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werken und liefert ihr Bilder, die er, aller äußeren Sorgen enthoben, malt, ja er kann sogar seine leidenschaftliche Kauflust weiter befriedigen. Dennoch bleibt er bis an sein Lebensende unzuverlässig in allen Geschäften und in der Einhaltung von Lieferfristen. Nach dem Tode Hendrickjes (um 1662) scheint er als Teilhaber in das Geschäft eingetreten zu sein. Man hat viel davon gesprochen, daß das persönliche Ungemach, das ihm widerfuhr, sein Leben zerstört und sein Schaffen beeinträchtigt habe. Ein Abstieg seiner Kunst ist jedoch nicht erfolgt, und die künstlerische Wertschätzung der Zeit genossen - mag auch eine in Holland gewiß nicht geringe Anzahl von Mo ralisten und kleinkrämerisch denkenden Bürgern sich zurückgezogen haben — hat im großen ganzen nicht nachgelassen, wenigstens kaum als Folge seiner Lebensführung und seines geschäftlichen Schiffbruchs, denn im Jahre des Bankrotts erhält er den Auftrag auf sein zweites „Anatomiestück“, und 1661/1662 malt er für den Staalhof, das Gildenhaus der hochangesehenen Amsterdamer Tuchmacher, sein berühmtes Gruppenbildnis „Die Staal- meesters" (Amsterdam), das das Fünfmännerkollegium bei einer Sitzung zu einem überaus lebensvollen und würdevollen Szenenbild vereint. Im Jahre 1661 erhält er sogar von der Stadt einen bedeutenden Auftrag: er soll für die große Galerie des Rathauses ein historisch-allegorisches Gemälde liefern, das eine Episode aus der ältesten holländischen Geschichte behandelt. Das Riesenbild „Der Treuschwur des Julius Civilis“ (Stockholm, Museum) miß fiel jedoch seines malerisch-phantastischen Charakters wegen den Häuptern der Stadt und wurde zunächst zur Übermalung, dann wohl endgültig dem Künstler zurückgegeben, der es selbst auf den vierten Teil seines einstigen Umfangs beschnitten hat. Dieser Mißerfolg scheint ihn schwerer getroffen zu haben als alle Schicksalsschläge und persönlichen Kränkungen, die sein unbeirrtes Selbstbewußtsein überwand. Sein immer entschiedeneres Vor dringen zu rein malerischer Auffassung fand bei den Spießern kein Ver ständnis mehr. Jetzt wird er der große Einsame, der sich dem allgemeinen Wandel des Geschmacks zu gefälliger Ausdrucksweise, der er in den „Staal- meesters" noch Zugeständnisse gemacht hatte, entgegenstemmt. Motive des Alleinseins oder Zuzweitseins, der Verzweiflung, der inneren Zerrissenheit, der Selbstaufgabe und der sich ankündenden Todes nähe mehren sich im Alters werk; sie werden zu monu mentalen erschütternden Selbstgesprächen. Tiefste Offenbarungen eines kon fessionslos religiösen Ge fühls und volles Verstehen menschlicher Tragik be deuten die letzten nach bi blischen Stoffen geschaffe nen Gemälde „Saul und David“ (um 1665; Haag) und „Heimkehr des ver lorenen Sohnes“ (um 1668 oder 1669; Leningrad), de nen bereits „Jakobs Segen“ (1656; Kassel) und die empfindungsvolle, von Els heimers Bild (Abb. S. 29) inspirierte mythologische Szene „Philemon und Bau- cis“ (1658; Philadelphia, Privatbesitz) vorausgingen. Das Kolorit wandelt sich vom goldbraunen Gesamt ton wieder zu einer leuch tenden Skala, die durch ein feuriges Rot bestimmt wird. Auf zeichnerischen Umriß verzichtend, läßt er die Fi guren sich rein aus der Farbe entwickeln, die oft pastös (dick) mit dem Spachtel aufgetragen und mit dem Pinselende oder den Fingern geknetet wird. Ebenso verfährt der Meister in den letzten Bildnissen. Auch sie sind Selbst- oder Zwiegespräche in sich versunkener Menschen, die mit der Außenwelt in keine Beziehung treten wollen und sich demütig dem Schick sal gebeugt haben oder vom Geschick nichts mehr erwarten. Selbst das auf dem berühmten farbenglühenden Doppelbildnis „Die Judenbraut“ (um 1668; Amsterdam) wiedergegebene Ehepaar zeigt diese entsagende, hier aber noch nicht hoffnungslose Schicksalsergebenheit, die sich besonders be redt in den seelenvollen, zärtlich tastenden und Verständigung suchenden Händen des Brautpaares äußert - Symbol der Bereitschaft, ein gemeinsames Schicksal zu tragen, was auch kommen mag. Nur einmal, in dem hier ab gebildeten Braunschweiger „Familienbildnis“ von 1668/69 (1,26X 1,67 m), klingt durch die Resignation ein froher und glücklicher Ton sieghaft durch, der nicht nur durch die prachtvolle harmonische Farbigkeit erzeugt wird, sondern auch in den gefühlstief ausgedeuteten Gesichtern zur Sprache kommt. Ein Ausdruck zwischen Glück und Bangen liegt in den Zügen der Mutter, die sich einer Madonna gleich gedankenvoll ihrem Jüngsten zu neigt. Vielleicht gehen wir zu weit, wenn wir aus dem Gesicht des Vaters neben der stolzen Besitzfreude und dem Feiertagslächeln die für den Augen blick abgestreiften Alltagssorgen herauslesen. Er blickt als einziger - außer dem Kleinsten - aus dem Bilde heraus und scheint mit den Gedanken nicht ganz bei dem Familienfest zu sein, das ihn bewogen haben mag, mit einem Blümchen in der Hand sich im Kreise der Seinen zu zeigen. Wahrscheinlich ist der Anlaß dieses zu einer lebendigen Szene gewandelten Gruppen porträts der Geburtstag der Gattin, der von dem ältesten, schon fast damen haften Töchterchen ein Blumenkörbchen überreicht wird. Und wie ist das alles gemalt! Tritt man direkt vor das Original, so flimmert und gleißt es wie ein Mosaik aus funkelnden Edelsteinen, die scheinbar willkürlich nebenein ander ausgebreitet sind. Aus der Ferne aber und in unserer kleinen Wieder gabe fügt sich Steinchen neben Steinchen zu einem lebensvollen Ganzen zusammen. Das Leben ist so vollkommen verwirklicht, daß die behutsam stützende Mutterhand eine mit dem Hopsen und Schaukeln des Kindes mit schwingende Bewegung zu haben und die Rechte des Kindchens mit der Klapper zu vibrieren scheint. Das ist nicht die Bravour eines Vir tuosen, der zeigen will, was er kann, sondern letztes Ergebnis lebenslänglichen Studiums, das den Wun dem des Lichtes und der Farbe galt. Als letztes Bild aus dem vielfältigen Schaffen des Meisters bringen wir sein erschütterndes Selbstbild nis der ehemaligen Samm lung Carstanjen, das sich heute im Kölner Wallraf- Richartz-Museum befindet (82x63 cm). Etwa hun- dertSelbstdarstellungendes Meisters in gemalten und radierten, seltener gezeich neten Bildnissen, fast aus jedemjahr seines Schaffens stammend, sind uns erhal ten geblieben. Es sind Stu dien oder sorgfältig ausge führte Arbeiten, auf reprä sentative Wirkung ausge hende oder seelisch tief schürfende Werke. Sie be gleiten die Wandlungen sei- eines Stiles, seiner Porträt- auffassung und seiner Mal- Rembrandt: Familienbildnis. Braunschweig, Museum