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WETTBEWERBE, DIE IN DER ERINNERUNG HAFTEN „Ich erkläre die olympischen Spiele in Los Angeles zur Feier der X. Olympiade moderner Zeitrechnung für eröffnet.“ — Vizepräsident Charles Curtis am 31. Juli 1932. meter früher mit der Brust am Zielband als sein Rassengenosse. Im 200-Meter-Lauf hatten die Funktionäre der FIAA die zweite Bahn falsch ausgemessen. Metcalfe mußte 1% Meter mehr laufen als 200 Meter und solche Vorgabe konnte er Tolan und Simpson nicht leisten. Der einzige Athletiksieger von 1928, der seinen Erfolg wiederholen konnte, war der Hammer werfer O’Callaghan. Die Gene rationen wechseln heutzutage schnell. Nicht viel los mit Naturvölkern. Völlig unbeleckt von Kultur und Zivilisation sind sie sicher gesünder und stärker, aus dauernder und abgehärteter als wir. Im sportlichen Wett bewerbe sind die Vertreter alter Kulturen denen soge nannter Naturvölker ausnahms ¬ haben, oft, ja meistens besiegt. Hier kann nur gewinnen, wer in der Form seines Lebens, in der Blüte seiner Kraft kommt, wer auf die Sekunde bereit ist. Wie oft war nicht Metcalfe schneller als T olan ? Hier war es umgekehrt. Wie oft stießen nicht Hirschfeld, Douda, Kalle Järvinen, Hart die Kugel über die 16-Meter-Marke ? Hier kam keiner von ihnen ihr auch nur nahe. Dafür war da der Kalifornier Rothert. Er hatte nie zu den ganz Großen gezählt. Nie war von ihm ein Wurf von 16 Metern gemeldet worden. Jetztwurde er Zwei ter mit einer der besten Leistungen, die ihm jemals gelang. Das war es, was uns Deutschen zum großen Siege fehlte. Die Fähigkeit im Augenblicke, da es gilt, sich selbst zu übertreffen. Dazu gehört eine Leichtigkeit, die uns nur selten gegeben ist, dazu gehört eine Nervenstärke, wie sie merkwürdigerweise auch nur wenige unserer Leicht athleten besitzen. Hie und da kommt eine ganz über ragende Erscheinung, ein Nurmi oder ein Weißmüller, doch die Mehrzahl der Olympiasieger muß ihre Gold medaillen durch früher auch für sie vielleicht unvorstell bar gewesene Leistung, durch Höchstleistung, geboren aus dem Augenblick, immer wieder aufs neue erwerben. Wir müssen den Weg suchen, unsern Sportler ähnlich einzustellen. Unsre Zehnkämpfer zeigen ihn vielleicht. Doppelsieger. Früher kam das öfter vor. Ein Athlet gewann die beiden Sprintstrecken, andere zwei Wurfbewerbe, zwei Sprung konkurrenzen oder zwei Laufstrecken. Ein Ewry, ein Nurmi vereinigten auf sich bei manchem Olympia gleich eine Handvoll Goldmedaillen. Es war fast gang und gäbe, daß Sieger eines Olympia beim nächsten wieder gewan nen. Überragende Klasse war selten, war eine Einzel erscheinung, behauptete ihre Überlegenheit fast durch Generationen. Das Tempo moderner Entwicklung hat diese Tradition weggefegt. Es gab diesmal nur einen Doppelsieger — den Neger Eddie Tolan, der die 100 und 200 Meter gewann. Wir wollen den sympathischen Sieger nicht herabsetzen: Beide Erfolge stehen nicht so ganz fest. Im 100-Meter-Lauf hatte der immer erst allmählich in Schwung kommende Metcalfe Tolan gerade auf der Ziellinie eingeholt. Die Zielrichter berieten eine halbe Stunde und auch der Zeitlupenfilm verhalf nicht zu rest loser Klarheit. Tolan war wahrscheinlich zwei, drei Zenti los überlegen. Die Amerikaner haben es versucht, die laufberühmten Hopi-Indianer — oder was sie von ihnen eben übrig ließen — für Marathon- und Lang streckenlauf zu erproben. Es kam nichts dabei heraus. Der berühmte indische Meilenläufer, der angeblich Ladou- megues Weltrekord geschlagen hatte, kam überhaupt nicht. Das war besser für ihn und einige, die an solche Illusions- Enten glauben. Die brasilianischen und mexikanischen Indianer liefen gewöhnlich bloßfüßig und brav, wurden aber meist Letzte. Sie zeigten Sportgeist und Veran lagung. Vielleicht macht die Zivilisation an ihnen gut, was die Unkultur an ihnen gesündigt hat. Der Indianer Charles, Vierter im Zehnkampf, war der erfolgreichste Vertreter eines „Ur“volkes. Ohne Strümpf’ und ohne Schuh’ lief Cardoso-Brasilien die 10 000 Meter. Er hatte nachher keine wunden Füße, er war nicht todmüde. Und doch hatte er vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen, war die ganze Nacht und den ganzen Tag, von Lastautos gnädig mitgenommen, gratis von San Francisco nach Los Angeles gereist, weil die Brasilianer keinerlei Mittel mehr hatten. Eine Viertelstunde vor dem Start traf Cardoso im Stadion ein und lief. Die Vertreter der Naturvölker haben vielleicht keine Chance gegen unsre Athleten. Diese täten gut, sich ein Beispiel an solcher Härte und Unverdorben heit zu nehmen. Es ist noch immer leichter — so schwer es sein mag —, ein Dutzend Rekordleute zu entwickeln, als einen wirklichen Sportsmann. Dreimal Union-Jack. Noch einmal wehten drei Flaggen, die dem flüchtigen Blick gleich erscheinen konnten. Nach dem 800-Meter- Lauf wurde auf dem Siegermast Groß-Britanniens Fahne gehißt, flankiert zu beiden Seiten von kanadischen Flaggen. Den 800-Meter-Lauf buchte man in der Erinnerung als das schönste Rennen der Spiele. Vielleicht, wahrschein lich mit Unrecht. Es kamen solche Rennen in großer Zahl. Zehntelsekunden, Zentimeter, ja nicht einmal die (Leh tinen und Hill erhielten beim 5000-Meter-Lauf die gleiche Zeit) lagen zwischen den Ersten. Dennoch sprach man von den 800 Metern wie vom Höhepunkt der Lauf bewerbe. Es war der erste derart große Kampf der Spiele und die Erinnerung an ihn blieb, alle andern, neuen Ein drücke irgendwie überschattend.