch die geöffnete Tür hineinblickt und durch dessen offenes Butzenscheibenfenster man auf die Straße sieht, hebt sich freundlich von der in Schatten gehüllten blitzblanken Diele oder Küche ab, in der die Pieter de Hooch: Hof eines holländischen Hauses. London, National Gallery