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DIE HOLLÄNDISCHE MALEREI IM 17.JAHRHUNDERT Ais sich die sieben niederländischen Nordprovinzen Holland, Zeeland, Friesland, Overijssel, Geldern, Utrecht und Nordbrabant von Spanien los gesagt hatten und ihren eigenen Staat zu zimmern begannen, da standen die Bürger dieses neuen Staatswesens vor einer Fülle bedeutsamster Auf gaben, die sie mit der ihnen eigenen Klarheit und Nüchternheit bedäch tigen Denkens und tatkräftigen Handelns zu lösen unternahmen. Auch nach dem die Trennung vom Deutschen Reiche durch den Westfälischen Frieden 1648 vollzogen und die spanische Fremdherrschaft endgültig beseitigt war, hatte man sich bis zum Jahrhundertende auswärtiger Feinde zu erwehren, namentlich Frankreichs und Englands. Die holländische Flotte war im 17. Jahrhundert die mächtigste der Welt. Neben dem berühmten Admiral de Ruyter, der 1667 die Themse blockiert, haben zahlreiche andere volks tümliche Seehelden in meist siegreichen Seeschlachten für Hollands Waffen ehre und Freiheit gestritten. Nicht minder tatkräftig zeigten sich die Hollän der bei der Erwerbung überseeischer Kolonien in Ost und West; 1602 war in Amsterdam die Ostindische Compagnie, 1621 die Westindische Com pagnie gegründet worden, deren erfolgreiches Wirken Holland zu einem der reichsten Länder Europas gemacht hat. Die Schützengilden in den Städten hielten während der kurzen Friedenszeiten die kriegerischen Tra ditionen wach. Auch die Innenpolitik und das kirchliche Leben waren durch kampfreiche Auseinandersetzungen gekennzeichnet, in denen sich der nüchterne Sinn der Holländer und ihre bürgerliche Tüchtigkeit bewährten. Größten und unvergänglichen Ruhm aber erwirbt Holland im 17. Jahr hundert durch seine Malerei. Man konnte erwarten, daß bei so kriegerischen Zeiten die Künste schwer darniederliegen würden, zumal hier der Bilder sturm 1566 stärker als anderswo gewütet hatte und die calvinistische Kon fession streng gegen jeden Bilderschmuck in den Kirchen auftrat. Aber das Gegenteil ist der Fall: das kleine Land bringt eine unvorstellbar große Zahl bedeutender und eigenartiger Maler hervor, darunter Meister, die zu den ersten aller Zeiten gehören. Mindestens aber konnte man erwarten, daß die Kunst des heldenhaft für seine Freiheit kämpfenden Volkes einen heroischen Grundzug haben würde; auch das Gegenteil hiervon ist jedoch festzustellen. Während der führende Meister der Flamen, die doch politisch unterjocht blieben, Rubens, in seiner Kunst das Heroische in stärkster Ausprägung repräsentiert, kommt in Holland, das einer einzelnen Persönlichkeit auch auf dem Gebiete der Kunst nicht die führende Rolle zuerkennen will, das Stille, Schlichte und Innerliche fast in allen Kunstäußerungen zum Aus druck. Trotz ähnlicher Erbanlage und mannigfaltiger nachbarlicher Be ziehungen entfernt sich das Schaffen holländischer Künstler im 17. Jahr hundert weit von dem der stammverwandten Flamen, das aus echtester Barockgesinnung erwächst. Was landläufig als Kennzeichen des Barockstils gilt: das Unruhvolle gegenüber dem Ausgewogenen der Renaissance, das Überschwengliche, Erregte, Kraftgeschwellte, das rauschende Pathos, das Repräsentative, das mit dem Siegerwillen der katholischen Gegenreforma tion und der Prachtliebe des fürstlichen Absolutismus einhergeht, all das liegt außerhalb des holländischen Kunstwollens in diesem Zeitalter. Den noch gehört auch die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts durch ihre eigenwillige, nationale Stellungnahme gegenüber künstlerischen Aufgaben, durch den ausgesprochenen Gegensatz ihrer Kunstauffassung gegen Renais sance und Manierismus und durch die neuartige Formulierung ihrer Augen erlebnisse zum Barock, bildet einen wesentlichen Bestandteil, wenn auch Sonderfall dieses weltumspannenden Stiles. Die kirchliche Kunst, die in den katholischen Ländern einen neuen, bis dahin unerhörten Glanz entfaltet, kann ihr in dieser Zeit kein Vorbild mehr sein, seitdem man ihren Inhalt als Götzendienst verworfen hat. Fast ihr ganzer Motivenschatz ist für den holländischen Künstler wertlos geworden, seitdem die Kirchenräume auf Bilderschmuck verzichten, und auch für das private Andachtsbild werden, wenn überhaupt, gerne andere Motive als bisher aus der Bibel hervorgeholt. Ja, man bevorzugt aus dieser von den Calvinisten als Buch der Bücher ver ehrten Legendensammlung der alten Christen und Juden zumeist novellen hafte Historien, die mit den christlichen Glaubenslehren recht wenig zu tun haben, wie die Geschichten von Tobias, Simson oder Saul, die man zudem mit einem ganz persönlichen Erlebnisgehalt erfüllt. Ähnlich verfährt man mit den mythologischen Stoffen und den Allegorien, die bisher fürstlicher Ruhmsucht und Überheblichkeit schmeichelten und nun teils als Sinnbilder menschlicher Leidenschaften, teils als komische oder tragische Anekdoten behandelt werden. Weit mehr Raum als alle Motive dieser Art nehmen in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts dagegen die einfachen, stillen Alltagserleb nisse ein. Man malt am liebsten das, was man täglich vor Augen hat, das Leben und Treiben des Bürgers, des Bauern, des Soldaten, des Straßen händlers und des Ausrufers, des Kaufmanns und des Marktschreiers, des Stubengelehrten und des Scharlatans, der Hausfrau und des Küchenmäd chens, das Geschehen auf den Plätzen und Straßen der Städte und Dörfer, auf den Kanälen und Flüssen sowie am Meeresstrand, auf den Viehweiden, in den Gärten und auf den Höfen der Häuser wie in den Wohnräumen, den Dielen und Küchen, den Wirtsstuben, Schulzimmern und Kirchen. Kein Winkel, kein Beruf, kein Teil des täglichen Daseins ist unwürdig, abgeschil dert zu werden. Um so mehr Liebe wird auf die Art der Darstellung ver wandt, auf die Köstlichkeit der Malerei, die Feinheit der Wiedergabe und auf die Ausprägung des persönlichen Stiles, dem von der Feinpinseligkeit bis zur impressionistischen Formauflösung unendliche Möglichkeiten offen stehen. Das gleiche Motiv immer wieder in wenig veränderter, ja in gleich artiger Weise zu malen, wird der Künstler nicht müde. Nur wenige haben den Ehrgeiz, alles zu versuchen; die meisten bleiben bei dem Fach, in dem sie ihre ersten Erfolge hatten. Da spezialisiert sich der eine auf das Stilleben, ja nicht einmal auf diese Gattung im allgemeinen, sondern darin wieder auf ein Sondergebiet und malt nur tote Fische oder nur Blumen. Von den Tier malern malt der eine nur Kühe, der andere nur Pferde, von den Landschaf tern der eine nur „Marinen“, also Bilder mit Schiffen, der andere nur Vieh weiden, der eine nur Dünen, der andere nur Architekturen, ja mancher be schränkt sich gar nur auf Innenansichten von Kirchen. Man trennt von den Landschaftsmalern als eine Sondergruppe die Maler der Figurenlandschaf ten ab, in denen Figur und Natur sich etwa die Waage halten. Unter den Genremalern unterscheidet man die Künstler des vornehmen Gesellschafts stückes, der Bauernszenen und des Soldatenstückes; es ist bezeichnend für die Holländer, daß sie den Soldaten selten bei seinem eigentlichen „Hand werk“, dafür um so mehr beim Saufen und Kartenspielen in den Wacht- Stuben oder bei Tändeleien mit Dirnen schildern. Fragt man angesichts dieser schier grenzenlosen Bildererzeugung, die außerhalb des Porträtfaches nicht mehr auf Bestellung, sondern nach Lust und Laune oder aus tiefstem Drang des Gestaltenmüssens erfolgt, nach den wirtschaftlichen Grundlagen des Malerberufs in Holland, so enthüllt sich allerdings die Kehrseite solcher Überproduktion, denn nur wenige und nicht etwa nur die besten finden ihr Brot durch ihre künstlerische Betätigung. Die meisten haben nebenbei oder hauptsächlich noch einen „bürgerlichen Beruf“, der sie ernährt. Viele sind Kunsthändler oder Kaufleute, Kneipenwirte oder Schiffer, der berühmte Ruisdael ist sogar Chirurg. Am günstigsten gestellt sind die Porträtmaler, denen es nicht an Aufträgen"fehlt. ABRAHAM BLOEMAERT (24-/25. XII. 1564 bis 27. I. 1651). Die auch nach der Befreiung der Niederlande beim katholischen Glauben gebliebene Bischofs- und Provinzialhauptstadt Utrecht hatte von allen Städten der nördlichen Niederlande die engsten Beziehungen zur romanischen Welt; 1522 war ein Utrechter sogar Papst (Hadrian VI.) geworden. Hier lebte seit 1517 einige Jahre einer der ersten Italienfahrer unter den niederländi schen Malern, Jan Gossaert (um 1478-um 1533/36). Hier wirkte auch nach haltig sein mutmaßlicher Schüler Jan van Scorel (1495-1562), der die italie nische Kunstweise in jahrelangem Aufenthalt in Venedig und Rom in sich aufgenommen hatte und dann in seine Heimat verpflanzte. Und hier wurde geboren, lebte und schuf bis 1567 Scorels Schüler, der weitgereiste Anthonis Mor (um 1519-um 1576), der Porträtist der internationalen Hofwelt. Diese von der romanischen Kunst zehrende niederländische Manieristenschule in Utrecht erhält im 17. Jahrhundert neuen Auftrieb besonders durch Abra ham Bloemaert, der, in Dordrecht als Sohn eines Bildhauers und Baumeisters geboren, 1576 zum erstenmal nach Utrecht kommt. Er lernt bei seinem Vater zeichnen, ist dann kurze Zeit bei einem Utrechter Maler und kopiert