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Eustache Le Sueur: Die Musen Klio, Euterpe und Thalia. Paris, Louvre Carracci, den er in Paris aufnimmt. Mit seinen Altarbildern, Historien und allegorischen Gemälden mag er den Geist der Zeit glänzend getroffen haben, für uns sind sie allzu klassizistisch, allzu rhetorisch, allzu kühl oder allzu süß lich, je nachdem welche Richtung er gerade bevorzugt. Einzig und allein sein Porträtschaffen konnte die Zeit überdauern. Zu seinen besten Bildnissen ge hört das mehrfach wiederholte Repräsentationsbild des Kardinals Richelieu, der „Roten Eminenz“; wir geben hier die Fassung des Louvre (2,22 X 1,55 m) aus der Mitte der dreißiger Jahre wieder. Richelieu hat eine wahrhaft im posante, denkmalhafte Haltung eingenommen, bei der eine gewisse vor nehme Nonchalance nicht fehlt. Während er in langsamem, gewichtigem Schreiten vor einer kostbaren Brokatdekoration vorübergleitet, wobei sich die halb geraffte karminrote Kardinalsrobe zu wunderbaren Falten bauscht, scheint er mit einer gewiß charakteristischen sprechbereiten Gebärde einen Plan auszuarbeiten, der sich in seinem geistvollen Kopf formt; eine besondere Bedeutung kommt der Haltung der feinnervigen Hände zu. Man hat den Eindruck unbedingter Wahrheitstreue: so und nicht anders muß der gewal tige Mann ausgesehen, so sich sein herrisches Standesgefühl ausgeprägt haben. Der Künstler verzichtet hier auf allegorische Embleme und Figuren, deren er im Bildnis Ludwigs XIII. von etwa 1628 (ebenfalls im Louvre) noch bedurfte. Das Bildnis Richelieus steht würdig und selbständig neben den besten Repräsentationsbildern, an denen das Jahrhundert nicht arm ist. Dasselbe trifft auf eine Reihe anderer Standesporträts zu, wie auf das etwas pomphaftere des Parlamentspräsidenten de Mesme im Louvre (1653) und das ebenfalls dort befindliche Gruppenbild der Pariser Schöffen. In ganz schlicht gehaltenen Brustbildern, die den Vertretern des geistigen und reli giösen Frankreich gewidmet sind, konzentriert sich der Meister vollkommen auf die psychologische Schilderung. Zwei Ausdrucksbildnisse besonderer Art verdienen noch genannt zu werden. Das eine ist das sachliche und unsenti mentale Halbfigurenbildnis einer auf ihrem Totenbett aufgebahrten Nonne, deren Antlitz den seligen Frieden einer anderen Welt widerspiegelt (Museum in Genf), das andere das Doppelporträt zweier Klosterfrauen von Port Royal in ganzer Figur; diese als Weihbild für das Kloster 1662 gemalte Tafel be findet sich im Louvre. Hier ruht eine noch junge Nonne (Champaignes ge lähmte Tochter), die Hände gefalten, auf einem dürftigen Krankenlager und richtet den Blick ergeben nach oben; ihre Augen erleuchtet ersichtlich ein Hoffnungsschimmer. Die ältere Frau, eine Äbtissin, kniet ebenfalls mit gefal lenen Händen und erhält mitten im Gebet für die Kranke die Gewißheit der Heilung, wie die Inschrift besagt. Keine göttliche Erscheinung ist nötig, um die Wunderheilung glaubhaft zu machen, nur ein angedeuteter Lichtstreif und die Inschrift weisen darauf hin, alles übrige ist in die ungemein aus drucksstarken Gesichter gelegt. Das Bedeutendste leistet die französische Malerei gegen Ende des Jahrhun derts überhaupt im Porträt, vor allem im offiziellen, repräsentativen Por trät. Nicht nur Champaigne und Pierre Mignard (1612-1695), der Führer der „Rubenisten“, sondern auch der Akademiedirektor und Kunstdiktator Charles Le Brun (1619-1690), der Wortführer des „Poussinismus“, und seine Schüler haben hervorragende Bildnisse geschaffen. Ihre wichtigsten Nach folger sind Nicolas de Largilliere (1656-1746) und Hyacinthe Rigaud (1659 bis 1743), die der Porträtauffassung der großen Flamen Rubens und van Dyck huldigen; sie reichen mit ihrem Schaffen bereits in das nächste Jahr hundert, das Zeitalter des Rokoko, hinüber, in dem Frankreich mit Antoine Watteau die Führung in der europäischen Malerei übernimmt. Philippe de Champaigne: Bildnis des Kardinals Richelieu. Paris, Louvre 37