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Guido Reni kommt um 1600 oder 1602 zum erstenmal nach Rom, findet aber anschei nend im Gegensatz zu seinen beiden Mitschü lern keine rechte Füh lung mit Annibale Car racci. Er kehrt nach Bologna zurück und ar beitet gemeinsam mit Ludovico in der außer halb der Stadt gelege nen Kirche S. Michele in Bosco an Fresken, von denen nichts er halten geblieben ist. 1605 ist er wieder in Rom, wo er zunächst in Caravaggios Hell dunkelmanier eine un erquickliche „Kreuzi gung des Petrus “ (heute in der Pinacoteca Va ticana) ausführt. Im Wettstreit mit Domeni- chinos „Geißelung des hl. Andreas“ malt er 1608 für die Kirche S. Gregorio Magno ein aufsehenerregendes Fresko mit dem „Gang des hl. Andreas zur Richtstätte“, das das Wandbild seines ein stigen Mitschülers an Lebendigkeit und Farbenkraft weit übertrifft. Deut licher noch zeigt sein 1609 gemaltes Deckenfresko im Casino Rospigliosi (früher Casino Borghese), welches Ziel er verfolgt: ideale Schönheit gegen wärtig zu machen, eine Schönheit, wie sie in Wirklichkeit nicht vorhanden sein kann. Dieses einst übermäßig gefeierte Werk, „das vollkommenste ita lienische Gemälde dieser beiden letzten Jahrhunderte“ (Burckhardt), ist die hier wiedergegebene weltbekannte „Aurora“, deren Ruhm heute frei lich stark verblaßt ist. Vier feurige Rosse ziehen den Sonnenwagen, lässig gelenkt vom goldgelockten Phöbus Apollo, den anmutige, sittsam gekleidete Dienerinnen, die Horen, Gottheiten der Jahres- und Tageszeiten, begleiten. Voran schwebt in gebauschten Gewändern die rosenstreuende Aurora, die Göttin der Morgenröte, die dem Bilde den Namen gegeben hat, und über dem Viergespann fliegt, mit der Fackel den Himmel entzündend, Amor, während die Dämmerung allmählich von der Erde entweicht. Alles atmet höchsten Adel der Form, jede Einzelheit ist mit größter Meisterschaft ge zeichnet, und ein hoher Schwung geht durch die ganze in hell und warm leuchtenden Farben angelegte Komposi tion. Für unser Gefühl hat sich jedoch Reni in seinem Streben nach himmlischer Schönheit vergriffen, seine Figu ren sind allzu „gefäl lig“, seine Farben allzu „schön“. Gelegentlich hat Reni, wenn auch nur zaghaft, die illusio nistische Darstellungs weise angewandt,so bei der Kuppel der von ihm 1610 ausgemalten Privatkapelle des Pap stes Paul V. (Borghese) im Quirinaispalast zu Rom und 1614 in Bo logna in dem sehr ein ¬ drucksvollen Fresko „Glorie des hl. Domi nikus“ über dem Grab mal des Heiligen in der Kirche S. Domenico. Aber er war im Grunde eine konservative Na tur, und es lag ihm nicht, bei solchen Ar beiten neue, überra schende Lösungen zu suchen. Obgleich sich seine lyrische Art auch der römischen Forde rung eines hochdrama tischen Monumental stiles nicht recht an zupassen vermochte, wurde er in Rom mit Aufträgen überhäuft und überschwenglich gefeiert. Als er aus über mäßiger Empfindlich keit 1611 die Stätte sei nes ersten Ruhmes ver läßt und nach Bologna zurückkehrt, bietet der Papst alles auf, um ihn wiederzuholen, und die römischen Kardinäle fahren ihm bis an die Grenzen der Stadt entgegen, um ihn im Triumph zurückzubringen. Sein Aufenthalt scheint bis 1622 zwischen Rom und Bologna häufig gewechselt zu haben. 1620 malt er auch Fresken in Ravenna, und im gleichen Jahr führt er Ver handlungen über Arbeiten in Neapel, die sich jedoch zerschlagen, weil die dortigen Künstler, darunter der Spanier Ribera, gegen den ortsfremden Meister intrigieren. Seit 1622 lebt Reni anscheinend dauernd in Bologna. Sein bedeutendstes Altarwerk ist die große „Himmelfahrt der Maria“ in der Kirche S. Ambrogio in Genua (um 1616/19). Aber auch unter seinen übrigen kirchlichen Gemälden finden sich eindrucksvolle Bilder, wie der frühe „Simson“ in der Pinacoteca in Bologna, die beiden stimmungsvollen Genrebilder „Joseph mit dem Christuskind“ und „Maria in der Nähschule“ in Leningrad und der vielbewunderte „Erzengel Michael“ (um 1630) in der römischen Kapuzinerkirche Sta. Maria della Concezione. Ein Übermaß von Sentimentalität aber verleidet den Genuß vieler Werke, namentlich der auch durch ihre Farben unerfreulichen Arbeiten der klassizistisch kühlen Spätzeit seit 1630. Besonders abstoßend sind die süßlichen Darstellungen des nackten Christuskindes und die unzähligen Bilder mit dem Kopf des dornenge krönten Heilands oder der „Mater dolorosa“, der Schmerzensmut ter Maria, die mit schmachtendem Blick gen Himmel schauen. Der„himmelnde“Blick Renis wurde Mode und hat noch j ahrhunderte- lang verderblich ge wirkt. Erfreulicher sind einige mythologische Szenen, in denen Reni seine erstaunliche Mei sterschaft im Aktzeich nen beweisen kann; da zu gehört das von uns abgebildete fast vene zianisch anmutende Gemälde „Venus und Amor“ (1,36X 1,75 m) Annibale Carracci: Römische Landschaft. Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum Guido Reni: Aurora. Rom, Palazzo Rospigliosi