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schäft. Die Szene sei nur kurz erläutert: die beiden Brüder, die Dioskuren Kastor und Polydeukes, rauben ihre Kusinen Hilaeira und Phoibe, die mit einem anderen Brüderpaar gleichen Verwandtschaftsgrades verlobt waren, und machen sie zu ihren Frauen; in dem mörderischen Kampf gegen die Verfolger muß freilich auch Kastor sein Leben lassen. Wie ein von Bild hauerhand geschaffenes Monumentalwerk mit scharfen, klaren Umrissen ist die Tier- und Menschengruppe, den Horizont weit überragend, auf knapp bemessenem Raum aufgebaut, wobei trotz kühnster Verschlingungen und teilweise stärkster Überschneidungen die Klarheit des Vorgangs ge wahrt bleibt und ein strenges Formgefühl der Wildheit der Bewegungen das Gleichgewicht hält. Mit Bedacht sind die beiden üppigen Frauen gestalten so in die Gruppe eingefügt, daß von ihrer Schönheit nichts ver lorengeht. Ihre zarte, rosig oder im Elfenbein ton schimmernde Haut, die sich von der kräftigen Bräune der Männerkör per leuchtend abhebt, ist durch weiße Glanzlich ter wirkungsvoll gehöht; in den Schattenpartien ergeben sich als Wider schein der farbenfrohen Tücher starke Reflexe. Rubens sucht jetzt förm lich nach Motiven, in denen er seiner Leiden schaft freien Lauf las sen, seine Beherrschung schwierigster Verschlin gungen und Verkürzun gen zeigen kann. Um 1617 entsteht seine stür mische „Bekehrung des Paulus“ (Berlin), um 1618 seine, gewaltige „Amazonenschlacht 1 ‘ (München), zwischen 1616 und 1622 die über- fülltenund doch erstaun lich gebändigten Dar stellungen der „Letzten Dinge“: „Der Höllen sturz der Verdammten“, „Das große Jüngste Ge richt“, „Das kleineJüng- ste Gericht“ und „Der Engelsturz“, für den Pfalzgrafen von Zweibrücken-Neuburg gemalt, jetzt alle in der Münchener Pinakothek. In ihnen ist wohl das Stärkste an Ver- sinnlichung und Verweltlichung christlicher Ideen gewagt; die Massen üp pigster nackter Leiber quellen über- und untereinander wie in Orgien eines Bacchanals. Es ist bezeichnend für den Geist der Zeit, daß der Künstler in der Wiedergabe des Nackten auf Kirchenbildern so weit gehen durfte. Der Wille, im religiösen Kunstwerk vor allem die Schönheit, Pracht und Macht der Kirche zu Worte kommen zu lassen, überwog alle Bedenken. Die sich allmählich vollziehende Auflockerung des Aufbaues bringt auch eine Auflockerung des festen Umrisses, ein Weicherwerden der Übergänge und damit eine erste, wenn auch noch nicht entschiedene Wendung zum Malerischen mit sich. Als Beispiel hierfür geben wir das Gemälde des Ber liner Museums „Perseus und Andromeda“ (0,99x1,37 m) von etwa 1620 wieder, das nirgends mehr eine laute Farbe enthält, sondern in seinen sanft vermittelnden Tonabstufungen und seinem farbigen Schmelz schon einen Teil der künftigen Entwicklung des Malers vorwegnimmt. Linien, Formen und Farben sind mit feinstem Gefühl ausgewogen; auf Kontraste wird aber keineswegs verzichtet. Andromeda, noch halb an den Felsen gefesselt, und Perseus, ihr Befreier, der in stürmischem Lauf herantritt und die Bande löst, wobei drollig beflissene Amoretten helfen, sind durchaus als Gegen sätze nebeneinandergestellt: wortlos ruhige, keusch ergebene Erwartung gegen feurig anstürmende, sieghaft stolze Besitzergreifung, mattglänzende Haut eines herrlich gewachsenen und duftig gemalten Frauenkörpers gegen blinkende Rüstung, wehenden Mantel und braune muskelkräftige Glieder eines göttergleichen Helden. Prachtvoll, aber ohne harte Konturen heben sich beide Gestalten vom beschatteten Felsgestein ab, während sich links ein freier Blick über das Meer öffnet, dessen Wellen den erlegten Drachen und das Felseneiland umspülen. Hier auf der linken Bildhälfte mühen sich rosige Putten furchtlos um den Pegasus ab, das Flügelroß, auf dem Perseus zum Kampf gegen das Ungeheuer ausgezogen ist. Große, alle Kräfte in Anspruch nehmende Serienaufträge mögen den Künstler auf dem um 1620 eingeschlagenen Wege der Wendung zum Malerischen auf gehalten haben. Seit 1616 bewohnt er in Ant werpen ein neuerbautes prachtvolles Wohnhaus, einen wahren Palast mit parkartigem Garten. Er hat durch Tausch ge gen eigene Gemälde und Wandteppiche antike Bildwerke erworben und italienische Bilder durch Kauf in seinen Bsitz ge bracht, und seinAnsehen wächst von Jahr zu Jahr, nicht nur in der Heimat, sondern auch im Aus land. Für genuesische Edelleute fertigt er ‘um 1617/18 mit Hilfe van Dycks eine Anzahl gro ßer Kartons für Wand teppiche an, die Kampf, Sieg und Öpfertod des römischen Konsuls De- eins Mus in heroischem Stil packend verherr lichen (die Kartons be sitzt die Liechtenstein- Galerie in Wien). Ende März 1620 verpflichtet sich der Meister, für die Ausschmückung der neuen großen Jesuiten kirche in Antwerpen neben Altarbildern 39 Entwürfe zu Deckengemälden zu liefern und von van Dyck ausführen zu lassen; nur die kolossalen Altargemälde „Himmelfahrt der Maria“, „Wunder des hl. Ignatius“ und „Wunder des hl. Franz Xaver“ (nebst den Skizzen zu den Wundertaten alle drei in Wien) und ein Teil der ungemein tem peramentvollen Entwürfe des Meisters zu der Deckenmalerei sind uns (im Wiener Museum, im Louvre und in anderen Sammlungen) erhalten ge blieben, die Kirche selber mit der mehrere hundert Quadratmeter um fassenden Dekoration ist durch Blitzschlag 1718 eingeäschert worden. Das hochbarocke Pathos dieses gewaltigen Werkes teilt sich auch dem nichtkirch lichen Hauptwerk dieser Jahre mit, dem im Louvre bewahrten „Medici- Zyklus“, aus dem wir ein besonders prunkvolles Stück, den „Empfang der Maria de’Medici in Marseille“, abbilden. Unsere Wiedergabe kann von dem Riesengemälde (3,94 x2,95 m) gewiß keine vollkommene Vorstellung geben, vermittelt aber doch einen Eindruck von der Großartigkeit, dem Erfindungs reichtum, der Formen- und Farbenpracht, dem Schwung und der Grazie und vor allem von dem rauschenden Pathos, das mit Fanfarenstößen ein neues Zeitalter des Glanzes und der unumschränkten Macht verkünden will. Der szenische Aufbau war schon in der eigenhändigen Skizze des Meisters (wie alle übrigen in der Münchener Pinakothek) imposant. Dort tritt die toska nische Prinzessin unter dem Baldachin des Schiffes hervor, hier hat sie bereits Peter Paul Rubens: Perseus und Andromeda. Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum