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Gruppe üppigen Buschwerks und hier und da ein einzelner schöner Baum die Linien des Höhenzuges anmutig und wechselvoll unterbrechen. Der Gefahr des Übergewichts grünen Gesamttones, die für die Manieristen viel fach verhängnisvoll wurde und der Elsheimer auch in der Frühzeit nicht ganz entgeht, begegnet der Meister durch feine Abstufungen vom tiefen Grün zu herbstlicher Laubfärbung und zum lichten Silbergrau der Pappeln. Zu all dem kommt noch die von den italienischen Zeitgenossen bewunderte Kunst der Lichtbehandlung des nordischen Künstlers, der einen Abglanz der Welt in dieses von ovidischen Nymphen und Satyrn aufgesuchte Waldtal scheinen und die Unendlichkeit der Weite ahnen läßt, indem er ein sanftes Leuchten aus atmosphärischer Ferne über die Hügel und zwischen das Buschwerk hindurch auf den Wiesengrund des Teichrandes breitet. In der Erzeugung solcher geheimnisvollen Helldunkelstimmung, in der die Natur geister erwachen, ist Elsheimer ein in seiner Zeit unerreichter Meister. Bei ähnlicher Bildanlage herrscht die gleiche Stimmung wie in unserem kleinen Berliner Gemälde in den beiden Bildchen „Das Reich der Venus“ in Cam bridge und in der Wiener Akademie der Künste und in den verschiedenen Fassungen der „Sterbenden Procris“ in englischem und deutschem Privat besitz. Das Zwielicht des Morgens hat Elsheimer seltener dargestellt. Für die verlorengegangenen Originale seiner Tobias-Bilder (nur eine Fassung in englischem Privatbesitz gilt neuerdings als eigenhändige Wiederholung dieses mehrmals komponierten Motivs), in denen die aufgehende Sonne dem wandermüden Jüngling und seinem Schutzengel ins Angesicht scheint, ent schädigt das köstliche Bildchen des Braunschweiger Museums „Der Morgen im Gebirge“, meist „Aurora“ bezeichnet. Diese Darstellungen der Natur im Wechsel der Tageszeiten sind mehr als Abbilder eines Naturvorgangs oder einer Naturstimmung, in ihnen ist die Seele der Landschaft einge fangen. Von hier erhält wenige Jahre später auch der französische Meister Claude Lorrain (s. S. 35) seine fruchtbarsten Anregungen. Der nächtlichen Darstellungen wurde bereits gedacht. Die vollkommenste Gestaltung eines Nachtstücks ist die zaubervolle Mondscheinlandschaft der Münchener „Flucht nach Ägypten“ mit dem sich im Weiher spiegelnden wolkenumsäumten Vollmond auf der rechten Bildseite, dem links ein Wacht Ruhelager, und sie lassen es sich, was mit einem Körnchen Humor ge schildert wird, recht wohlsein. Die alte Baucis schleppt unterdessen gewärmte Decken herbei, um die Gäste behaglich einzuhüllen, während Philemon aus dem Vorratsraum heranträgt, was zur Bewirtung geboten werden kann. Vorn rechts bemerken wir bereits eine große Schüssel mit frischem Gemüse und in der Mitte die einzige Gans der Armen, die zutraulich näherzu kommen wagt, nachdem die hohen Gäste die Zubereitung eines Bratens ab gelehnt haben. Von der Ärmlichkeit des Haushalts sprechen deutlich der schmucklose Hausrat, die Körbe und Töpfe auf den Wandbrettern, auf dem Tisch und in der Nische, der Eimer, der neben der Wäsche an der niedrigen Decke hängt, und die Leiter, die auf den Boden führt. Aber das Licht der Ölfunzel genügt, um all dieser Dürftigkeit einen traulichen Glanz zu geben. Verstärkt durch die Wasserkaraffe auf dem roh gezimmerten Tisch malt es ein anheimelndes Wechselspiel von Helligkeit und Schlagschatten auf die Lehmwände und beleuchtet ein gemaltes Bild, auf dem Jupiter eines seiner mit Merkurs Hilfe ausgeführten galanten Abenteuer erblicken kann. Das Licht holt aber auch aus dem weich verschwimmenden Raumschatten die Einzelheiten hervor und schafft durch größere oder geringere Helligkeiten Abstand zwischen den Gegenständen und Personen. Zwei weitere, aber schwächere Lichtquellen finden sich auf der rechten Bildseite, wo sich der Raum nach der Tiefe zu erweitert: einen Kerzenstumpf hält der alte Philemon in zittriger Hand, ein anderer steht neben der Tür auf dem umgestülpten Milchtopf. Ein wunderbarer warmer Gesamtton gibt der häuslichen Szene jene heimelige Stimmung, die im damaligen Italien nur ein nordisches Ge müt, ein ganz in sich und in die Ausübung seiner Kunst versponnener Meister wie unser deutscher Adam Elsheimer hervorzubringen vermochte. JOHANN LISS (frühestens 1590 bis 1629). Innerhalb des unfruchtbaren und unbedeutenden Schaffens deutscher Malerei im 17. Jahrhundert steht neben dem Frankfurter Adam Elsheimer der Norddeutsche Johann Liß aus Oldenburg in Holstein durch die Bemühungen neuerer Forschung als ein großer deutscher Künstler italienischer Schulung vor uns. Da er schon in jungen Jahren in den Niederlanden gewesen ist, wurde er von der älteren Kunstgeschichtsschreibung nach einer irrigen Chronik-Angabe meist als feuer armer Hirten antwortet, während man in der Mitte die hl. Familie bei Fackelschein ihren Weg zu einer Ruhestätte suchen sieht; darüber glimmen im schwärzlichen Grünblau des Nachthimmels silberne Sterne und der Nebelstreif der Milchstraße. Als Mond scheinszene hat Elsheimer auch die Christophorus- Legende gemalt, das Original hat sich indessen bisher nicht auffinden lassen. Der berühmte, unter Elsheimers Namen gehende und seiner würdige „Hl. Christo phorus“ im Berliner Museum, in dem der Heilige mit dem Christkind auf dem Nacken bei hellem Sonnen licht einen spiegelklaren Fluß durchschreitet, wird dem Meister heute wieder abgesprochen; vielleicht ist das Bildchen von Gentileschi. Fackel- und Kerzen schein erhellt gespenstisch das einst viel kopierte Nachtstück der „Verspottung der Ceres“, von dem sich eine Originalfassung im Prado befindet, und einige Innenraumszenen, in denen Caravaggios Beleuch tungseffekte in dumpfen Räumen erneut erprobt wer den und das Problem des Kampfes zwischen flackern dem Licht und der alle Einzelheiten verschluckenden Finsternis zu bedeutenden Lösungen geführt wird. Wir wählen unter den wenigen Bildern dieser Art, die Elsheimer geschaffen hat, das Dresdener Täfelchen »Philemon und Baucis“ (16,5X22,5 cm) von etwa 1609, das durch den Stich von Hendrik Goudt starke Verbreitung gefunden und auch Rembrandts Gemälde des gleichen Themas von 1658 (in amerikanischem Privatbesitz) beeinflußt hat. In der armseligen Hütte der beiden aus Ovids „Verwandlungen“ bekannten glücklichen Alten ist der Göttervater.J upiter mit seinem Boten Merkur in dörflicher Verkleidung eingekehrt. Man hat ihnen die einzigen Sitzgelegenheiten über lassen, den hochlehnigen Faltstuhl und das einfache Adam Elsheimer: Philemon und Baucis. Dresden, Gemäldegalerie