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weise und den Auf- und Abstieg seines Lebens, zeigen den ernst studierenden Jüngling der Leidener Zeit, den jungen eleganten Künstler und erfolgreichen, ehrgeizigen Modeporträtisten der ersten Amsterdamer Jahre, den drauf gängerischen Meister der hohen Zeit des Barock und den romantisch beseelten Träumer, den reifen selbstbewußten Meister als heimlichen König in seinen Bezirken, der sich den Teufel kümmert um die Meinungen der Welt und er haben über sein Schicksal triumphiert, den alternden Mann, der sein Äußeres vernachlässigt, und schließlich den seelisch zermürbten, körperlich verfallen den Greis, einen Verächter der Welt und der Menschen. Unser Bild ist viel leicht das letzte oder vorletzte, in dem er sich selbst geschildert hat, wenige Monate vor seinem Tode entstanden. Er will nicht mehr repräsentieren, wie einst, als er die Häßlichkeit seiner Züge mit der knolligen Nase noch zu verschönen suchte, im Gegenteil: er malt, sich selber zum Hohn, seine grin sende Fratze, wie er, gebeugt nicht nur vom Alter, durch sein armseliges Ate lier am Rande der Stadt wankt, den Malstock in der Hand, umgeben von den alten Werkstattrequisiten, die er gerettet hat, der Gipsbüste eines an tiken Cäsaren, staubigen Waffen- rüstungen und Büchern, aber noch mit einem gleißenden Seidentuch und einem Medaillon an goldener Kette behängt. So sieht er sich im Spiegel, prüfenden Auges, zweifelnd lallenden Mundes, nicht gell hohnlachend, wie man gedeutet hat, sondern scheu und verlegen, wohl selbst von seinem Aus sehen erschüttert und doch unbarm herzig gegen sich selbst wie ein Narr, der über sein jämmerliches Dasein weinen und lachen kann. Das von Furchen zerhackte, fleckenvolle Ge sicht, von Licht übergossen, wird mit unerhörter, ungeschwächter Meister schaft in all seinen Einbuchtungen und seiner höckerigen Oberfläche wie dergegeben und zu höchster male rischer Wirkung gebracht. Daß die Zeitgenossen Rembrandts, die nach der Konsolidierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in ihrem Freistaat zu Wohlstand und be häbigem Lebensgenuß gelangten und in der Kunst das Glatte, Einschmei chelnde, Erhebende, Gepflegte ver wirklicht sehen wollten, von dieser souveränen Malweise abgestoßen wur den, läßt sich begreifen. Auch daß ihm die Schüler davonliefen und das bei ihm Gelernte schnell wieder ver gaßen, ist nicht verwunderlich, denn die Größe seines Geistes und seine see lische Tiefe waren nicht übertragbar. Trotzdem ist seine Wirkung überall zu spüren, und kaum einer der holländischen Meister des 17. Jahrhunderts ist von ihm unbeeinflußt geblieben. Seine späte Entwicklung allerdings hat nur einer, der aus Dordrecht gebürtige Aert de Gelder (1645-1727), ge treulich und gewandt nachzuahmen gewagt und verstanden. NICOLAES MAES (Nov. 1632 bis vor dem 24. XL 1693). Aus Dordrecht erhält Rembrandt besonderen Zulauf von Schülern. Um 1633/35 kommt Ferdinand Bol (1616-1680), der sein Bestes in Porträts und Gruppenbild nissen gibt, später aber von seinem Meister abrückt und zu akademischer Glätte übergeht. 1641 tritt Samuel van Hoogstraten (1626-1678) bei ihm ein, der Rembrandts Weise in häuslichen Sittenbildern weiterentwickelt und 1665 seinen Schüler Aert de Gelder an seinen einstigen Lehrer abgibt. Der begabteste Dordrechter Rembrandtschüler indes ist Nicolaes Maes, der von 1648 bis 1653 bei ihm arbeitet und wohl noch während dieser Lehrzeit seine ersten bedeutenden Bilder malt, deren Zuschreibung an ihn allerdings nicht gesichert ist. Außer ein paar religiösen Darstellungen und einem Sittenbild „Das kartenspielende Paar“ (London) gehört dazu vor allem das eigenartige Louvre-Bild „Die badenden Knaben“. Andere, wenig später entstandene Jugendarbeiten gleiten allzusehr ins Gefühlvolle ab. Ende 1653 kehrt Maes nach Dordrecht zurück, wo er bereits im Januar des nächsten Jahres eine junge Predigerswitwe heiratet, das Modell seiner zahlreichen Darstellungen handarbeitender, essen bereitender, aus dem Fenster lehnen der oder an der Treppe lauschender Frauen. In den folgenden Jahren, namentlich zwischen 1655 und 1665 entstehen seine besten Werke dieser Art, behagliche Sittenbilder bürger lichen Familienlebens, die zu den fein sinnigsten Schöpfungen der Rem- brandtschule und zu den besten Gen redarstellungen der holländischen Ma lerei gezählt werden. Das goldige Licht, das in Verbindung mit einem frischen Zinnoberrot neben Schwarz und Weiß aus dem vereinheitlichenden Dunkel dieser Bilder leuchtet, die anheimelnde Stimmung und der gemütvolle Ton dieser eng umgrenzten Alltagsmalerei erinnern immer wieder an die Schilde rungen Rembrandts aus dem Fa milienleben der Bibel, zumal wenn der Künstler, wie in unserm Berliner Bild „Alte Frau beim Äpfelschälen“ (55X5 O cm), runzlige greise Mütter chen bei ihrer stillen Hausarbeit dar stellt. Er setzt sie gern in die Nähe eines Fensters, so daß sie voll vom Licht getroffen werden, und reiht sie mit dem schlichten Hausrat, hier dem Spinn rad, dem Eimer und dem aufgeschla gen auf die Fensterbank gelegten Bi belbuch, in einer Ebene aneinander, die parallel zur Bildfläche dicht vor der nahen Wand liegt. Aber da diese traulichen Interieurbilder von den Zeitgenossen weniger begehrt werden als posierende Porträts im Geschmack des flämischen Barock, entscheidet sich Maes, vielleicht nach einem Aufenthalt in Antwerpen, für den Beruf eines mo dischen Porträtisten. Die zahlreichen Bildnisse seiner letzten zwanzig Jahre, die er in Amsterdam zubringt, wirken durch ihre fade Glätte unerfreulich. CAREL FABRITIUS (1622 bis 12. X. 1654). Das zwischen dem Haag und Rotterdam gelegene Städtchen Delft, berühmt als Herstellungsort feiner Tonwaren, der „Delfter Fayencen“ des 17. und 18. Jahrhunderts, beginnt erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts als Heimatsort und Wirkungsstätte be deutender Maler für die Kunstgeschichte wichtig zu werden. Hier entwickelt sich zunächst eine überaus tätige Bildniswerkstätte unter Führung des Michiel Jansz. Mierevelt (1567-1641). Vor allem aber wirken gegen Mitte des 17. Jahrhunderts in Delft einige der hervorragendsten Sittenbildmaler Hollands, unter ihnen Carel Fabritius, Pieter de Hooch und Jan Vermeer, die ein besonderes Interesse für Raumschilderung verbindet, sowie zeitweilig auch Jan Steen und schließlich eine Reihe von Architekturenmalern, von denen wir Emanuel de Witte hervorheben (s. S. 92). Carel Fabritius ist mit seinem Bruder Barent, der ebenfalls Maler war, aus Midden-Beemster (zwischen Alkmaar und Edam) zunächst nach Amster- Rembrandt: Selbstbildnis. Köln, Wallraf-Richartz-Museum