Volltext Seite (XML)
DIE DEUTSCHE MALEREI DES BAROCKZEITALTERS Die von Melanchthon geprägte Formel „Cuius regio, eins religio“ (Wessen Land, dessen Religion) hatte dem Landesherrn jedes deutschen Ländchens die Macht verliehen, die Religion seiner Untertanen zu bestimmen; wech selte er wegen eines Vorteiles den Glauben, so mußten sie ihm darin folgen. Der Deutsche aber, den die Beschränkung äußerer Freiheiten nicht so drückte wie den die Ungebundenheit des Lebens liebenden Italiener, empfand um so schwerer jeden Zwang, der die Glaubens- und Gewissensfreiheiten ein engte. Vom Beginn der protestantischen Bewegung an zerreißt ein hundert dreißigjähriger Glaubenskrieg um höchste Fragen der Religion und um albernstes Theologengezänk das deutsche Volk, dem die Entscheidungen des eigentlichen Dreißigjährigen Krieges endlich den Frieden bringen, einen Frieden, in. dem es nur Besiegte, keinen Sieger gab. Immerhin hatte die Gegenreformation große Teile des Deutschen Reiches dem alten Glauben zurückgewonnen, aber Deutschland zerfiel durch den Gegensatz der Be kenntnisse immer mehr; die Schweiz und die Niederlande schieden jetzt endgültig aus. Alle anderen Lebensfragen mußten neben dem einen Gedan ken des „rechten“ Glaubens schweigen, vor allem die Künste. Seitdem die aus der Gotik hervorgewachsenen großen deutschen Künstler heimgegangen waren, herrschte in den künstlerischen Unternehmungen der deutschen Fürsten, der höfischen und der adligen Kreise und der katholischen Geistlichkeit im 16. Jahrhundert ein unerfreulicher Italianismus, neben dem die eigentlichen Kräfte deutscher Kunstgesinnung verlorengehen mußten: die Innigkeit, wie sie die mittelalterliche Religiosität und ihre Kunst besaßen, die Gedankentiefe Grünewalds und Dürers und das Naturgefühl, das die Donauschule so stark zum Ausdruck gebracht hatte. Ein mit dem deutschen Empfinden in Widerspruch stehender Manierismus italienischer Prägung hatte den Geist der Kunst und die Sinne der Künstler und Kunstfreunde in seinen Bann geschlagen. Waren es nicht unmittelbar italienische Meister dritten und vierten Ranges, meist aus der Schule Vasaris, die mit ihren mythologischen, historischen oder rein dekorativen Fresken die Fassaden, Wände und Decken der Rathäuser, Schlösser, Lusthäuser und Bürgerbauten schmückten, so waren es in Italien gebildete Niederländer oder in seltenen Fällen deutsche Künstler, die gleichfalls bei den Italienern gelernt hatten. Nur in die Zeichenkunst, die Graphik der Buch- und Einzelholzschnitte und der Kupferstiche, rettete sich der Geist deutschen Form- und Liniengefühls und nordischer Naturbeobachtung. Das Tafelbild dagegen, und zwar so wohl das Altarbild wie die mythologische und allegorische Darstellung, war dem unwiderstehlichen Zeitgeist verfallen, der auch die Haltung des Freskos bestimmte. Die Kunstgeschichtsschreibung hat sich im allgemeinen nur un gern mit der unfruchtbar erscheinenden Aufgabe befaßt, aus der natur-, ja artfremden deutschen Kunstproduktion zwischen 1550 und dem Ende des 17. Jahrhunderts das künstlerisch Wertvolle herauszusuchen. Erst in den letzten Jahrzehnten sind einige deutsche Barockmeister auf dem Gebiete der Malerei von der Forschung etwas mehr ans Licht gezogen worden. Wie gering auch die Zeitgenossen über das deutsche Kunstschaffen des 16. und 17. Jahrhunderts dachten, erfahren wir aus den Klagen eines Mannes, der wie kein anderer einen Einblick in das Kunstleben Europas gewann und sich um die Anerkennung deutscher Künstler verdient gemacht hat: Noch 1675 konnte der Maler und Kunstschriftsteller Joachim von Sandrart (1606-1688) in seinem „Lebenslauf“ am Ende seines künstlerbiographischen Werkes „Teutsche Akademie“ über die von ihm miterlebte Zeit schreiben: „Die Königin Germania sähe ihre mit herrlichen Gemälden gezierte Paläste und Kirchen hin und wieder in die Lohe auffliegen, und ihre Augen wurden von Rauch und Weinen dermaßen verdunkelt, daß ihr keine Begierde oder Kraft übrig bleiben konte, nach dieser Kunst zu sehen, von welcher nun schiene, daß sie in eine lange und ewige Nacht wolte schlaffen gehen. Also geriethe solche in Vergessenheit, und diejenige, so hiervon Beruf macheten, in Armut und Verachtung: daher sie das Pollet (die Palette) fallen liesen, und anstatt des Pinsels den Spiß oder Bettelstab ergreiffen musten, auch vornehme Personen sich schämeten, ihre Kinder zu so verachteten Leuten in die Lehre zu schicken.“ HANS ROTTENHAMMER (1564 bis 14. VIII. 1625). Unter den deutschen Künstlern der Barockzeit verdient Hans Rottenhammer, dessen Name in der eigenen Schreibweise wie in Urkunden bis zu Rättnhammer und Rät- chamer verunstaltet wurde, besondere Beachtung, und zwar weniger wegen seiner umfangreichen Tätigkeit als Freskomaler in München, Augsburg und Bückeburg oder seiner italienisierenden, immerhin gut gezeichneten mytho logischen Gemälde und größeren Altartafeln als wegen seiner kleinen far benfreudigen, meist auf Kupfer gemalten „Kabinettbilder“ gemütvoll reli giösen Inhalts. Als Sohn eines Hofstallmeisters in München geboren, erhielt er seine künstlerische Ausbildung bei einem einheimischen Meister italieni scher Schulung und wanderte dann nach dem Süden. 1589 ist er in Venedig, 1590-1596 in Rom, wo er sich mit den Niederländern Jan Bruegel und Paul Bril anfreundet, die ihm die Landschaften seiner Figurenbilder malen und denen er auch später noch gern seine Täfelchen zur Hinzufügung des land schaftlichen Hintergrundes schickt. 1596-1606 lebt er wieder in Venedig, wo Elsheimer zeitweilig in seine Dienste tritt, und von da ab ist er bis zu seinem Tode in Augsburg seßhaft, wo seine Beschäftigung allmählich nachläßt. Von Venedig aus hat er die reichen Kunstankäufe Kaiser Rudolfs II. unterstützt; er soll ihm unter anderem die Erwerbung von Dürers Rosenkranzbild ver mittelt haben, an dessen Stelle in der venezianischen Kirche S. Bartolomeo eine „Verkündigung“ von seiner Hand aufgerichtet wurde. So sehr sich auch Rottenhammer dem italienisierenden Zeitstil unterwirft, bleibt doch in seinen zarten und feinen Täfelchen mit den Darstellungen der hl. Familie oder der Ruhe auf der Flucht das deutsche Gemüt spürbar. Wir wählen aus den in zahlreichen Fassungen erhaltenen Bildchen der „Ruhe auf der Flucht“ das Kasseler Exemplar (24X 18 cm), das 1605 in Venedig entstand, also in der Zeit, als Tizian, Correggio, Barocci und vor allem Tintoretto und Veronese seine maßgebenden Vorbilder waren. Er durchbricht in der Figurenanordnung selten und auch auf diesem Bilde nur schwach die Vordergrundfläche, in der hier Maria mit dem Kind die Blu menspende des Johannesknaben entgegennimmt, während wenig dahinter Joseph den blumenpflückenden und blumenstreuenden Engelputten zu schaut, die den bei Rottenhammer beliebten Ovalkranz der Figuren schlie ßen. Nach manieristischer Art ist das ganze Bild mit den farbig stark hervor tretenden Gestalten ausgefüllt, so daß nur in der Bildmitte ein freies Stück bleibt, das dem Künstler oder seinem Helfer einen landschaftlichen Ausblick auf eine mattbläuliche ferne Bergwelt zu geben erlaubt. ADAM ELSHEIMER (vordem 18. III. 1578 bis kurz vordem 11. XII. 1610). Frankfurt a. M., wo zu Beginn des 16. Jahrhunderts Hans Holbein d. Ä. und Mathis Gothart gen. Grünewald einige Jahre tätig waren und wohin Al brecht Dürer einen berühmten Altar geliefert hatte, wird im letzten Viertel des Jahrhunderts wieder wichtig für die Kunstgeschichte, denn hier kommt als ältestes Kind eines aus Wörrstadt in Rheinhessen zugewanderten Schnei ders der bedeutendste deutsche Maler des Barockzeitalters zur Welt. Hier er hält er auch seine Ausbildung bei einem Meister, in dem noch die Grünewald- Tradition lebendig ist. Wir kennen die Geburts- und Todesdaten Adam Els heimers, der sich selber Ehlsheimer schrieb, nicht genau. Die Urkunden geben als Taufdatum den 18. März 1578 und als Beerdigungstag den 11. De zember 1610 an; der Meister ist also nicht ganz 33 Jahre alt geworden. Erst in den letzten zwanzig Jahren hat man sein Werk durch neue Entdeckungen und neue Zuschreibungen sowie durch Ausscheiden von zweifelhaften Ar beiten einigermaßen abrunden können; die zeitliche Anordnung seiner Ge mälde ist freilich bisher noch nicht befriedigend geglückt. Sie sind sämtlich in kleinstem Format in der damals im Norden beliebten Art auf Kupfer ge malt; in ihren Ausmaßen überschreiten sie selten einen halben Meter, meist bleiben sie noch weit darunter. Elsheimers erste Ausbildung leitet Philipp Uffenbach (1566-1636), ein Frank furter Maler, der einst bei dem Sohn eines Grünewald-Schülers in die Lehre gegangen war und nach dem Bericht Joachim von Sandrarts noch eine reiche Sammlung von bedeutenden Handzeichnungen des großen Meisters besaß. Viel mehr als das Handwerkliche des Malens, Kupferstechens und Radierens dürfte Elsheimer jedoch von seinem Lehrer kaum mitbekommen haben, als er sich 1598 auf die Wanderschaft nach Italien begibt. Stärkere Eindrücke mag er noch in der Heimat von den um ihres reformierten Glaubens willen aus Antwerpen geflüchteten manieristischen Landschaftsmalern empfangen