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EIN FINNE, EIN YANKEE UND ACHTZIGTAUSEND Yankee an seinen Fersen machte ihn offenbar etwas nervös. Virtanen konnte die Fahrt nicht mehr steigern, da mußte Lehtinen selbst nach dem Rechten sehen. Ab schütteln mußte man den Kerl. Hill beschäftigte sich an scheinend nicht mit der Strategie seiner Gegner und Vor läufer, er lief sein Rennen. Mit einem Mal mußte er das Gefühl haben, daß die Feste Virtanen reif war zum Sturm. Er ging ein paar Schritte schneller und schon schob er sich vor der kommenden Kurve an die zweite Stelle. Erst dreißig Meter hinter dem letzten Mann der Spitzengruppe sah man Syring sichtlich angestrengt kämpfen, um den An schluß nicht zu verlieren. Die Fahrt war für ihn zu flott. Auch mit dem Dritten und Vierten konnte der Deutsche die Fühlung nicht aufrecht halten. Schon überrundeten die. drei Ersten den Letzten des Gesamtfeldes, da geschah das Unerwartetste. Wie ein merkwürdiges Sandwich waren die drei da vorne. Zwischen den zwei dunkel gekleideten Finnen lief der weiße Amerikaner, wie zwischen zwei Broten ein Stück Speise liegt. Runde um Runde „servierten“ sie sich so. Plötzlich fiel das Sandwich auseinander. Der Zwischenspurt Lehtinens, dazu bestimmt den fremden Eindringling loszuwerden, gab Virtanen den Rest. Er konnte nicht mehr mit. Im Nu rückten die zwei an der Spitze 30 Meter von ihm fort. 80 Meter zurück folgte Savidan-Neuseeland, weitere 30 Meter dahinter der Schwede Lindgren, nicht viel vor Syring. Der kleine Japaner Takenaka ging in der Kurve aus der Innenbahn, um die ihn überrundenden Lehtinen und Hill vorbeizu lassen und ihnen Umwege zu ersparen. Die Zuschauer applaudierten diese Sportlichkeit. Sie applaudierten nun immer häufiger und lauter, schließlich war es ein ständiger Beifall, der die Läufer, der besonders Hill rings um die Bahn begleitete. Hill lief hinter Lehtinen, als ob der Finne ein Magnet und er ein Stück Eisen wäre, das an dem Magnet hinge. Er ließ sich „ziehn“, wie von einem Schrittmacher, man hatte das Gefühl, er nützte den Vor dermann als völligen Windschutz aus. Die Glocke gellte: Letzte Runde! Noch immer hatte der Finne sich nicht freimachen, sich keinen Vorsprung verschaffen können, noch immer merkte man nicht, daß der Amerikaner sich anstrengte. Beide flogen dahin, als ob sie erst mit dem Rennen begonnen hätten und doch waren beide an gestrengt und ausgegeben bis zum Äußersten. 80 000 sprangen von ihren Sitzen, begannen zu brüllen und zu klatschen, zu pfeifen — was in Amerika Beifall bedeutet — und zu winken. Man hatte einen großen Kampf, doch ein noch größerer „thrill" stand bevor: Dieser Kampf über mehrere Minuten, über tausende Meter, Schritte und Sekunden, er mußte jetzt, auf der letzten Bahnrunde entschieden werden, mußte in einem phantastischen Duell gipfeln. Auf der Gegengeraden, noch 300 Meter vom Ziele ent fernt, wurde die Entscheidungsschlacht eröffnet. Ob Hill sie begann, um an Lehtinen vorbeizukommen, ob Leh tinen losging, um den langen Yankee endlich zu über winden, man weiß es nicht. Man weiß nur, daß plötzlich aus den schon ohnehin schnellen Langlaufschritten eine noch viel schnellere Schrittfolge wurde. In die Kurve sausten die beiden und wieder aus ihr hinaus und noch immer war nichts entschieden, noch immer lag Lehtinen vorn, doch noch immer war Hill dicht hinter ihm. Und schon erfolgte sein Angriff. Er kam fast auf eine Höhe mit dem Finnen, der aber wich aus seiner Bahn nach rechts und verlegte dem Gegner dadurch den Weg. Hill mußte verlangsamen, setzte aber sogleich zu neuem Vorstoß an, um Lehtinen links, an der Innenseite, zu passieren. Da Das „O lympische Dorf“, in dem die männlichen Teilnehmer von fast 40 Nationen untergebracht waren; für jede Nation stand Dolmetscher, Koch und eigene Küche zur Verfügung.