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DIE FLÄMISCHE MALEREI DES BAROCK Der heldenhafte Freiheitskampf des kleinen niederländischen Volkes gegen die Weltmacht Spanien, der heroische, fast aussichtslose Widerstand einer vorwiegend germanischen Nation gegen einen volksfremden Gegner, der die Machtmittel zur Niederkämpfung jeden Aufruhrs in Händen zu halten schien, und schließlich der erhebende Sieg eines von vaterländischer Be geisterung, religiöser Überzeugung und bürgerlicher Tüchtigkeit getragenen Volkstums über ein despotisches Gewaltregime werden immer von beispiel hafter Bedeutung für alle freiheitliebenden Völker bleiben. Der ganze Ablauf dieses viele Jahrzehnte dauernden Ringens, dessen Ausgang für die kultu relle Entwicklung und damit auch für die Kunstgeschichte der Niederlande entscheidend wurde, braucht hier nicht ins Gedächtnis gerufen zu werden. Nur an einige wichtige Daten sei erinnert. Seit 1568 überziehen Albas Heere, überall Blutgerichte aufrichtend, das ganze Gebiet der Niederlande; 1572: Aufstand der Niederlande unter Führung Wilhelms von Oranien; 1574: Alba räumt nach dem Durchstechen der Deiche durch die Geusen das Land; 1576: Genter Pazifikation zwischen den Nord- und Südprovinzen gegen die Spanier; 1578: die Wallonen werden von einem Nachfolger Albas, Alexander Farnese, für Spanien zurückgewqnnen; 1579: Utrechter Union, Zusammenschluß der sieben nordniederländischen Provinzen; 1581: Los sagung der protestantischen Nordprovinzen von Spanien; 1585: Farnese ge winnt Flandern und Brabant für Spanien und für den Katholizismus zu rück; 1609: Anerkennung der niederländischen Union durch Spanien und Zwölfjähriger Waffenstillstand; 1621: Wiederaufflammen des Krieges nach dem Regierungsantritt Philipps IV. und Bemühungen um Beilegung des Konflikts; 1648: Abschluß der langjährigen Friedensverhandlungen und endgültiges Ausscheiden der Niederlande aus dem Staatenverbande des Deutschen Reiches; die rein germanischen Nordprovinzen sind selbständig, republikanisch und protestantisch (calvinistisch), die Südprovinzen mit flä misch-germanischer und wallonisch-romanischer Mischbevölkerung bleiben spanisch, monarchisch regiert und katholisch. Wie im Norden die Bezeich nung „Holland“, eigentlich nur der Name einer der sieben Provinzen, für das ganze Land (etwa die heutigen Niederlande) Geltung erhielt, so im Süden die Bezeichnung „Flandern“, ursprünglich der Name einer Grafschaft mit den Hauptorten Brügge und Gent, für den bei’Spanien verbliebenen Teil (etwa das heutige Belgien). Erst seit der Spaltung der Niederlande spricht man in der Kunstgeschichte von „Holländischer Schule“ und „Flämischer Schule“; seitdem pflegt man die beiden Gebiete gesondert zu behandeln. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts verläuft die Entwicklung der nieder ländischen Kunst im Norden wie im Süden ziemlich gleichartig. Der Süden, dessen reiche Handelsstädte dem internationalen Güterverkehr und damit der Kultur und Kunst der anderen Nationen, vor allem Italiens, offenstehen, wird freilich früher und stärker von romanischen Kunstauffassungen berührt als der abgeschlossenere germanische Norden, wo Handel und Wandel erst Bedeutung gewinnen, nachdem Amsterdam die Rolle Antwerpens als Waren umschlagplatz übernommen hat, und wo daher eine besinnlichere, der Seele der Landschaft mehr Interesse zuwendende Kunstanschauung entstehen konnte. Diese anfangs geringfügige Verschiedenheit der seelischen Veran lagung der Holländer und Flamen bewahrt sich auch trotz des Hin- und Herwanderns der Künstler, für die im 16. Jahrhundert Antwerpen die Be deutung einer künstlerischen Hauptstadt der gesamten Niederlande hat, ja wird gerade bei den Meistern deutlich, die vom Norden nach Antwerpen oder von Antwerpen nach dem Norden übersiedeln. Sie bewahrt sich sogar über die Zeit hinweg, als beide Zweige dieses niederdeutschen Stammes sich bedingungslos dem „Romanismus“ mit dem eifrigen Streben, es den Italienern nachzutun, ergeben. Ihre Eigenart entwickelt sich erst wieder mit dem Augenblick, als sich die beiden Volksteile staatlich trennen. Während sich Holland alsbald auch von allen künstlerischen Bindungen unabhängig macht und seinen eigenen Kunstkreis schafft, findet die altniederländische Kunst ihre folgerichtige Fortsetzung in dem konservativen Flamland, das beim alten Glauben verharrt. PETER PAUL RUBENS (28. VI. 1577 bis 30. V. 1640). Fern von seiner eigentlichen Heimatstadt Antwerpen, wo seine Vorfahren schon vor 1400 ansässig waren, wird Peter Paul Rubens als sechstes Kind seiner Eltern in der kleinen westfälischen Stadt Siegen, die damals zur Grafschaft Nassau gehörte, geboren. Vom zweiten bis zum zwölften Lebensjahre ist er in der Obhut seiner hochgebildeten Eltern in Köln aufgewachsen. Sie waren gleich vielen ihrer Landsleute in den stürmischen Jahren des Alba-Regimes 1568 aus Antwerpen ausgewandert und hatten sich in Köln niedergelassen. Als Sachwalter in verwickelten Rechtsangelegenheiten war Jan Rubens hier der von ihrem Gatten, dem „großen Schweiger“ Wilhelm von Nassau, getrennt lebenden Anna von Sachsen nahegetreten. Als die Prinzessin 1571 der Ge burt eines Kindes entgegensah, ließ der empörte regierende Graf von Nassau den heißblütigen Anwalt verhaften und einkerkern. Jetzt aber zeigte sich die seltene Seelengröße der Ehefrau des Jan Rubens, die dem Gatten nicht nur seinen Ehebruch großmütig verzieh, sondern , auch unausgesetzt sein Los zu erleichtern und die Haft abzukürzen versuchte. Ihre Bemühungen hatten den Erfolg, daß Jan Rubens nach zwei Jahren gegen die Verpflichtung, sich stets in Siegen zur Verfügung zu halten, freigelassen wurde. Aber auch die Auf hebung dieses Zwangsaufenthaltes hat sie nach weiteren fünf Jahren 1578 erwirkt; allerdings muß die Familie schwere finanzielle Opfer bringen. In Antwerpen, wohin die Mutter nach dem Tode ihres Gatten um 1588 zurück kehrt, wird der junge Peter Paul nach Beendigung seiner Schulzeit zunächst Page in einem gräflichen Hause, in dem er sich die Umgangsformen der vor nehmen Welt und die Sicherheit des Auftretens aneignet, die ihm später nütz lich werden sollen. Bald aber entschließt er sich, Maler zu werden. Ein weit läufig verwandter Maler scheint ihm den ersten künstlerischen Unterricht gegeben zu haben. Danach soll Rubens zu den Romanisten (Verfechtern des italienisierenden niederländischen Zeitstils) Adam van Noort (1562-1641), bei dem auch Jordaens später lernte, und Otho van Veen (1558-1629), in die Lehre gegangen sein. 1598 wird er, 21 Jahre alt, als Freimeister in die Ant werpener Lukas-Gilde aufgenommen, und zwei Jahre später begibt er sich auf seine große Bildungsreise nach Italien. Von den dieser ersten Arbeits periode angehörenden Gemälden, meist Bildnissen, ist nur das Porträt eines Mechanikers in amerikanischem Privatbesitz aus dem Jahre 1597 mit dem Namen des jungen Meisters bezeichnet. Es erübrigt sich, viel mehr als die Stationen seines achtjährigen Italien aufenthaltes aufzuzählen, denn diese Zeit von 1600 bis 1608 bedeutet in sei nem Werdegang noch Vorbereitung. Hat er in seiner Heimat bisher den Ro manismus als einen Abklatsch italienischer Vollkommenheit aus zweiterHand empfangen, so kann er die Vorbilder nunmehr selber studieren. Mit seiner ungewöhnlichen Aufnahmefähigkeit verbindet sich eine einzigartige Bega bung, gesammelte Eindrücke umgeschmolzen in große Form zu gießen. In Venedig beeindruckt ihn neben Tizian besonders Tintoretto. Herzog Vin cenzo I. Gonzaga zieht ihn an seinen Hof zu Mantua, mit dem er bis 1608 in Verbindung bleibt. Über Florenz, wo er noch 1600 an den Feierlichkeiten der Vermählung der Maria de’ Medici mit Heinrich IV. von Frankreich teilnimmt und Leonardos „Schlacht von Anghiari“ abzeichnet, geht er 1601 nach Rom und bringt bei einjährigem Aufenthalt in seine Scheuern, was Antike und Renaissance hier gleichsam für ihn zum Ernten bereitet haben. Ein für seinen manieristischen Anfang bezeichnendes Werk ist ein dreiteili ger Altar mit unruhig bewegten Szenen, 1602 für eine römische Kirche ge malt, heute im Hospital in Grasse (Frankreich). Von Mantua aus wird er von seinem fürstlichen Gönner 1603 nach Spanien geschickt, wo er ver dorbene Bilder restauriert, viele Kopien anfertigt und unter anderem zwölf Apostelbilder (Madrid, Prado) und das Reiterporträt des Herzogs von Lerma (Madrid, Privatbesitz) malt. Wieder in Mantua, führt er für die dor tige Jesuitenkirche ein riesiges und vielfiguriges Altarwerk aus, „Die Ver ehrung der Dreifaltigkeit durch die Familie Gonzaga“, dessen einzelne Teile sich heute verstreut in verschiedenen Sammlungen finden. Etwa seit Ende 1605 ist er wieder in Rom. Sein Studium beschränkt sich jetzt nicht mehr auf antike Denkmäler, auf Michelangelo, Giulio Romano, Correggio und die anderen großen Meister der späten Renaissance und des Manierismus, sondern er vertieft sich auch in die Schaffensweise der zeitgenössischen Bolognesen und vornehmlich des Naturalisten Caravaggio, dessen „Grab legung Christi“ (Abb. S. 18) er kopiert. Rubens’ Hauptwerk dieser Zeit ist ein Altar für die Kirche Sta. Maria in Vallicella in Rom. Seinen „Sinn für