Volltext Seite (XML)
Jan Lys aus Hoorn an der Zuidersee, also fälschlich als Holländer, bezeichnet. Was wir über ihn wissen, verdanken wir fast ausnahmslos der lebendigen Schilderung seines Freundes Joachim von Sandrart, der ihn 1628 in Venedig kennenlernte und dort mit ihm zusammen wohnte. Sandrart schreibt über den Bildungsgang seines Landsmannes: „Er hat sich nach gelegtem Grund in der Mahlerey auf Amsterdam begeben und daselbst des Heinrich Golzii (Hendrik Goltzius) Manier zu ergreiffen sich sehr bemüht, auch Geistreiche Sachen (d. h. allegorische Darstellungen) gemahlt. Von dannen zöge er nach Pariß, Venedig und Rom, nähme eine ganz andere Art an, und weil es ihm zu Venedig sehr wol ergangen, kehrte er gar bald wieder zuruck dahin.“ Bilder aus seinen Lehrjahren in Holland und aus der kurzen, aber bedeu tungsvollen Zeit seines römischen Aufenthaltes haben sich bis heute nicht nach weisen lassen; fast alles, was wir von ihm besitzen, ist in Venedig ent standen. Gleich den meisten nordischen Malern, die damals nach Rom kamen, empfängt auch Liß um 1620 in Rom den überwältigenden Ein druck, den die Kunst Caravaggios noch unvermindert ausübte. Ganz un verkennbar erscheint das Vorbild des lombardischen Meisters in dem frühen Dresdener „Lautenspieler“ und dem nicht viel späteren prachtvollen „Bildnis eines Architekten“ in den Uffizien, und auch in den Genrebildern, die sicher schon in Venedig entstehen, verraten Bildaufbau, Farbgebung und Beleuchtung noch den Einfluß Caravaggios. Daß Liß spätestens 1621 nach Venedig kam, bezeugt eine signierte und datierte Handzeichnung im Besitz der Hamburger Sammlung, auf der,sich der Künstler übrigens als Holsteiner bezeichnet. Erstaunlich ist indessen, was ihm trotz des von Sand rart bezeugten liederlichen Treibens in der kurzen Spanne seines Lebens gelingt. Denn unter den sechzig Gemälden, die ihm die Forschung bis jetzt zugeschrieben hat, findet man zwar zahlreiche Wiederholungen desselben Vorwurfs, aber auch so viele bedeutende Schöpfungen, daß dem lange ver gessenen und verkannten Künstler der Titel eines deutschen Meisters nicht mehr abgesprochen werden kann. Zu seinen Hauptwerken, die sich allerdings noch nicht genau datieren lassen, zählen zwei Bauernbilder in der Art der derben Sittenmalerei, wie sie seit den Tagen Pieter Brue gels bei den Niederländern geübt wurde, die aber in der saftvollen Schilderung über alles Bisherige weit hinaus gehen. Das eine ist der „Hoch zeitszug“ der Budapester Ga lerie, das andere die hier wiedergegebene „Bauernprü gelei“ (67 X 83 cm) des Ger manischen Nationalmuseums in Nürnberg, von der sich eine weitere, vielleicht die ur sprüngliche Fassung im Fer dinandeum in Innsbruck be findet. Nach Sandrarts treff licher Beschreibung stellt es „der bezechten Bauren Un einigkeit vor, die erbärmlich untereinander mit Mistgabeln und Hacken zuschlagen, dar zwischen ihre Weiber rennen und hinterrücks die zornige ganz erbleichte Männer auf halten; der Zechtisch stürzet einen alten trunknen Bauren zur Erden, samt andern vielen seltsamen unhöflichen Bau- renbräuchen." Ganz italie nisch wirken neben diesen Darstellungen Bilder wie die „Rast von Soldaten auf dem Marsche“ des Berliner Mu seums und das großartige „Gelage von Soldaten und Dirnen“ der Kasseler Galerie (Wiederholung in Nürnberg), das Glanz stück der „schönen Conversationen geharnischter Soldaten mit Venetiani schen Courtisanen, da unter lieblichen Seiten- und Kartenspiel bey einem ergötzlichen Trunk jeder nach seinem Gefallen conversirt und im Luder lebt“. Im „Morraspiel“, einem entzückenden Genrebild, das ebenfalls Kassel gehört, nähert sich des Meisters locker und breit fließende Mal weise zusehends Fettis zwanglos heiterer Art (vgl. S. 23). Enge Berührung mit ihm als dem Schöpfer der Gleichnisbilder zeigt der Deutsche in sei nem „Gleichnis vom verlorenen Sohn“ in den Uffizien (Wiederholungen in Venedig und Wien), in einigen mythologischen Bildern und in den zahl reichen religiösen Darstellungen, mit denen er schließlich den malerischen Stil Fettis zu überragender Höhe führt. Seine besten Werke auf mythologi schem Gebiet, zugleich seine bedeutendsten Aktbilder sind die reizvolle „Toilette der Venus“ in den Uffizien (daneben mehrere Wiederholungen) und die unter dem Einfluß van Dycks entstandene große Komposition „Venus und Adonis“ im Palazzo Pitti. Die reichste Entfaltung seiner Far benkunst bringen jedoch die Gemälde biblischen Inhalts, die „Magdalena“ in Dresden, die „Judith“ in Budapest, die „Verzückung des hl. Paulus“ in Berlin und die „Vision des hl. Hieronymus“, das schon von Sandrart ge rühmte Altarbild in der venezianischen Tolentiner-Kirche, ein Farben- und Lichtwunder und ein strahlendes Meisterwerk reifer Barockmalerei. Über die merkwürdige Lebens- und Schaffensweise des „unordentlichen“ Malers berichtet sein Freund: „Er hatte im Gebrauch sich lang zu besinnen, ehe er seine Arbeit angefangen, hernach, wann er sich resolvirt, ließe er sich nichts mehr irren. Da wir zu Venedig beysammen wohneten, blieb er oft zwey oder 3 Tag von Haus und käme dann bey Nacht ins Zimmer, setzte sein Palet mit Farben geschwind auf, temperirte sie nach Verlangen und verbrachte also die ganze Nacht in Arbeit. Gegen Tag ruhete er ein wenig und führe wieder 2 oder 3 Tag und Nacht mit der Arbeit fort, so daß er fast nicht geruhet, noch Speise zu sich genommen, dawider nichts geholffen, was ich ihme auch zusprache . . ., er verharrte bey seiner angenommenen Weiß, blibe etliche Tag und Nacht, weiß nicht wo, aus, biß der Beutel leer worden, alsdann machte er wiederum seinem alten Brauch nach aus der Nacht Tag und aus Tag Nacht.“ Einer Ein ladung Sandrarts nach Rom vermochte Liß nicht mehr zu folgen, 1629 starb er in Venedig an der Pest. Auf die Malerei in Deutsch land konnte bei dem zer rissenen Zustand des Reiches und des deutschen Volkes die Kunst der großen außer Landes gegangenen Meister kaum Einfluß gewinnen. Was hier noch lebenskräftig ge wesen war, ging in den Stürmen des Dreißigjährigen Krieges fast ganz zugrunde. Neben Sandrart könnten hier von deutschen Malern immer hin der in Schlesien tätige Michael Willmann (1630 bis 1706) und der Hamburger Matthias Scheits (1640-1700) genannt werden. Den bedeu tendsten Ausdruck deutschen Kunstwillens im 17. Jahrhun dert fanden die Baumeister. Sie waren es denn auch, die den Malern bald wieder lohnende Aufgaben stellten, denn ihre prunkvollen Kirchen, beson ders in Bayern und Tirol, be- durftendesfarbigenSchmucks. Johann Liß: Bauernprügelei. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum