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Louis Le Main: Bauernfamilie. Pans, Louvre Schule in Rom und Neapel liebten, finden sich häufig bei ihm, sowohl auf einigen Bauernbildern wie auch auf der „Schmiede“ im Louvre und der „Venus in der Schmiede des Vulkan“ im Museum in Reims, der einzigen mythologischen Darstellung der Brüder Le Nain, wohl gemeinsam von Louis und Mathieu ausgeführt. Allerdings hatte man auch in Paris Gelegen heit, die neueste Entwicklung der italienischen Malerei kennenzulernen, da hier einige der erfolgreichsten italienisierenden Franzosen tätig waren. Zu ihnen gehörte vor allem der Pariser Simon Vouet (1590-1649) mit seiner reichen Schüler- und Anhängerschaft, der eigentliche Begründer der fran zösischen Barockmalerei, der, nach 15jährigem Aufenthalt in Italien 1627 von Ludwig XIII. nach Paris gerufen und zum „ersten königlichen Hof maler“ ernannt, anfangs als Mitläufer Caravaggios, später als Eklektizist im Sinne der Bolognesen (vgl. S. 19) wirkte. Gegenüber dieser die Mode be herrschenden deklamatorischen, hochpathetischen Hofkunst hat Louis Le Nain jedoch stets seine einfache und schlichte Weise beibehalten, denn er malte nicht wie Vouet für die großen Herren, sondern für das wohlhabende Bürgertum und den kleinen Landadel, die noch dem Bauerntum nahestanden. Daher sind seine Bauern wirkliche, echte Leute vom Lande, nicht als Schä fer oder Hirten verkleidete Städter, wie sie die Salonliteraten jener Zeit lieb ten, und auch nicht jene ewig betrunkenen, raufenden Tölpel der Bauernko mödie und der flämischen Bauernmalerei. Er malt das ärmste Landvolk, abgearbeitete Menschen mit müden Gliedern in zerrissenen Kleidern und Schuhen, aber in traulichem Beisammensein bei einem Gläschen Wein oder beim bescheidenen Mahl. So erscheinen sie nach der schweren Tagesarbeit, jeder mit sich beschäftigt, auf dem hier wiedergegebenen Gemälde des Louvre, das den Titel „Bauernfamilie“ führt (1,13x1,59 m), so auch auf einem anderen Louvrebild „Bauernmahlzeit“, das 1642 datiert ist, und auf ähnlichen Werken. Als bemerkenswertes Zeichen echt französischer Galante rie ist angeführt worden, daß die weiblichen Figuren stets ordentlich und sauber angezogen auftreten. Fast kokett erscheinen sogar die jungen Mäd chen auf dem farbig ungewöhnlich feinen Bild „Heimkehr von der Heu ernte“ von 1641, das sich ebenfalls im Louvre befindet. GEORGES DE LA TOUR (um 1590/1600 bis 30.1. 1652). Der in der älteren Literatur fälsch lich Georges Menil (auch du Mesnil oder Du- mesnil) de La Tour genannte Maler ist erst durch neuere Veröffentlichungen und neu ent deckte Bilder, die vom Pariser Louvre (1926) und vom Berliner Kaiser-Friedrich-Museum (1927) erworben wurden, weiteren Kreisen be kanntgeworden. Außer drei signierten Gemälden vermochte man ihm bisher nur noch vier Bilder mit einiger Sicherheit zuzuschreiben. Wie über die Brüder Le Nain weiß man auch über diesen unverdient vergessenen, eigenartigen Meister sehr wenig, der, da er 1621 als verheiratet be zeichnet wird, wohl im letzten Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende geboren wurde, also etwa gleichzeitig mit den anderen großen franzö sischen Malern des Barockzeitalters: Vouet (1590), Valentin de Boullogne (1591), dem be deutenden Graphiker Jacques Callot (1592), Louis Le Nain (um 1593), Poussin (1593) und Claude Lorrain (1600). Unerforscht ist seine künstlerische Erziehung und unbekannt auch, ob er wie die meisten französischen Künstler jener Epoche in Italien war, doch dürfte er nicht sein ganzes Leben in seinem Geburts- und Sterbe ort Luneville im Herzogtum Lothringen zuge bracht haben. Für den Gouverneur von Nancy, der damaligen Hauptstadt des Herzogtums, malte er 1648 einen „Hl. Alexis“, der verschollen ist, für seinen Landesherrn Karl IV. von Loth ringen sowie für den französischen König Lud wig XIII. je einen „Hl. Sebastian“, von denen einer vielleicht mit dem hier wiedergegebenen, aus amerikanischem Privatbesitz erworbenen Berliner Bild „Auffindung des hl. Sebastian“ (1,60x1,29 m) identisch ist. Ludwig XIII. soll das Gemälde La Tours so geschätzt haben, daß er, wie es heißt, alle anderen Bilder aus dem Zimmer verbannt habe, in dem es hing. Die leuchtende, aber herbe und eigenwillige Farbigkeit, die starke Gegensätzlichkeit der hellen und dunklen Partien, die strenge Linienfüh rung und die reliefartige Anordnung der scharfumrissenen fünf Figuren unseres Bildes sind allerdings Eigenschaften, die dem Charakter der übrigen zeitgenössischen Malerei Frankreichs so sehr widersprechen, daß das Ge mälde auch heute im Museumsraum alle Augen sogleich auf sich zieht. Das Thema der Auffindung und Beweinung des gemarterten Heiligen durch fromme Frauen ist in der Art einer „Beweinung Christi“ behandelt, die Ausführung erinnert in der diagonalen Komposition an Caravaggios „Grab legung Christi“ im Vatikan (vgl. Abb. S. 18); auch in der genremäßigen Auffassung der ergreifenden Szene zeigt sich der Einfluß der Caravaggio- Schule. Ungemein eindrucksvoll ist der Jammer der Frauen dargestellt, die madonnenhafte Klagegebärde der Irene, das Weinen des Mädchens im Hintergrund, das Gebet der sich dem Geschick ergeben beugenden Alten, deren Profil kaum sichtbar aus der dunklen Kapuze vorragt, und die tätige Fürsorge der mitleidig auf den halb toten Heiligen niederblickenden Magd, deren hoch aufflammende Kerze die ganze Szene beleuchtet. Bis auf ein vor kurzem in einer Pariser Privatsammlung aufgetauchtes si gniertes Halbfigurenbild „Lockere Gesellschaft beim Kartenspiel“ in der Art der Falschspielerdarstellungen des Caravaggio-Kreises, das bei hellem Tageslicht eine Gruppe eleganter, bunt und prächtig gekleideter Kurtisanen und stutzerhafter Jünglinge in der Tracht von etwa 1625 am Spieltisch zeigt, sind alle bisher bekannten Bilder La Tours „Nachtstücke“, Darstellungen nächtlicher Szenen mit künstlicher Beleuchtung, wie sie Caravaggio und seine Nachfolger liebten. Am stärksten „caravaggesk“ ist das Halbfiguren bild „Verleugnung Petri“ im Museum in Nantes, das einzige Werk des Meisters, das außer seiner vollen Signatur auch eine Jahreszahl (1650) trägt. Es zeigt eine kerzenbeleuchtete Gruppe grimmiger würfelnder Kriegs knechte, von denen Petrus erkannt zu werden fürchtet, und ist im engsten