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in der ungelenken Bewegung, in der anmutigen Wendung der niedlichen Köpfe, im fragenden Blick der großen Augen zum Ausdruck gebracht! Nur noch einmal, in dem Brüsseler Familienbild von 1628, das den Künst ler mit seiner Frau und zwei Kindern vereint, vollbringt de Vos ein Werk von gleicher Kraft und Geschlossenheit. Aber schon in dem „Bildnis eines Ehepaars“ von 1629 (Berlin) und in den Schöpfungen der Folgezeit führt die Nachahmung van Dycks zu Unselbständigkeit, innerem Widerspruch und bedauerlicher Erstarrung. In Historienbildern, religiösen und mytho logischen Darstellungen entwickelt der Künstler einen an Rubens geschul ten Stil, ohne jedoch die Größe seiner Vorbilder jemals zu erreichen. ADRIAEN BROUWER (um 1605/06 bis Ende Januar 1638). Schon im 15. Jahrhundert hatten niederländische Künstler gelegentlich Bilder ge schaffen, die, ohne religiöse oder historische Vorwände zu benutzen, Be gebenheiten des täglichen Lebens Wiedergaben. Aber erst durch den Aufs stieg des Bürgertums nach der Teilung der Niederlande ergaben sich die Voraussetzungen für die Entfaltung und Pflege der reinen Sittenmalerei. In den flämischen Provinzen behaupten freilich noch durch das ganze 17. Jahrhundert Kirchen- und Repräsentationsbilder ihre Vorherrschaft, und wenn Rubens in seinem letzten Jahrzehnt Liebesgärten und Bauern- kirmesse, Jordaens bürgerliche Festgelage malt, so scheidet ihre Darstellungs art diese Bilder kaum von den anderen Werken ihrer immer auf große Wirkung ausgehenden Kunst. Der nachhaltige Einfluß, den Rubens auf die ganze Malerei seiner Heimat ausübt, zeigt sich indessen auch auf dem Gebiet des kleinfigurigen Sittenbildes, der Darstellungen aus der Welt der gehobenen Stände, der Bauernstücke, Soldatenbilder und Schlachtenschilderungen. Der bedeutendste Vertreter des bäuerlichen Sittenbildes in Flandern ist Adriaen Brouwer aus Oudenaarde, der den zweifelhaften Ruf eines Aben teurers und Zechbruders genießt. Fast noch ein Kind, entläuft er dem Elternhaus und wandert nach Holland, wo er um 1620 zu Frans Hals in Haarlem in die Lehre oder jedenfalls in nahe Beziehung kommt. Bereits um 1625 erscheint er in Amsterdam als selbständiger Maler. Nach einem zweiten Aufenthalt in Haarlem kehrt er um 1631/32 nach Flandern zurück und läßt sich in Antwerpen als Meister in die Lukas-Gilde aufnehmen. Auf der spanischen Zitadelle, in der er wohl wegen eines politischen Vergehens eine leichte Haftstrafe verbüßt, wird der Geselle des Festungsbäckers, Joos van Craesbeeck, sein tüchtigster Schüler. Wie hoch Brouwers kleine Tafeln schon um diese Zeit geschätzt und bezahlt werden, beweisen einige Urkunden, wie schlecht dieses Kneipengenie aber mit Geld umzugehen weiß, geht aus einem Verzeichnis seiner armseligen Habe und aus Schuldbriefen hervor. In den wenigen Jahren, die ihm nach seiner Festungs zeit noch beschieden sind, lebt er in dem geordneten Haushalt eines befreundeten Kupferstechers. Im frühen Alter von 32 Jahren scheint er ein Opfer der damals in Antwerpen besonders heftig wütenden Pest geworden zu sein. Daß Rubens, siebzehn Bilder Brouwers erwarb und Rembrandt acht Gemälde und ein Skizzen buch von ihm besaß, spricht eindeutig für die Hochachtung, die gerade die Größten seiner Zeit ihm entgegenbrachten. Die zahl losen Anekdoten vom verbummelten Genie, das sich in verrückten Streichen und närrischen Einfällen gefiel, haben freilich den „großen Ruff hoher Vernunft und Fürtrefflichkeit", den Sandrart seiner Kunst nachsagt, lange verdunkelt. Die frühesten Arbeiten Brouwers, wie der „Leiermann auf der Dorfstraße“, signiert und 1621 datiert, sowie zwei vielfigurige „Bauernkirchweihen“ (alle in Privatbesitz), sind Bilder mit volks tümlichen Figuren aus dem holländischen Straßenleben, wie sie bei den Nachfolgern Bruegels und im Kreise des Frans Hals be liebt waren, aber sie sind noch unbeholfen im Aufbau und bunt farbig. Schon hier und in den wenig später gemalten Szenen zechender und bezechter Bauern (Amsterdam, Schwerin, Pariser Privatbesitz u. a.), deren derber Humor den Beschauer überrascht und packt, zeigt sich indessen eine Eigentümlichkeit, für die man aus dem Umkreis des jungen Künstlers kein Vorbild kennt. Brou wer befindet sich hier in bewußtem Gegensatz nicht nur zu dem Kultus idealer Schönheit, den die Romanisten betreiben, sondern auch zu der heroischen Welt, in der Rubens, van Dyck und selbst der Bürger Jordaens leben. Immerhin ist Jordaens, wenn er in seinen bürgerlichen Trinkgelagen ausgelassene Männer und Frauen sich heroenhaft im Schmausen und Zechen betätigen läßt, schon auf dem Wege, den dann Brouwer als Revolutionär und Außenseiter der Gesellschaft be schreitet. Brouwer steigt noch um einige Stufen tiefer und zieht die heroische Geste ins Gemeine und Rohe. In einer Welt grober Sitten und Bräuche greift er zum stärksten Mittel der Charakterzeichnung, zur Karikatur, und gibt seinen Kerlen große Gebärden, als wären sie Helden vom Schlage jener Gestalten, die Rubens verkörpert hat. Seine Bauern sind ein Volk von un geschlachten Burschen und Weibern, in sackartigen Kleidern, die in elenden Spelunken fressen und saufen, rauchen und gröhlen, seine Kinder plumpe Gnome mit Wasserköpfen und alten Gesichtern, allesamt grimassierende Rüpel und Tölpel, deren zügelloses Gebaren den übermäßigen Genuß von Branntwein verrät. So abstoßend indessen das wüste Treiben in diesen Szenen wirken mag, so fesselnd ist die Entwicklung der künstlerischen Kraft, die sich von Bild zu Bild in der Lockerung und Vereinfachung der Komposi tion wie in der Bereicherung und Verfeinerung der malerischen Gestal tung offenbart. Die schwerfällige Manier, die allen frühen Arbeiten gemein war, ist bald einer geistvollen Auffassung gewichen, die die Handlung klar aufbaut und die Personen des Dramas mit glänzender Charakteristik der Mimik und der Gesten wiedergibt. Bilder wie die „Dorfbaderstube“, die eine Fußoperation schildert, und der um 1631 in Amsterdam gemalte „Messerkampf“ (beide in der Münchener Pinakothek) sind Meisterwerke von hinreißender Lebendigkeit, die alles, was die holländische Genremalerei damals hervorbringt, weit übertreffen. Mit der Übersiedlung nach Antwerpen beginnt Brouwers beste Zeit. Frei und unbefangen, phantasievoll und witzig erfindet er immer neue Kompo sitionen, indem er die Zahl der Figuren weise beschränkt und durch die Ge schlossenheit der Erzählung die stärkste Wirkung erzielt. Mit psychologischem Scharfblick und sicherem Zugriff wird die menschliche Erscheinung im ent scheidenden Augenblick des Ausdrucks und der Bewegung erfaßt und in unerschöpflicher Mannigfaltigkeit vor Augen geführt. Die geheimsten Re gungen einer bei aller Rauhheit zarten Malerseele erklingen indes in Cornelis de Vos: Die Töchter des Künstlers. Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum