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mensz. van Rijn (Hermannssohn von der Rhein-Mühle) nennt, 1623 wieder einen Italienfahrer, den geschätzten Romanisten Pieter Lastman (1583 bis 1633) in Amsterdam. Nur ein halbes Jahr dauert seine Tätigkeit in der Werkstätte dieses erfinderischen Ma lers biblischer, legendärer und my thologischer „Historienbilder“. Mit noch nicht 20 Jahren ist er bereits als selbständiger Meister wieder in seiner Vaterstadt. Ebenso wie sein gleich strebender Freund Jan Lievens (1607 bis 1674) lehnt er es ab, die übliche Bildungsreise nach Italien zu unter nehmen, über dessen alte und neue Kunstrichtungen er sich durch seine Meister genügend unterrichtet glaubt. Tatsächlich hat er die beiden entschei denden Wege italienischer Barockma lerei, den „Caravaggismus" und den „Carraccismus", durch seine Lehrer kennengelernt, denn Swanenburgh, der 1599-1617 in Neapel lebte, hat das Schaffen des Naturalisten Caravaggio und seines Neapeler Kreises in näch ster Nähe miterlebt, und Lastman hat sich, als er um 1605 in Rom weilte, von Annibale Carraccis beschwingter Wiederbelebung der klassischen Re naissancekunst leiten lassen und war auch zu Elsheimers römischer Malerei in Beziehung getreten, dessen Einfluß wir ebenfalls bei Rembrandt feststellen können. Die Nachfolge Caravaggios in Holland, vornehmlich in Utrecht, muß ihm gleichfalls bekanntgeworden sein, denn ihre charakteristischen Mo tive, wie Soldaten am Lagerfeuer und Szenen mit Halbfiguren bei flackeriger Kerzenbeleuchtung, erscheinen auch in seinen ersten Gemälden. In der stillen Zurückgezogenheit der väterlichen Mühle, fernab von dem Strom der Weltstadt Amsterdam, reift der junge Künstler bei emsigem Studium zum universalen Meister heran. Das arbeitsreiche Schaffen in den fünf Leidener Jahren von 1626 bis 1631, das ihm bald Erfolge bringt, führt ihn schon an fast alle Probleme heran, die ihn sein Leben lang beschäftigen. Auch alle Bildgattungen mit Ausnahme der Land schaft erscheinen bereits in seinem Frühwerk, und man erkennt, daß er sich über das Spezialistentum der kleinmeisterlichen Leidener Feinmalerei er heben wird. Im Vordergründe seines Interesses steht von Anfang an die menschliche Gestalt in ihrer Beziehung zum umgebenden Raum unter Be obachtung besonderer Lichtverhältnisse, in ihrer sorgsamen Einbettung in die Fläche des Bildes und, nicht zuletzt, in ihrer seelischen Durchdringung. Handzeichnungen mit Rötelstift, Kreide oder Feder erweisen sein unablässiges Naturstudium nach dem bekleideten und nackten Modell, oft zeigt sich in ihnen ein übertriebener Naturalismus, der selbst vor unschönen Formen nicht zurückschreckt. Ergebnisse der Modellstudien legt er in Radierungen fest, deren früheste wohl etwa gleichzeitig mit den ersten datierten Gemälden (1626) entstehen; das älteste Datum der graphischen Arbeiten trägt ein ra diertes Selbstbildnis von 1629. Durch Erweiterung der technischen und künst lerischen Möglichkeiten erhebt er die Radierung zu einer selbständigen Kunstart, die bald fast gleichberechtigt neben der Malerei steht. Sein Streben nach Naturwahrheit trifft mit der nationalen holländischen Abkehr von den idealisierenden Tendenzen der Romanisten und mit der allgemeinen Nei gung zur Wiedergabe der schlichten Alltäglichkeit zusammen.. Er zeichnet, radiert und malt mit Vorliebe runzlige Greise mit durchgeistigten Zügen, Eremiten und Apostel in körperlicher und seelischer Bedrängnis oder ehr würdige Matronen, aus deren Antlitz tiefe Religiosität spricht. Als Modelle dienen ihm hauptsächlich seine An gehörigen, das grämliche Gesicht des Vaters und das ernste und gütige der bibelfesten Mutter, daneben auch das etwas leere, kleinbürgerliche der Schwester Lijsbeth. Vor allem aber benutzt er sich selber als sein bestes und willfährigstes Modell. Er studiert sein Gesicht im Spiegel, um den Ausdruck gesammelter Aufmerksamkeit, das ver änderliche Muskelspiel beim Lachen, Nachsinnen, Träumen oder bei stär keren Gemütsbewegungen zu erfassen und festzuhalten. Zugleich sind ihm diese Bildnisse, für die er sich und die ihm Nahestehenden seit 1629 manch mal phantastisch kostümiert, Experi mente der Helldunkelmalerei. Er läßt dasGesichtvonscharfemSeitenlichtge- troffen werden, so daß nur eine Wange und ein Nasenflügel auf leuchten und der übrige Teil des Kopfes, von Haa ren, einem Barett oder einem feder geschmückten Hut beschattet, in tie fem, nur durch Reflexe erhelltem Dun kel liegt; weniger wichtig erscheint ihm in solchen Studienköpfen die Ähnlich keit der dargestellten Person. Eine neue Seite des Helldunkelproblems wird in Bildern dämmeriger, manchmal stark geweiteter Innenräume mit einzelnen Gestalten oder einer Gruppe von Men schen erarbeitet. Die Figuren erhal ten in solchen Gemälden ein kräftiges Licht, dessen Quelle eine meist ver deckte Kerze oder ein nahes, oft nur angedeutetes Fenster ist oder das ma gischen Ursprungs zu sein scheint. Dient dieses Licht, dem schon die Früh- bilderihre außerordentliche Wirkung verdanken, anfangs sorgfältiger Kör permodellierung, so benutzt es der junge Meister bereits im „Christus in Emaus“ (um 1628; Paris) rein als ein Mittel dramatischer Steigerung eines visionär erlebten Geschehens. Grelle Beleuchtung oder weicher Lichtschim mer erzeugt die jeweils dem Motiv gemäße Stimmung. Das Alte Testament, das Rembrandt von früh auf durch seine Mutter kennenlernt, hat mit seinen grausig-düsteren und fremdartig-seltsamen Legenden die Phantasie des wer denden Künstlers besonders erregt. Er sieht diese Geschichten und die des Neuen Testamentes mit ganz neuen Augen und sucht unabhängig von der Überlieferung des Südens ihren seelischen Gehalt zu ergründen oder sie kraft seines anders gearteten, nordischen Gemütes zu vertiefen. Die Menschen der Bibel stellt er in der Bcttlertracht seiner Zeit oder in farbenreichen, phan tastischen Gewändern dar, wie er sie bei den reichen Amsterdamer Juden oder bei Orientalen auf heimgekehrten Ostindienfahrern gesehen haben mag. Anfangs betont er ihre mauscheiige Gebärdensprache, und auch später noch, als er in Amsterdam, in der Nähe des Ghettos wohnend, mit den Ju den in nähere Beziehung getreten ist und ihren Kultgebräuchen das Lokal kolorit zu seinen biblischen Szenen entnimmt, hat er den charakteristischen Ausdruck und die typischen Bewegungen der Israeliten oft beibehalten. Die bunte Lokalfarbigkeit der Stoffe, wie sie in den frühesten Gemälden vor herrscht, wird schon in der letzten Leidener Zeit durch einen grauen, ins Stahlbläuliche oder Grünliche gehenden Gesamtton gebunden, dessen Kühle hier und da einem warmen Goldton weicht. Trotz Feinmalerei auf kleinen, manchmal miniaturhaften Tafeln erreicht Rembrandt, vornehmlich durch Rembrandt: Selbstbildnis des Künstlers mit seiner Gattin Saskia van Uijlenburgh. Dresden, Gemäldegalerie