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kaum ein Originalbild Pieter Bruegels d. Ä. hat sehen können, und wenn er auch in seiner Einstellung zum Bauerntum ganz anders war als dieser große Poet des Landlebens, so darf er doch als der bedeutendste, ja als der einzige große Nachfahre des älteren Bauernschilderers gelten. DAVID TENIERS D. J. (vor dem 15. XII. 1610 bis 25. IV. 1690). Brou wers Kunst, deren treibende Kraft sich am stärksten in Holland auswirkte, fand im Bereich der flämischen Malerei nur wenige Nachfolger. Der volks tümlichste und erfolgreichste ist David Teniers, der zum Unterschied von seinem gleichnamigen Vater, einem mittelmäßigen Landschafts-und Genre maler, der Jüngere genannt wird. Die handwerkliche Ausbildung in der väterlichen Werkstatt in Antwerpen gibt ihm frühzeitig eine erstaunliche Fertigkeit, mit der er rasch ein Bild nach dem anderen malt, um den arg verschuldeten Alten von Haftstrafen zu befreien. Im Jahre 1633 läßt er sich als Meister in die Lu kas-Gilde aufnehmen,und bereits 1637, als er Jan Bruegels Tochter Anna, Rubens’ Mündel, heira tet, hat er es zu Ansehen und Vermögen gebracht. Von dieser Zeit an können wir Teniers’ Schaffen gut verfolgen, zumal er seine Bilder, von denen sich mehr als tausend erhalten haben, häufig datiert. Im Jahre 1651 übersiedelt er nach Brüssel, um in die Dienste des Statthalters Erzherzog Leopold Wil helm als Hofmaler und Galeriedirektor zu treten. Die Einkünfte aus dieser Stellung und die ertrag reichen Beziehungen zu anderen kunstsinnigen Höfen erlauben ihm bald den Bau eines eigenen Hauses, das er sich präch tig einrichtet, und einige Jahre danach den Kauf eines Landgutes zwischen Brüssel und Antwerpen. Aber vergebliche Bemü hungen um ein Adels prädikat, unaufhörliche Streitigkeiten und Pro zesse vergällen dem ehr geizigen Mann den Genuß seiner glänzenden Erfolge und verdüstern seinen Lebensabend, den er hochbetagt in Brüssel beschließt. Teniers’ früheste datierbare Arbeiten sind um 1632/34 entstandene Dar stellungen des „Verlorenen Sohnes bei den Dirnen“ (Berlin und München) und der „Fünf Sinne“ (Brüssel), die er in der damals beliebten Form des flämischen 'Gesellschaftsstückes gibt. Unmittelbar folgen ihnen die ersten Bauern- und Kneipbilder, deren derbe Auffassung und starke Helldunkel wirkung die Nähe Brouwers verraten. Aber weder die „Zechenden Bauern“ (Mannheim), noch die als Gegenstücke gemalten „Trinker“ und „Spieler“ (Kassel), die lange für Werke Brouwers gehalten wurden, noch die in großer Zahl folgenden Darstellungen ähnlicher Art, besitzen die ursprüngliche Frische und Lebendigkeit ihrer Vorbilder. So geschickt Teniers in der Nach ahmung ist, so unterhaltsam er zu erzählen vermag, überall spürt man den Mangel eigener Kraft und Erfindung. Erstaunlich bleibt bei alledem die Ausweitung des Darstellungskreises, der das Leben des flämischen Volkes in allen seinen Äußerungen umfaßt. Teniers malt außer biblischen und poetischen, mythologischen und historischen Szenen ländliche Feste und Vergnügungen, Hochzeiten und Jahrmärkte, Bauern und Handwerker bei den verschiedensten Beschäftigungen und Spielen, Trinker und Raucher, Soldaten in ihren Wachtstuben, Gelehrte, Ärzte und Alchemisten in ihren Studierzimmern und Werkstätten, Quacksalber und Zahnbrecher, Zauberer und Hexen, Grotten und Spukszenen, Ställe und Küchen, kostümierte Affen und Katzen, Stilleben und Landschaften, genrehafte Porträts und Familien gruppen, Ansichten der Bildersäle in der herzoglichen Kunstsammlung und außerdem nicht weniger als 244 Kopien ihrer Gemälde als Vorlagen für die Radierer des Galeriewerkes, das er im Jahre 1660 herausgibt. Das mit feinem farbigen Empfinden zusammengeschlossene Bild, das wir hier wiedergeben, die „Bauernkirmes“ in Amsterdam (0,78 X 1,07 m), stammt aus dem Anfang des Jahrzehnts 1640/50, Teniers’ reichster und reifster Schaffenszeit. Wie eine flämische Kirchweih wirklich aussah, wie „heid nisch“ und ausgelassen es seit alters bei diesen Erntedankfesten zuging, haben uns Rubens, Brouwer, Jan Bruegel und andere freilich mit größrer Wahrheitsliebe und ohne Rücksicht auf zarte Ge müter gezeigt. So brav und gesittet, wie sich die Bauern hier bewegen, konnte nur ein Hofmaler das Landvölkchen sehen oder ein Künstler, der, ganz im Gegensatz zu Brouwer bürgerlich-ari stokratisch gesinnt, den höfischen Kreisen zu ge fallen sucht. An dem Häuschen rechts lehnt sich wohl einer an die Wand, um das zuviel Genossene wieder von sich zu geben, links vorne ist auch einer bei den Schweinen aufdas Misthäufchen gesunken, und dahinter steht ein Mann zu anderer Ver richtung an der Wand des Wirtshauses, aber die übri gen Leutchen sitzen doch recht manierlich an gro ßen Tischen oder schwin gen in angelernter Ge ziertheit zu der Musik einesDudelsackpfeifers ihr Tanzbein, als erwarteten sie den Besuch des wohl wollenden Gutsherrn, der denn auch auf vielen Bil dern, mit seiner Gattin lustwandelnd und dem einfältigen Treiben seiner Leute zuschauend, per sönlich erscheint. Die flämische Dorflandschaft, der Teniers in den dreißiger und vierziger Jahren im Anschluß an Brouwers feinsinnige Stimmungskunst leicht hingestrichene und zarte Bildchen widmet, wird von ihm in späteren Jahren flauer und fader behandelt, und auch seine sittenbildlichen Dar stellungen des Landlebens werden immer dürftiger und ausdrucksloser. Im „Zeitalter der Schäferliebschaften“ im 18. Jahrhundert erhalten Teniers’ bukolische Bauernlustbarkeiten freilich noch die Bedeutung von saftvolleren Vorbildern, denn das Rokoko versüßlicht die Bauern-, Hirten- und Schäfer malerei zuletzt bis zur Unerträglichkeit. Nach Rubens’ Tode im Jahre 1640 ist die reich entfaltete Blüte der flämischen Malerei im 17. Jahrhundert rasch verwelkt. Van Dyck, der einzige, der seine Nachfolge hätte antreten können, überlebte ihn nur um ein Jahr, und die stärkste Sonderbegabung neben ihnen, Adriaen Brouwer, war sogar vor Rubens dahingegangen. Alle übrigen, die noch etwas bedeuteten, und denen weiterzuleben vergönnt war, verfielen seit der Jahrhundertmitte in Routine oder Erstarrung; ihre beste Zeit war vorüber. Ihre Tat, die Aus bildung der Sondergattungen in der Malerei, war jedoch nicht vergebens getan, ihre Saat ging alsbald auf, und zwar in Holland. David Teniers d. J.: Bauernkirmes. Amsterdam, Rijksmuseum