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haltes in seiner Heimatstadt gemeinsam mit seinen Verwandten an dem my thologischen Wandfries-, Kamin- und Deckenschmuck einiger Bologneser Adelspaläste tätig. Gleich seinem Bruder Agostino ist Annibale schon um 1580 in Parma, um die Mitte der achtziger Jahre in Venedig gewesen. 1595 wird er zu einem besonderen Auftrag nach Rom geholt, wo er bis an sein Lebensende bleibt, während sich Agostino, der ihm 1597 nachgereist ist, bald wieder nach Bologna und schließlich nach Parma begibt. Von den vielleicht noch in Bologna, wahrscheinlicher schon in Rom ausgeführten Tafelgemälden, die Themen der antiken Götterlehre behan deln, wählen wir das farbenprächtige Wiener Bild „Venus und Adonis“ von etwa 1594/96 (2,16 x2,46 m). Annibale hat hier den neuen Stil bereits entschieden verwirklicht. Manieristisch ist freilich noch das Streben, die ganze Bildfläche bis an die Ränder zu füllen, und von dem älteren Stil her stammt auch die diagonale Lagerung der nackten weiblichen Figur quer durch das ganze Bild (vgl. Tintorettos „Merkur und die Grazien“, Abb. S. 11). Aber wie klar und einfach sind hier die Stel lungen gezeichnet, wieviel leben strotzende Kraft und sinnliche Schönheit steckt in diesen Glie- dern, wieviel mehr wirkliches Le ben in jeder Bewegung, wieviel mehr Naturbeobachtung in der Schilderung der Tiere! Da ist der Jäger Adonis, der schönste der Menschen, den Venus in ihren Bann gezogen hat. Übersättigt von der Liebe will er fort, ihn lockt die Jagd auf gefährliches Wild, und mit starker Geste zerstreut er die Einwände der liebeverlangenden Göttin. Der spannendste Moment des Abschieds ist gewählt, schon wendet sie sich ihrem Knaben Amor zu, schon zerren an dem Jäger die Hunde, die wilden Ge sellen der Jagd. Ein gewandeltes, sinnenfrohes Weltgefühl durch strömt das Werk. Am stärksten spüren wir das neue Lebensgefühl des Barock in dem großen Werk, zu dem Annibale 1595 von dem erst 21jährigen Kar dinal Odoardo Farnese nach Rom berufen wird, dem Hauptwerk seines Lebens, das ihn acht Jahre, wenn auch nicht ausschließlich, beschäftigt. Es ist die wohl 1597 begonnene Ausmalung des etwa 20 m langen und 6 m breiten Tonnengewölbes in der Galerie des eben erst vollendeten Palazzo Farnese. Bezeichnend für den Geist der neuen Zeit, daß ein Kardinal des päpstlichen Rom die Aufgabe stellt, den Triumph der Liebe im Weltall an die Decke seines Repräsentationssaales zu malen. Der Künstler übernimmt Anregungen von der Sixtinischen Decke Michelangelos, gibt aber den Einzelbildern ein Über gewicht gegenüber der gliedernden Scheinarchitektur und den Giganten, die das Deckengewölbe tragen und schamhaft das Haupt vor den gewagten Darstellungen des Liebesgenusses auf den Bildern verhüllen. Auch die an mutige Deckendekoration Raffaels in der Villa Chigi, der späteren Villa Farnesina, hat der junge Meister auf sich wirken lassen, aber das dekorative Element zu einer echt barocken, üppig wuchernden Plastik gesteigert. Ein großes Bild in der Mitte der Decke schildert den Triumphzug des Bacchus und der Ariadne, einen wahrhaft bacchantischen Zug nackter Gestalten, die Wein- und Liebesrausch vorwärts treiben. Die anderen Darstellungen sind den Liebesabenteuern der Götter und Heroen des Altertums gewidmet. Das Gesamtwerk, an dem Agostino mit zwei Bildern beteiligt ist und an dessen Ausführung seit 1602 Domenichino und andere Künstler mitwirken. erregt die größte Bewunderung der Zeitgenossen, so daß der gefeierte Meister mit zahlreichen Aufträgen nebenher bedacht wird. In alten Be richten heißt es freilich, er sei über die geringe Entlohnung durch den Kar dinal erbost, nach Vollendung dergroßen Deckenmalerei (um 1604/05) in Trübsinn gefallen und habe in den letzten Jahren nicht mehr gearbeitet. Unter den vielen Gemälden, die bis etwa 1605 in seiner mit zahlreichen bedeutenden Hilfskräften arbeitenden Werkstätte in Rom entstehen, sind wie der Anbetungs- und Beweinungsbilder. Von anderen religiösen T afeln nennen wir vor allem das in der Londoner National Gallery bewahrte eindrucks volle Bild „Domine, quo vadis“ mit der Erscheinung des kreuztragenden Christus, der an dem erschrockenen Petrus vorbeischreitet. Annibale beweist hier, daß das Pathos seiner Jugend noch einer Steigerung fähig war. Die poetische Verklärung, das Ziel sei ner Kunst und der seiner großen Schülerschar, erhält jetzt einen heroischen Schwung. Der Meister erreicht jenen großartigen, monu mentalen Stil, der durch die Ge schlossenheit des Figurenaufbaues und die gewaltige, wenn auch meist sparsam angewandte Rhetorik der Gesten für das ganze 17. Jahrhun dert vorbildlich wird. Auch die nicht ganz eigenhändigen mytho logischen Tafelbilder der reifen römischen Zeit, die von Amoretten umgaukelte „Schlafende Venus“ (ursprünglich für eine Decke im Palazzo Farnese bestimmt, heute in Chantilly) und die „Danae“ der Bridgewater Gallery in London, haben diesen heroischen Zug, der sie zu Vorbildern des französischen Klassizismus werden läßt. Das gleiche trifft auf die Landschaften zu, so wohl auf die,, Landschaft mit der Flucht aus Ägypten“ in der Galleria Doria-Pamphili, wie auch die „Römische Landschaft 1 ‘ in Ber lin (0,80 x1,43 m), die wir hier wiedergeben. Sie ist einfach und klar aufgebaut, kein zufälliger Na turausschnitt, gibt aber trotz der festgefügten Idealkonstruktion mit dem - kastellartigen Brückenkopf Raum für reizvolle Fernblicke durch die Brückenbögen hindurch und für poetische Einzelheiten im Vordergrund, die zum Verweilen ver locken. Hier ist Giorgiones Stimmungspoesie, die auch in den novellenhaften Figuren zum Ausdruck kommt, in das Weltgefühl des Barock übersetzt. Wir wissen nicht, wie die beiden großen Meister, die in Rom gleichzeitig den Barockstil in der Malerei begründen, persönlich zueinander standen, aber wir erfahren, daß Caravaggio seinen Rivalen zu den „valentuomini", den bedeutenden Menschen, zählte. Der Spalt, der die Anhänger der beiden Rich tungen trennte, war gewiß schärfer als der zwischen den Meistern selbst. Die römische Geistlichkeit bevorzugte zweifellos den Meister aus Bologna, dem sie im Pantheon neben der Ruhestätte Raffaels ein Grab einräumte. GUIDO RENI (4. XL 1575 bis 18. VIII. 1642). Als bedeutendster, jeden falls erfolgreichster Bologneser Meister aus der Schule der Carracci gilt Guido Reni, auch kurz il Guido genannt. Als Sohn eines Musikers in Cal- venzano bei Bologna geboren, tritt er schon mit knapp neun Jahren als Lehr ling in die Werkstätte des in Bologna ansässigen Antwerpener Malers Dionys Calvaert (um 1540-1619) ein. Von etwa 1595 bis 1599 arbeitet er bei Ludo vico Carracci, der ihn wegen seiner engelgleichen Schönheit sehr geliebt haben soll. Seine Mitschüler bei beiden Meistern waren Francesco Älbani (1578-1660), der als Maler zahlreicher mythologischer und allegorischer Bildchen berühmt geworden ist, und Domenichino (s. S. 22/23). Annibale Carracci: Venus und Adonis. Wien, Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums 20