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arbeitung des treffendsten Ausdrucks zu beziehen, so daß sich der Betrachter das Vorher und Nachher mühelos dazudenken kann. GERARD TERBORCH (1617 bis 8. XII. 1681). Abseits der berühmten holländischen Kunststätten, in Zwolle, der Hauptstadt der Provinz Over- ijssel, geboren, hat Gerard Terborch (ter Borch) nach kurzjährigen Aufent halten in Amsterdam und Haarlem und langen Auslandsreisen sein Leben auch in künstlerisch unbedeutenden Städten Hollands beschlossen. Schon gemessen bewegen. Die taktvolle, ungewöhnlich zurückhaltende Art, in der Terborch erzählt, hat die Kunstfreunde häufig verlockt, seine Szenen novel listisch zu deuten; das bekannteste Beispiel hierfür ist die sog. „Väterliche Ermahnung“ (Amsterdam und Berlin), die Goethe in den „Wahlverwandt schaften“ mit dichterischer Einfühlung, aber nicht zutreffend erläutert hat. Denn hier wie auch sonst oft befinden wir uns nicht in der besten Gesell schaft, sondern im Kreise der Halbwelt. Zu den schönsten und berühm Gerard Terborch: Hauskonzert. Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum testen Stücken dieser gehobenen und höchst verfeinerten sittenbildlichen Interieurmalerei gehört das hier abgebildete „Hauskonzert“ des Berliner Museums (56x44 cm), das zwei musizierende Damen, eine Gamben- und eine Spinettspielerin, vereint. Außer ordentlich geringen Wert legt der Meister auf die Deutlichkeit der Per spektive und die Klarheit des Zimmer ausschnittes. Ein graugrüner Gesamt ton hält den Raum, dessen Wände eine kaum merkliche Ecke bilden, farblich zusammen und taucht auch Wand bilder und Möbel in einen unbestimm ten Ton, so daß sie zu geometrischen Gebilden verkümmern. Die Kunst der Delfter Interieurmaler (de Hooch und Vermeer), den Fußboden mit sei nem zügig in die Tiefe führenden Flie senmuster und die nach hinten fliehen den Seitenwände für die Verdeut lichung der Perspektive auszunutzen, wendet Terborch kaum an. Die Ge mit acht Jahren zeichnet der frühreife Knabe nach Bildern seines Vaters, eines weitgereisten Malers und Steuereinnehmers, und mit neun Jahren be reits nach der Natur. 1632 wird der Fünfzehnjährige nach Amsterdam in die Lehre gegeben, man weiß jedoch nicht, zu wem; in Haarlem ist bald da nach der Landschaftsmaler Pieter de Molijn (1595-1661) sein Lehrer. Seine Zeichnungen und Gemälde aus dieser Zeit verraten allerdings Anregungen aus dem Kreise der Gesellschafts- und Soldatenmaler um Frans Hals. Mit 18 Jahren ist er bereits Mitglied der Haar lemer Malergilde. Im gleichen Jahre zieht er wie einst sein Vater in die weite Welt, zunächst nach England, dann über Deutschland nach Italien. Gegen 1640/41 ist er in Rom, spätestens 1645 wieder in Amsterdam, und 1646 reist er nach Münster in Westfalen, wo er während der Friedensverhandlungen lohnende Porträtaufträge erhält. Sein berühmtes Kongreßbild (London), das die Ratifikation des am 30. Januar 1648 zwischen Holland und Spanien ge schlossenen Separatfriedens darstellt, ein Gemälde von knapp einem halben Quadratmeter Umfang mit 60 ganz- figurigen Miniaturbildnissen, beweist die überragende Meisterschaft des drei ßigjährigen Porträtisten. Eine neue Reise führt ihn über Amsterdam nach Madrid, wo er Philipp IV. gemalt und als Ehrenlohn eine goldene Kette und einen kostbaren Degen erhalten haben soll. Um 1650 ist er wieder in Holland, zunächst einige Jahre in Kämpen und Zwolle, dann in Deventer, wo er sich 1654 vermählt ud unermüdlich schaf fend, auch im Rat der Stadt tätig, bis an sein Ende ansässig bleibt. Terborchs früheste Gemälde sind Sol daten- und Wachtstubenbilder, wie sie allenthalben in den dreißiger und vier ziger Jahren in Amsterdam und Haar lem, in Delft und Rotterdam gemalt genstände der Gemächer sind für ihn nur Mittel der Bildaufteilung und Folie der Menschendarstellung, ja selbst die im Hintergrund sitzende (übrigens von späterer Hand übermalte) Spinett spielerin muß gegenüber der einen Person, der seine ganze Liebe gilt, zu rücktreten, so daß sie wie eine auf dem Spinett stehende bemalte Wachsbüste wirkt. Die Gambenspielerin dagegen wird, obgleich der Künstler sie, wie fast stets die Hauptfigur seiner Bilder, in Rückenansicht gibt, mit der größten Delikatesse einer raffinierten Feinmale rei geschildert. Das feine Köpfchen und das graziöse Körperchen, beflissen der Musik hingegeben, sind selbst so voll Musik in der leichten Neigung und der kaum merklichen Bewegung, daß wir darüber und über der wunderbaren Stoffmalerei des Kleides, der Haut und des zarten Flaumes der Nackenhaare alle „Mängel“ vergessen. Das hervor ragende, vielbewunderte Bild ist uns ein willkommener Anlaß, einmal auf werden, sowie andere Sittenbilder, zu denen eine „Ärztliche Konsultation“ (1635; Berlin) gehört. Für die zahl reichen Bildnisse, darunter auch Miniaturporträts und Gruppenbilder (ein „Regentenstück“ von 1669 im Rathaussaal in Deventer), die Terborch in seinen Wanderjahren und später in Deventer malt, verwertet er seine Be kanntschaft mit Werken van Dycks, die er in London gesehen hat, und Veläzquez’, die er in Madrid studieren konnte. Er stellt seine Personen gerne in ganzer Figur dar, schwarzgekleidet und in selbstbewußter Haltung zwi schen einem Stuhl und einem Tisch stehend, deren Bezüge oder Plüsch decken neben der Fleischfarbe meist die einzigen farbigen Teile im Bilde sind. - Der Hauptgegenstand seiner Kunst aber, der seinen Weltruhm begründet, ist seit seiner Rückkehr in die Heimat das Gesellschaftsstück aus den Kreisen vornehmer oder wenigstens eleganter Bürgerlichkeit. Es sind Darstellungen geselliger Unterhaltungen, Besuchs- und Musikszenen, stets Bilder kleinen Formats mit wenigen Figuren, die sich in behaglichen Räumen still und zuzeigen, wie unwichtig im Grunde die „Richtigkeit“ der Perspektive oder anderer Kunstmittel ist, wie wenig die Qualität eines Kunstwerkes davon betroffen wird, wenn nicht immer alles „stimmt“. PIETER DE HOOCH (vor dem 20. XII. 1629 bis um 1685). In Delft fin den sich bald nach der Jahrhundertmitte einige Künstler zusammen, die ihre besten Kräfte der Schilderung des holländischen Wohnraums und seiner Insassen widmen, während gleichzeitig eine andere große Künstlergruppe, aus der Emanuel de Witte (s. S. 92) als der bedeutendste hervorragt, die malerische Darstellung des Kirchenraums pflegt. Nach dem frühen Tode des Rembrandt-Schülers Carel Fabritius (s. S. 79), der mit perspektivischen Raumbildern vorangegangen war, sind es namentlich Jan Vermeer van Delft und Pieter de Hooch, die das’Raumproblem im Genrebild zu lösen unternehmen. Pieter de Hooch (oder de Hoogh) wurde als erstes Kind eines Maurers in Rotterdam geboren. Neu aufgefundene Jugendwerke machen