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streifen; so rauschen auch die übrigen vorüber, „unnahbar, abweisend und lockend“ auf uns „aus gemessener Entfernung, wie von Thronstufen“ herab schauend. Große Kurven, den Umriß und den Faltenwurf des vornehm schwarzen Kleides mehr andeutend als zeichnend, leiten zu den drei leuch tenden Hauptstellen des Bildes hin, zu dem kleinen zarten Gesicht und den un endlich feingliedrigen Händen. Großflächig und arm an Einzelheiten rahmt ein weitgespannter dunkler Hintergrund, in dem sich Palastarchitektur oder- in anderen Bildern - großzügige Draperie erkennen läßt, den einzelnen Menschen oder eine Familiengruppe ein. Auch wo das Gewand reicher, der Hintergrund belebter erscheint, bleibt immer dem Antlitz die beherrschende Rolle in der Bildfläche, wobei der klug auf Wirkungssteigerung berechneten Haltung der Hände große Bedeutung zukommt. Selbst in dem farbig glanz vollsten Porträt, dem „Bildnis des Kardinals Guido Bentivoglio“ (Florenz, Palazzo Pitti), das van Dyck 1623/24 in Rom malt, wahrt der faszinierend blickende, geistvolle Kopf die dominierende Stellung im Bilde und ordnet sich den Detailreichtum des spitzenbesetzten Chorhemdes unter, das den Schoß des sitzenden eleganten Geistlichen bedeckt. Noch offensichtlicher als im Bildnis zeigt sich Tizians Einfluß im Figuren bild, in dem der Künstler jetzt alles Flämische abzustreifen sucht. Drei viertel- oder halbfigurige Bilder der Madonna (eine der schönsten, die „Ma donna mit dem Johannesknaben“, in München) und der hl. Familie (die vollendetste, vielleicht erst in Antwerpen gemalte Fassung als „Ruhe auf der Flucht“ ebenfalls in München) und an dere Halbfiguren-Darstellungen („Die Madonna mit den bußfertigen Sün dern“ in Paris, „Der Zinsgroschen“ im Palazzo Bianco in Genua, „Die vier Lebensalter“ im Museo Civico in Vi cenza) wirken fast wie Werke der gro ßen Venezianer; auch Palma Vecchio und Giorgione klingen an und rühren die weiche Neigung des Künstlers auf, der sich im allzu „Schönseligen“ jetzt oft vergreift und sich den schmachten den Blick Guido Renis zu eigen macht. Sein kirchliches Hauptwerk in Italien, die „Rosenkranz-Madonna“ im Ora- torio del Rosario in Palermo, und an dere Bilder verleiden sich uns trotz herrlichster Malerei durch die Nach giebigkeit des Künstlers gegen Forde rungen des Gefälligen, Sentimentalen, Effektvollen. Allzu unbedenklich über nimmt van Dyck den italienischen Typenschatz der verzückten Heiligen, der holdseligen Madonnen, des apol linisch schönen Christus, der schwär merisch blickenden Engel und über steigert, vergröbert, versüßlicht den Ausdruck. Im Frühjahr 1627 kommt der fast zum Italiener gewordene Künstler in seine Heimat zurück, wo er einige Jahre bleibt und eine Reihe wirklich ergrei fender religiöser Bilder malt, mehrfach den von Engeln betreuten „Hl. Seba stian“ (Leningrad, Schelle in Belgien und Paris) und häufig die „Beweinung Christi“ (Antwerpen, Berlin, Madrid, Paris und München). Wir geben das schöne Berliner Bild (2,20x1,66 m) wieder, das sich trotz seiner schon etwas gedämpften venezianischen Farben pracht in derblendenden Modellierung des Leichnams Christi, der gefühlvollen Haltung des Johannes und dem wehen Ausdruck der Gottesmutter als typi ¬ sches Werk des italienischen Barock darbietet. Aber in der Art, wie die Schräglinie des nackten Körpers und die von den Armen der Mutter ge bildete Schräge mit den übrigen Linien und Kurven in weiche Beziehung gesetzt sind, wie die Farben ineinanderweben und das Lichtzentrum seine Strahlen aussendet, zeigt sich die von van Dyck aus der Rubensschen Bild gestaltung selbständig entwickelte Organisierung der Bildfläche. Zahlreiche Darstellungen des „Christus am Kreuz“ und andere Passionsbilder, ferner Gemälde, in denen Heilige in Verzückung geraten oder vor der Madonna knien, kennzeichnen diese schöpferische Periode in Antwerpen, während der sich Rubens meist außerhalb befindet, so daß van Dyck, jetzt Hofmaler der Statthalterin, viele Aufträge für die neuerbauten Kirchen Flanderns einheimst. Auch jetzt sind Fehlgriffe des mit Arbeit überlasteten Meisters nicht selten, theatralische Übersteigerungen des Ausdrucks, Versüßlichun- gen des italienischen Schönheitsideals, Nachlässigkeiten in der Ausführung durch Schülerhand. Eine stattliche Reihe von Porträts entsteht neben den Altarbildern. Die Kleider dieser flämischen Bürger und Adligen sind auch meist schwarz wie die der Genuesen, aber dieses Schwarz wird nun durch einen wunderbaren Reichtum schillernder Töne, durch wirkungs voll gelegte Falten und Lichtbahnen lebendig gemacht. Van Dyck hat den Plan, eine „Ikonographie der berühmtesten Männer der Zeit“ in Stichen herauszugeben; sie erscheint auch später in beschränktem Umfang. Er malt hierfür auf Grund eigener und fremder Porträts einfarbige Bildnisse in großer Zahl als Stichvorlagen, radiert auch selbst das eine oder andere Bild und porträtiert, nicht nur für die „Iko nographie“, vor allem seine Maler kollegen (oft beispielsweise den Freund Snyders). Auch die einfachen Bürger erhalten in van Dycks Darstellungen einen Zug von Vornehmheit, Hoheit und Würde. Als Geschenk für König Karl I. von England hat van Dyck 1629 ein Motiv aus dem „Befreiten Jerusalem“, der ge feierten Dichtung des Torquato Tasso, gemalt: das Bild „Rinaldo und Armida im Zaubergarten“ (Paris, eine andere Fassungin englischem Adelsbesitz) ver einigt aufs glücklichste nordische Mär chenpoesie und südländisches Schön heitsideal. Nach Rubens’ Rückkehr von den diplomatischen Missionen meidet van Dyck die Stoffgebiete, in denen er mit dem Größeren doch nicht wetteifern kann. Im März 1632 über siedelt er endgültig nach England an den Hof des Königs, wo er die ihm gemäßen Modelle findet und keinen Rivalen, der ihm den ersten Platz streitig machen kann. Nur selten noch malt er ein Figurenbild, eines seiner schönsten indes entsteht in den ersten Jahren des englischen Aufenthaltes, die für die Königin Henriette gemalte „Ruhe auf der Flucht“ (Leningrad), auch „Die Madonna mit den Reb hühnern“ genannt. Wie hier Formen und Linien, Farben und Lichter, Hell und Dunkel sanft, mild und weich in einander verwoben, miteinander in Beziehung gesetzt und zu einer har monischen Einheit der Bildfläche ge fügt sind, das ist in der flämischen Kunst nicht wieder erreicht worden und läßt bedauern, daß der Meister das Szenenbild aufgegeben hat. Der Kü nst- ler, in London mit großen Ehrungen Anthonis van Dyck: Beweinung Christi. Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum