Volltext Seite (XML)
Bartolome Esteban Murillo: Die Zlg eunerma donna. Rom, Galler ia Nazionale d‘Arte Antica Neben diesen Motiven erscheint alles andere, was der vielbeschäftigte Meister an religiösen Darstellungen bis ins hohe Alter mit unverminderter Schaffenskraft gemalt hat, weniger wichtig, mag er auch in einer auf monu mentale Gestaltung ausgehenden Periode in den fünfziger Jahren eindrucks volle Heiligenfiguren, wie den ,,Hl. Rodriguez“ (Dresden), oder mächtige, kunstvoll gebaute Kompositionen oder zu Beginn der siebzigerJahre groß artige Massenszenen ausführen. In fast allen Bildern aber, mögen sie auch sonst gelegentlich etwas matt ausgefallen sein, entzücken immer wieder die unvergleichlichen Kinderdarstellungen, Menschenkinder, Engelkinder, das Christkind oder der Johannesknabe. Daher gelingen ihm auch die Genre bilder mit schmausenden, trinkenden, spielenden und sich lausenden Typen der Sevillaner Straßenjugend so gut: die „Trauben- und Melonenesser“, die „Pastetenesser“, die „Geldzählenden Obstverkäufer“ und die hier wieder gegebenen „Würfelspieler“ (1,46x1,08 m) in der Münchener Pinakothek sowie ihre Gegenstücke in Paris, London und in englischem und amerikani schem Privatbesitz. Sobald man indessen dieses kleine Gesindel mit den der ben Volkstypen von Ribera oder Veläzquez vergleicht, wird man gewahr, daß Murillo seine Betteljungen und Hökermädchen im Atelier allzu gefäl lig hergerichtet, gewissermaßen salonfähig gemacht hat. Ihnen gegenüber wirken die wenigen Porträts des Meisters, auch die beiden in englischem und amerikanischem Privatbesitz befindlichen Selbstbildnisse, die um 1675 ent standen sind, auffallend herb und streng. Gewiß, Murillo spannt seine Kunst willig in die kirchliche „Propaganda für den Glauben“ ein, er preist die „guten Werke“, das Schlagwort der Gegen reformation, er predigt Mildtätigkeit, Barmherzigkeit, Menschenliebe und Güte, und er versucht mit suggestiver Eindringlichkeit zu überreden; aber es ist eine sanfte Gewalt, eine gewinnende Herzlichkeit, eine süße Melodie, mit denen er unsere Herzen bezwingt, auch wenn wir uns dem Glaubens inhalt entfremdet haben. Es gelingt ihm vor allem, weil er alles Auf stachelnde, Asketische und Ungesunde ablehnt. Er kennt nicht jenes Zu sammenschmelzen von Schmerz- und Lustgefühlen, das uns die Martyrien- bilder des Barock häufig so unsympathisch macht. Wenn er einmal einen solchen Vorgang darstellt, wie in dem „Martertod des hl. Andreas“ im Prado, so vermeidet er es, die perversen Gefühle der sich an den Schmerzen weidenden Henker zu schildern, und gibt dem Antlitz des leidenden Blut zeugen den reinen, verklärten Blick innerer Heilsgewißheit. Was man an Murillo tadeln kann, ist seine oft allzu weitgehende Weichlichkeit und sein unbeschwerter Schönheitskult, dem wir heute die mystische Schwärmerei eines Greco und die kühle Realistik eines Veläzquez vorziehen. Bartolome Esteban Murillo: Würfelspieler. München, Pinakothek