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große Verhältnisse, mächtige Leiblichkeit und stolzen Aufbau“ repräsen tieren aufs glänzendste der „Hl. Georg“ im Prado und „Hero und Leander“ in Dresden. Zwischendurch entstehen, vor allem 1607 bei einem Aufenthalt in Genua, auch zahlreiche Bildnisse vornehmer Männer und Frauen. Als der Meister Ende 1608 auf die Nachricht von der schweren Erkrankung seiner Mutter nach Hause geeilt ist, sie aber nicht mehr lebend angetroffen hat, muß ihm wohl bald die Erkenntnis gekommen sein, daß hier in der Heimat die starken Wurzeln seiner Kraft liegen, daß er, vollgesogen mit allem, was ihm die Sonne des Südens hat entgegenreifen lassen, seine Kräfte erst auf dem heimischen Boden richtig wird entfalten können. Im vollen Safte stehend, läßt er jetzt seinem feurigen Temperament die Zügel schießen, dann wieder bändigt er gewaltsam seine naturhafte Schöpferkraft zu fast akademischer Mäßigung, um' schließ lich, nachdem er große Serienaufträge hinter sich gebracht hat, seine volle Meisterschaft frei ausströmen zu lassen in Werken, die ihm von Herzen kom men. In der Zeit, da er sich entschließt, in Antwerpen zu bleiben, ersteht der große flämische Meister, der sich die Welt erobert hat, der sein Zeitalter be herrschte, zu dessen Atelier sich die Großen drängten, um ein Werk seiner Hand oder wenigstens seiner Inspira tion zu erwerben, und zu dessen Füßen sich die Jugend scharte, um bei ihm zu lernen. Er hat seine Schüler mit seinem starken Feuer erfüllt, so daß jeder von ihnen in seinem Geiste wirkte und oft kaum noch erkennbar ist, wo sein Pinsel auf hörte und der des Schü lers fortfuhr. Kraft dieser mit einem seltenen Organisationstalent und einer bewundernswerten Geschäftstüchtig keit gelenkten Zusammenarbeit, die doch denGefahren eines fabrikmäßigen Betriebes entgangen ist, kommt in 30 Jahren ungebrochener Meister schaft ein ungeheures Lebenswerk zu stande, an die 3000 Gemälde aller Art, jährlich also durchschnittlich etwa 100 Stück, zu denen noch Entwürfe zu Brüsseler Wandteppichen, eine große Menge von Handzeichnungen und außerdem ein umfangreiches graphi sches Werk, das die sog. „Rubens- Stecher“ in seinem Auftrag ausführen, hinzugerechnet werden müssen. Wie Rubens zu dieser Zeit aussah, als er sich in Antwerpen niedergelassen hat und soeben Hofmaler des Regen ten Erzherzog Albert geworden ist, er fahren wir aus einem Gemälde besonders festlichen Charakters, das wir als erstes aus seinem unermeßlichen Werk bringen, dem „Selbstbildnis des Künst lers mit seiner ersten Gattin Isabella Brant“ (1,79 x 1,36 m) in der Münche ner Pinakothek. Im Oktober 1609 hatte der Meister die 18jährige Isabella (Elisabeth), eine Tochter des Antwerpener Stadtsekretärs, geheiratet; bald danach wird das Bild entstanden sein, natürlich nicht im Freien unter der Geißblattlaube, die im Gemälde den Hintergrund bildet, sondern im zer streuten Atelierlicht, das allzu große Helligkeiten zurückhält und nur eine gedämpfte Farbigkeit zuläßt. Aber so hatte sich noch kein Künstler dar gestellt, so natürlich trotz aller Pose vornehmer Ruhe, mit der er sich hier einem gedachten Publikum zeigt, so offenherzig im Eingeständnis des Glücks- gefühls, das sich vor der Welt nicht verbergen will. Ein über 41/2m hohes Triptychon mit der „Kreuzaufrichtung“ im Mittel felde, für den Hochaltar der Antwerpener Walpurgis-Kapelle um 1609/10 gemalt, heute in der Kathedrale zu Antwerpen, sei als erstes Beispiel für den neuen Stil des Meisters nach seiner endgültigen Niederlassung in der Scheldestadt gekennzeichnet. Noch sind die Bildflächen ganz mit Leben er füllt, wie es dem Manierismus Bedürfnis war, aber es besteht keine Angst mehr vor leeren Stellen, und die Bewegung flattert nicht mehr nach allen Seiten auseinander. In stärkster Konzentration, unabgelenkt durch Neben episoden, wird der Blick auf die diagonal das Mittelfeld beherrschende, hell beleuchtete Gestalt des Gekreuzigten gesammelt. In den Schwellungen der muskelbepackten Arme, Schultern und Schenkel der Henker, die das Kreuz mit dem gleichfalls muskulösen Christus- akt in angestrengter, geräuschvoller Arbeit aufrichten, tobt sich das un gestüme barocke Temperament des Flamen gewaltig aus. Kurz vorher hatte Rubens noch auf einer mächtigen Leinwand für das Antwerpener Stadt haus die „Anbetung der Könige“ (seit 1612 bereits in Spanien, jetzt im Prado) in unruhiger und prunküberladener Gestaltenfülle geschaffen, nun richtet sich sein Sinn ganz auf die Monu mentalwirkung praller Körperlichkeit, nackter Leiblichkeit. Von klassischem Adel sind die Akte in dem frühen Bild „Venus und Adonis“ (Düsseldorf), das erweist, wie weit Rubens schon jetzt den übrigen Romanisten auch an Ge schlossenheit des Aufbaues überlegen ist. In antiker Schönheit leuchtet auf dem 1611-1612 für ein Grabmal in der Antwerpener Kathedrale geschaf fenen Auferstehungs-Altar die heroi sche Athletengestalt des Auferstan denen über den ins Dunkel zurück sinkenden Kriegsknechten auf. Ein gleichfalls 1611 für die Kathedrale be gonnener Riesenaltar zeigt auf dem Mittelfelde die „Kreuzabnahme“ in einer kolossalen Menschengruppe, die wie aus einem gewaltigen Steinblock gemeißelt scheint; aber die gegensätz lichen Härten von Hell und Dunkel sind hier bereits durch einen maleri schen Zusammenschluß gemildert. Ist also hier gegenüber dem wilden Kraftaufwand in der „Kreuzaufrich tung“ das Temperament schon etwas gezügelt, so erkennt man weitere Mäßi gung bei einigen kleineren Bildern mit an sich schon stilleren Motiven. Indem der Meister bald den idealisierenden Tendenzen nachgibt, die er in seiner Ausbildungszeit von den Klassikern der Renaissance empfangen hat, bald sich seinem ureigenen barocken Über schwang überläßt, erreicht er, kraft seiner großen Begabung für beide Mög lichkeiten, die höchste Vollendung ebenso in formal schönen, ausgewogenen Lösungen wie in Darstellungen, in denen eine hinreißende Leidenschaft alle Rücksicht auf schöne Einzelform und symmetrischen Aufbau fahren läßt. Rubens bildet in dieser Zeit sein heroisches Körperideal aus, das sich zwar auf Naturbeobachtung und Studium antiker Plastik stützt, aber noch mehr von den schwellenden, kraftstrotzenden Akten Michelangelos angenommen hat. Wie für den Manieristen ist auch für ihn das Losungswort Bewegung und auch sein Körperideal nicht das Normalmaß; aber während der religiös gebundene Manierist aus seelischer Bedrängnis seine Bildfläche in unruh- Peter Paul Rubens: Selbstbildnis des Künstlers mit seiner ersten Gattin Isabella Brant. München, Pinakothek