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Mit dem ältesten Sohn Frans, der, einen Federhut auf dem Kopf, nackend auf ihrem Schoß sitzt, sehen wir sie auf einem prachtvollen Gemälde (1634), das gleichfalls der Münchener Sammlung gehört. Das hier wiedergegebene, in der Untermalung steckengebliebene Louvre-Bild „Die Familie des Künst lers“ (1,13x0,82 m) endlich zeigt sie mit ihren beiden ersten Kindern im Jahre 1636. Mit den Armen ihren Jungen umschließend, sitzt sie still ver sonnen niederblickend auf einem einfachen Hocker, während sich das Töch terchen, wohl etwas unglücklich über die Bevorzugung des Bruders, an die Knie der Mutter schmiegt. Das unfertige Gemälde gewährt einen Blick in die Arbeitsweise des Meisters, der die mit weißem Kreidegrund bestrichene Holztafel zunächst mit Grau dünn anstreicht, dann die Zeichnung und einige Schattenstellen mit flüchtigen braunen Pinselstrichen notiert und nun mit leichten flüssigen Farben die Haupttöne darüber tuscht. Das letzte Bildnis, das Rubens von seiner Frau geschaffen hat, „Helene Fourment im Pelz“, auch „Das Pelzchen" genannt, befindet sich im Wiener Museum. Helene ist hier etwa 25 Jahre alt, der üppig schöne Körper hat bereits Fett angesetzt, so daß sich im Fleisch der Schenkel Einbuchtungen und am Rumpf tiefe Falten bilden. Schämig hat sie einen großen Pelzmantel er griffen, der aber nicht ausreicht, um die Gliedermassen zu bedecken. Das nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Bild blieb im Besitz der Helene, auch Peter Paul Rubens: Bathseba am Brunnern Dresden, Gemäldegalerie als sie im Alter von 26 Jahren Witwe geworden war und nach fünf Jahren sich erneut vermählte; sie heiratete einen Mann, der später in den Grafenstand er hoben wurde. Auch auf den Figurenbildern der letzten Jahre finden wir Helene Fourment immer wieder dargestellt, denn der Meister ist schier unersättlich in der Verherrlichung ihres leuchtenden Fleisches und ihrer üppigen Glieder pracht. Ja, seine Erotik steht so stark unter dem Eindruck dieser Frau, daß er „Helena in jedem Weibe“ erblickt und selbst die Bildnisse anderer Frauen seinem weiblichen Ideal annähert. Überhaupt ist sein Porträtschaffen nicht zunächst auf die Herausarbeitung der Individualität gerichtet. Auch die Männerporträts wollen nicht viel von der Seele des Dargestellten oder gar von seiner Augenblicksstimmung verraten, sondern Repräsentationsstücke für Kinder und Enkel sein; ihre Haltung und ihre Züge lassen oft mehr er kennen, was sie sind, als wer sie sind. Dennoch gibt es in Rubens’ Werk eine ganze Reihe von Bildnissen, die es an Wahrhaftigkeit und scharfer, getreuer Charakteristik nicht fehlen lassen. Von Frauenbildnissen sei das der Maria de’ Medici von etwa 1622 im Prado als glänzendste Darstellung einer selbst sicheren Herrscherin besonders hervorgehoben. Im letzten Jahrzehnt, das dem Meister noch zu leben, zu genießen und zu arbeiten vergönnt ist, beschränkt sich seine Porträtmalerei mehr und mehr auf den häuslichen Kreis, und auch von den großen Aufgaben, die ihm fürst liche und kirchliche Prunklust antragen, zieht er sich allmählich zurück. Von 1630 bis 1634 arbeitet er zwar noch an dem Deckenschmuck der Bankett halle von Whitehall in London, erfindungsreichen und schwungvollen Bil dern zur Verherrlichung Jakobs I., die ihm der englische König in Auftrag gegeben hatte, aber es ist nicht so sehr die Gicht (das einzige Übel, das ihn plagt) wie die Überzeugung, genug für seinen Ruhm getan zu haben, die ihn an der Ausführung und auch an der Aufstellung der Bilder in London nicht mehr teilnehmen läßt. Auch eine Folge von Wandteppichen, „Die Ge schichte des Achilles“, entsteht noch unter seiner Leitung, und für die Fest dekorationen zum Einzug des neuen niederländischen Statthalters, des Kardinal-Infanten Ferdinand, in Antwerpen fertigt er noch 1634-1635 zwei Hauptbilder und zahlreiche Skizzen an. Aber in seinem übrigen Schaffen will er nicht mehr in dem Maße wie früher zur Menge reden, und in der Einsicht, daß nur seine eigene Meisterhand letzte Vollendung hervorzaubern kann, verzichtet er zumeist auf die Unterstützung durch Hilfskräfte. Das kirchliche Hauptwerk des letzten Jahrzehnts ist der große, 1630 von der Statthalterin Isabella für eine Brüsseler Kirche gestiftete „Ildefonso-Altar“ in Wien, ein Meisterwerk malerisch durchgeführter Stimmungskunst. In einer großartigen Vision, der Allegorie „Das Ende des Krieges“ (um 1629/30; London), verherrlicht er die Segnungen des Friedens, dessen Wahrung ihm so sehr am Herzen lag, und später, als der Dreißigjährige Krieg schon seit zwei Jahrzehnten tobt, schildert er in einer noch leidenschaft licher durchglühten Vision alle Schrecken der Kriegsnot in dem Gemälde „Der Ausbruch des Krieges“ (1638; Florenz, Pitti-Palast). An religiösen Bildern heben sich aus dem letzten Schaffen vor allem Passions- und Mar- tyriendarstellungen hervor, die in der Wucht des Aufbaues und der Stärke des Ausdrucks ein Wiederaufflammen des jugendlichen ungestümen Tempe ramentes erkennen lassen, das sich aber jetzt in das echte, starke und große Pathos des Barock gewandelt hat. Auch der dramatisch bewegte „Bethlehe mitische Kindermord“ (um 1635; München) gehört zu dieser Grüppe von Meisterwerken farbengesättigter, figurenreicher Kompositionen, ferner von Mythologien das „Venusfest“ (um 1632; Wien) und von Historienbildern der „Raub der Sabinerinnen“ (um 1635; London). Die Kriegsgreuel und Glaubensverfolgungen des Jahrhunderts mögen dem Meister die Themen der Gewalttaten nahegelegt haben. Noch einmal übernimmt er einen letzten großen Serienauftrag, um den bilderhungrigen Philipp IV. zu befriedigen. Für das Jagdschloß Torre de la Parada bei Madrid malt er von Ende 1636 bis Januar 1638 eine Reihe von Darstellungen zu Ovids „Verwandlungen“, denen 1638 und 1639 weitere folgen, köstliche, überschäumende, wilde und stürmische Liebes- und Kampfszenen aus der heidnischen Götterwelt, in der er so heimisch ist wie in der Welt des Alten und Neuen Testaments und der Heiligenlegende; 112 Gemälde soll er allein bei dem Transport vom 11. März 1638 nach Madrid abgesandt haben. Helenes blühender Körper steht überall im Mittelpunkt seiner farbenglühenden Dichtungen. Sie verleiht den Akten der „Drei Grazien“ (schönste Fassung, von 1639, im Prado), den Göttinnen im „Urteil des Paris“ (um 1632; London, National Gallery; und um 1638/39; Madrid, Prado) sowie der Diana und ihren Nymphen in den