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Rembrandt: Badende Frau. London, National Gallery Zug, der ergreifend die Todesnähe kündet, verstärkt sich noch in späteren Bildnissen des Titus, den der Meister liebte und den er mit 27 Jahren, ein Jahr bevor er selber starb, zu Grabe tragen mußte. Titus hat im Februar 1668 geheiratet, ein halbes Jahr später siecht er dahin, und im März 1669 bringt seine junge, in ihrem Verhalten zum alternden Meister nicht sympathische Witwe eine Tochter, Titia, zur Welt. Das ruhig Abgewogene der fünfziger Jahre erweist namentlich auch der Vergleich der Saskia-Bildnisse mit denen der Hendrickje. Während die erste Gattin gerne mit herausfordernder Keckheit dargestellt und das Funkeln der Steine, der Glanz der Perlen und die beunruhigende Vielfältigkeit sich bauschender Stoffe mit einer schwelgerisch ausgekosteten Freude an der Kleinarbeit geschildert wurde, vermeiden die Bildnisse der Hendrickje, auch wenn sie, wie einst Saskia, als blumenstreuende „Flora“ (New York, Me tropolitan Museum) gemalt wird, jeden äußeren Prunk. Auch sie trägt auf den acht Gemälden, die ihr Porträt festhalten, reiche Gewänder und wert vollen Schmuck, aber dieses Beiwerk drängt sich nicht vor, sondern wird von Haltung und Gesichtsausdruck beherrscht. So ist auch auf dem hier wiedergegebenen Berliner Bilde von etwa 1658/59 (86x65 cm), das sie im Rahmen eines offenen Fensters zeigt, nur das Gesicht sorgfältig durchgear beitet und plastisch geformt, alles andere untergeordnet. Wer gerne dahin terkommen möchte, durch welche Pinselstriche der Künstler die Seele, die in dem Bilde doch so offen zutage zu liegen scheint, zum Ausdruck bringt, wird vergeblich suchen; das gehört zu den unenträtselbaren Geheimnissen Studienköpfen, für die er sich Bettler, Greise, Ausgestoßene, Juden als Mo delle nimmt, vollzieht sich die Wand lung vom Modeporträtisten zum sub jektiven Seelendeuter. Rembrandt ge winnt jetzt völlige Freiheit von aller Konvention und stellt den Menschen so dar, wie er ihn mit den geheimnis vollen Kräften seiner Seele wahrnimmt und erlebt. Das kommt auch den be stellten Bildnissen zugute, von denen wir das des Nicolaes Bruyningh (1652; Kassel) und das des Bürgermeisters Jan Six (1654; Amsterdam, Familie Six) hervorheben. Ihnen steht an Rang etwa gleich das hier wiedergegebene, um 1656 gemalte Wiener Bildnis „Des Künstlers Sohn Titus“ (71x62 cm), das den 15jährigen braungelockten Jüngling im Lehnstuhl sitzend und weltentrückt lesend darstellt. Das Licht trifft, vergoldend und verklärend, Haar, Schläfe und die Spitze der Nase sowie die auf der Lehne ruhende Hand und die Innenfläche des Buches. Re flexe an Kinn, Oberlippe und Wangen hellen auch die übrigen Teile des Ge sichtes auf, so daß sich die Umrisse ahnen lassen, aber alles ist auf male rischen Ferneindruck gestellt. Feste Konturen fehlen, und plastische Form wird nicht erzielt, sondern der Ein fühlungsgabe des Betrachters, seinem Vermögen, sich aus geringen Anhalts punkten selber eine ahnende Vorstel lung des Menschen und seines Wesens zu formen, weitester Spielraum ge lassen. Titus liest offensichtlich etwas, das seine innerste Anteilnahme weckt, so daß sein Mund unwillkürlich die Gedanken nachformt. Die Feinnervig keit des jungen Menschen offenbart sich, von einer unheimlichen Seher gabe geheimnisvoll festgebannt. Dieser lieh verachtet der nordische Künstler die schöne klassische Linie, dafür aber weiß er der Haut einen duftigen Schimmer zu verleihen, der alle „Häßlich keiten“ aufhebt. Wie er in diesen reifen Jahren ein einfaches menschliches Thema behandelt, soll ein anspruchsloses Genrebildchen, die „Badende Frau“ von 1654 in der Londoner National Gallery (61X45 cm), bezeugen. Vor dunkelbraunem Schattengrund tritt eine junge Frau hellbeglänzt ins kühle Wasser, um ein Bad zu nehmen. Mit gewinnender natürlicher Anmut hebt sie behutsam das grobkörnige Hemd, das mit kräftigen Pinselstrichen hin gemalt ist, und läßt die Reize ihres goldbraun funkelnden Körpers mehr ahnen als sehen. Mit dem wohligen Gefühl der erquickenden Kühle mischt sich die leise Furcht vor Untiefen, glatten oder spitzen Steinen. Hendrickje, die auch für diese bezaubernde Frau Modell stand, ist dem Meister in der Zeit seines wirtschaftlichen Zusammenbruches eine wertvolle Stütze. 1656 erklärt er unter dem Druck seiner Gläubiger seine Zahlungsunfähigkeit und stellt an den Hohen Rat im Haag den Antrag, sein Hab und Gut zugunsten der Gläubiger zu versteigern. In drei Auktionen wird sein ganzer Besitz, das Haus mit den Sammlungen, veräußert, aber seine bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm nicht auf die Dauer genommen, wenn er auch künftig in der • Ausübung eines selbständigen Berufes beschränkt ist. Hendrickje gründet nun gemeinsam mit Titus ein Kunsthandelsgeschäft. Sie schließen mit Rem brandt einen Vertrag, durch den er ihr Angestellter bei freier Kost und Wohnung wird. Er berät die Firma im Ankauf und Verkauf von Kunst- des genialen Meisters, die er selber nicht hätte erklären können. Man er kennt: dieser Mensch ist gutherzig, freundlich im tiefsten Wesen, offen, an hänglich und verständig, wird heiter sein, wenn auch nicht ausgelassen, und melancholisch, wenn auch nicht kopf hängerisch, kann sich fügen und schmiegen und sich doch durchsetzen, ist sanft und tatkräftig zugleich, nie mals aufbrausend oder herrisch. Alles das spricht aus Antlitz und Haltung, auch für den, der von dem Leben die ser Frau nichts weiß, aber das liegt nicht in diesem oder jenem Strich oder Zug ausgedrückt. Zugleich mit dem Einblick in die Seele bietet der Künstler auch ein bezwingendes Au generlebnis. Er bringt es durch die Magie seines Helldunkels und seiner Farben hervor, unter denen das Blau wie fast immer in seinen Gemälden fehlt. Mit warmen, nicht einmal stark abgewandelten braunen, roten und gelben Tönen erreicht er eine fas zinierende funkelnde Goldwirkung, wie sie Geschmeide, Edelsteine und auserlesene Kostbarkeiten erzeugen. Hendrickje ist jetzt, wie vorher Saskia, das Modell junger Frauen in szenischen Darstellungen, wie der „Susanna im Bade“ (schon 1647; Berlin), der köst lichen Atelierszene „Rembrandt und Hendrickje“ (um 1652; Glasgow, Mu seum), der „Bathseba“ (1654; Paris), der „Frau Potiphar“ (1655; Leningrad und Berlin) und zuletzt in dem Bilde „Venus und Amor“ (um 1662; Paris), das, ganz unantikisch, die bekleidete Halbfigur einer behäbigen Bürgers frau mit ihrem Jungen im Arme zeigt. Auch in der Graphik erkennen wir die bäurisch einfache Schönheit ihres Ak tes, den Rembrandt keineswegs nach klassischen Richtlinien idealisiert. Frei