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GUTE SPORTRICHTER UND NEUTRALE ZUSCHAUER wich der Finne nach links hinüber und sperrte Hill aber mals den Weg. Er gab ihn zwar gleich wieder frei, aber es war auf jeden Fall zu spät. Hill konnte nicht mehr auf kommen, Lehtinen verlangsamte seine letzten Schritte, ein deutliches Zeichen dafür, wie mitgenommen er war. Nur mit einer Brustseite Vorsprung kam er als Erster ein, die neue Olympia-Rekordzeit 14: 30 wurde für beide gemessen. Noch der Neuseeländer Savidan als Vierter lief 14: 39,6, Virtanen als Dritter 14: 38,8. Dieser Kampf war den klassischen Langlaufduellen zu mindest gleichzustellen. Auch Hannes Kolehmainens Match mit Bouin 1912, auch Nurmis Streit mit Ritola 1924 und 1928 war nicht spannender gewesen. Doch nicht deshalb haben wir ihn hier so ausführlich geschildert, sondern, um die sportliche Gastlichkeit der Amerikaner zu zeigen. Die Zuschauer schrien ein wenig, beruhig ten sich aber, wie wir bereits berichteten, sehr schnell. Der Oberschiedsrichter er klärte den Sieg Lehtinens für korrekt, weil er annahm, daß der Finne seinen Gegner nicht absichtlich gehindert hätte. Ich selbst glaube auch, daß Lehtinen imstande war, korrekt zu gewinnen, doch ebenso gewiß glaube ich, daß er in jedem andern Lande disqualifiziert worden wäre. Als Harry Hillman, einer der amerikanischen Trainer, Hill fragte, ob er formell pro testieren wolle, antwortete dieser bloß: „Nein.“ Als sie ihn fragten, ob der Finne ge gen ihn unfair gelaufen sei, sagte er abermals nur :,,Neinf ‘ Und doch hatte dieser Hill fast vier Jahre lang gearbeitet, mit keinem andern Ziel vor Augen,als beim Olympia über 5000 m gut abzuschneiden, und doch war er dem höch sten Ziel seinerTräume so un endlich nahe gekommen, daß es schon männlichster Selbst zucht bedurfte, bei dieser Enttäuschung Fassung und Haltung nicht zu verlieren. Der olympische Eid. In Los Angeles leistete G. C. Callnan, ein hervorragender amerika nischer Fechter, den Schwur für sich und seine Sportkameraden. Vor allem Fairneß. Stundenlang beriet das Kampfgericht, bis endlich Leh tinens Sieg bestätigt wurde. Die Läufer waren nicht mehr im Stadion. Sie waren schon ins olympische Dorf heim gekehrt. Die Siegerehrung fand am nächsten Tage statt. Lehtinen hatte offenbar seine Weisungen erhalten. Er wollte Hill neben sich auf die Siegerplattform stellen, der Amerikaner ließ das nicht zu. Schließlich steckte Lehtinen Hill die finnische Mannschaftsnadel an, Hill revanchierte sich mit seinem Abzeichen und das ganze Stadion jubelte über die versöhnende Geste, freute sich der Sportlichkeit, freute sich solcher Kämpfer. Durch einen Fehler der internationalen Leitung — die Amerikaner haben mit der Abwicklung der Kämpfe nichts zu tun — wurde im Hindernislaufen eine Runde zuviel zurückgelegt. Das Rennen hätte über 3000 Meter führen sollen. Bei 3000 Metern war Amerikas bester Mnan, Mac Cluskey, Zweiter, der Brite Evenson Dritter. Auf den versehentlich zuviel gelaufenen 450 Metern wechselte der Rang. Cluskey kam als Dritter hinter Evensen durchs Ziel. Die Engländer waren dafür, Evenson zum Dritten zu erklären. Cluskey lehnte das ab: „Niemand weiß, wie es geworden wäre“, sagte er. „Ich bin im Ziel Dritter gewesen, und wo immer das Ziel war, dort war es eben.“ Geradezu berühmt benahmen sich die Zuschauer bei dem großartigen Stabhochsprungkampf zwischen dem Ameri kaner Miller und dem Japaner Nishida. Man muß sich vor Augen halten, daß selbst die meisten Fachleute und erst recht die große Menge von vornherein fest überzeugt waren, im Stabhochsprung müßten die U. S. A. alle drei Plätze erobern. Dann fielen der Weltrekordmann Graber und Jefferson aus, dann leistete der kleine schlanke Japaner Shuhei Nishida dem letzten Vertreter der „Sterne und Streifen“ schier unüber windbaren Widerstand. Im mer und immer wieder flog Nishida über die Latte, schien wirklich diesen „sicher sten“ Sieg den Amerikanern zu entreißen. Wellen der Sym pathie, Wogen des Beifalls stürzten die steilen Stufen des Stadions hinunter, um brandeten den Japaner, wenn er sich nur zum Sprunge auf stellte, umtosten ihn, wenn er die Latte übersprungen hatte. Auf die Sekunde bereit sein. Man trainiert Jahr um Jahr, das heißt Tag um Tag. Man startet und kämpft. Man lebt ordentlich, das heißt man verzichtet auf viele Vergnü gungen, auf manche An nehmlichkeit des Lebens. Natürlich verschafft man sich dadurch andere Freuden, hö here und vielleicht auch nutz bringendere. Man lebt einem Ziel, arbeitet rastlos an sich, manerreicht’s.Das eigeneGe- schick und das über einem wal tende verschafft die Fähigkeit in einem ganzen Lande in einer Beziehung der Erste zu sein. Alle werden besiegt. Man ist Meister. Dann reist man fast um das Erdenrund, darf die Farben des Vaterlandes in dem herrlichen, himmelhoch ragenden Stadion zu Los Angeles tragen. Vor den drei Masten vor der lodernden Olympiafackel liegt auch die eigene Flagge bereit. Nur siegen muß man und gehorsam wird sie auf dem höchsten Mast emporsteigen, wunderbar werden die Trompeten in der Sonne glitzern, die National hymne zu spielen. Man wird auf dem stolzen Piedestal stehen — der Beste der Welt. Und dann ist ein anderer, sind zwei drei, vier andere aus der Athletenauslese der Welt einen Sekundenbruchteil schneller, haben einige hundert Gramm größere Hebe kraft, sind einige Zentimeter gewandter. Das ist das Schicksal selbst der größten Athleten. Selbst die Welt rekordleute werden zu Olympia, wie wir schon dargelegt