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das Prunkschif verlassen, auf dem der Herold in Malteserrüstung, der Groß herzog Ferdinand I. von Toskana, ihr Onkel, zurückgeblieben ist; auf der Skizze fehlt diese Figur, die mit dem Schiffsvolk ein Gegengewicht bildet gegenüber den beiden der neuen Königin entgegenstürzenden Genien Frank reichs und der Hafenstadt Marseille. Ein posaunenblasender Genius schwebt über der majestätisch einherschreitenden Maria, unten aber, unter der pur purn ausgeschlagenen Landungsbrücke, huldigen ihr die Gottheiten des Meeres, die das Schiff sicher geleitet haben: Neptun, der Beherrscher der Meere, Tritonen mit Dreizack und Muscheltrompete und drei prachtvolle Najaden. Diese monströsen Meerwei ber ziehen im Gemälde eigentlich über Gebühr den Blick auf sich, im Entwurf treten sie nicht so stark hervor und haben hier auch längst nicht jene sprichwörtlich gewordene Rubenssche Massigkeit, sondern sind hübsche jun ge, wenn auch nicht gerade schlanke Seejungfrauen; die Namen und Adres sen der Modelle sind uns in einem Brief des Meisters zufällig erhalten. Bei aller Großartigkeit der Erfindung ist die Verquickung eines historischen Ereignisses mit allegorischen und my thologischen Vorgängen und Figuren und die Überanhäufung der Szene mit den erdenklichsten Köstlichkeiten un serem Geschmack zuwider, das Barock zeitalter fand aber an solchen pomp- überladenen Festdekorationen sein höchstes Gefallen. Das wiedergegebene Bild ist eines von 21 zum Teil noch umfangreicheren Gemälden, die Maria de’ Medici, die Witwe Heinrichs IV., Ende 1621 bei Rubens zur Ausschmük- kung ihres soeben fertiggestellten Lu xembourg-Palais in Paris bestellt hatte. Gegen ein Honorar von 20 000 Dukaten übernimmt Rubens die riesenhafte Ar beit, die er zu Hause mit seinen Hilfs kräften ausführen kann und deren Ab lieferungstermine er pünktlich innege halten hat. Mitte 1623 legt er verab redungsgemäß der Königin neun Bil der vor, im Februar 1625 ist er wieder in Paris, um die Bilder nochmals ab zustimmen, von denen er eines auf be sonderes Verlangen ersetzen muß. Das Thema dieses Werkes war die Verherr lichung der Regierungszeit der Köni gin. Am seltsamsten muten uns die Darstellungen an, die, wie die „Ge burt der Maria“ und die „Erziehung der Maria“, zwar Figuren aus der an tiken Mythologie verwenden, in der Auffassung sich aber an Bilder des christlichen Marienlebens anschließen. Einen zweiten Bilderzyklus zur Geschichte Heinrichs IV. konnte Rubens nicht vollenden, weil die Königin inzwischen in die Verbannung gehen mußte. Für ihren Sohn, Ludwig XIII., zeichnete der Meister 1622-1625 zwölf Kartons zur Geschichte Kaiser Konstantins, nach denen Wandtep piche gewirkt wurden. Seit September 1623 wird der in der ganzen kunstinteressierten Welt hoch angesehene Meister, der an dem Schicksal seines Vaterlandes starken Anteil nimmt, von der seit kurzem verwitweten Regentin Flanderns, der Erzher zogin Isabella, zu geheimen diplomatischen Missionen herangezogen. Zeit weilig, so von August 1625 bis Februar 1626, während in Antwerpen die Pest wütet, lebt er ganz am Hof zu Brüssel, dann reist er nach Dünkirchen, an die deutsche Grenze, nach Calais, Paris und nach Holland, verhandelt vom Februar bis August 1627 mit dem Maler Balthasar Gerbier, einem Vertrauensmann des englischen Ministers Herzog von Buckingham, der die Nordprovinzen der Niederlande bei der drohenden Wiederaufnahme der Feindseligkeiten mit Spanien unterstützen will, und sucht nach einem Aus gleich zwischen England und Spanien. Ende August 1628 wird er im Auf trage der Regentin nach Madrid entsandt, wo man an dem Maler-Diplo maten Anstoß nimmt. Das gewinnende Wesen des geschickten Unterhänd lers, der fünf Sprachen beherrscht, und seine Berühmtheit als Künstler ver schaffen ihm aber allmählich die Huld des Monarchen, der sich fünfmal von ihm porträtieren läßt und ihn schließ lich zum Sekretär des Geheimen Rats ernennt. In Madrid hat Rubens auch noch weitere Bildnisse der Königs familie und von Privatpersonen ge schaffen, etwa zwei Dutzend Gemälde Tizians kopiert und mit Veläzquez Freundschaft geschlossen. Reich be schenkt fährt er im Mai 1629 über Paris, Dünkirchen und Dover nach London, wo seine Friedensbemühungen nach langen und aufreibenden Kämpfen gegen Intrigen aller Art endlich Erfolg haben. Der englische König Karl I. schlägt ihn zum Ritter - die gleiche Würde verleiht ihm 1631 Philipp IV. - und entläßt ihn im März 1630 eben falls mit reichen Geschenken. Diese Tätigkeit im Dienste seines Vaterlandes erlaubt ihm zwar selten, künstlerische Arbeiten auszuführen, jedoch ist seine Werkstatt ununterbrochen beschäftigt. Pompös inszenierte Wundertaten und eine Folge von Wandteppichen, die den Triumph des Abendmahls über Ketze rei, Philosophie und Wissenschaft in überlauter und unerfreulicher Pathetik verherrlichen (1627; einige Skizzen in Madrid), charakterisieren diej ahre der stärkstenWerkstattbeschäftigung, wäh rend der Meister selber hauptsächlich Porträts malt. Für drei wichtige The men der kirchlichen Malerei, um die er sich häufig bemüht hat, „Madonna mit Heiligen“, „Himmelfahrt der Maria“ und „Anbetung der Könige“, findet er aber jetzt die seinem Tem perament gemäßen, im höchsten Sinne repräsentativen Lösungen, die freilich unsere Andachtsstimmung nur in ge ringem Maße erregen können, da die augenblendende Prachtentfaltung die ser Altarbilder uns recht unchristlich anmutet. Im Zeitalter der auf größt mögliche Massenwirkungen ausgehen den Gegenreformation haben sie aber in den weiträumigen Kirchenbauten des Barock sicherlich stärksten Eindruck auf die Gläubigen gemacht. Am 20. Juni 1626 hat Rubens seine Gattin verloren, mit der er 17 glückliche Jahre vereint gewesen war; wahrscheinlich ist sie an der Pest gestorben. Gewiß hat dieses niederschmetternde Ereignis dazu beigeträgen, ihn so tief in den Strudel der Politik hineinzutreiben. Die schlichte, früh alternde Frau hat der Meister nach dem Doppelbildnis von 1609 noch mehrmals porträtiert. Ihr sympathisches Gesicht und ihren vollschlanken Körper treffen wir nicht selten auch auf mythologischen und anderen szenischen Bildern jener Jahre des ersten Eheglücks, das seinen Niederschlag besonders in gefühlvollen Marienbildern gefunden hat, so in den beiden von Jan Bruegel mit mäch tigen Girlanden umgebenen Darstellungen „Madonna im Blumenkranz“ (München und Paris). Die reizenden Engel, die auf dem Münchener Ma- Peter Paul Rubens: Empfang der Maria de , Medici in Marseille. Paris, Louvre 54