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„AMERIKANER, DIESE LEUTE SIND UNSERE GÄSTE!“ Am schwächst besuchten Tage waren noch immer mehr als 40 000 Zuschauer anwesend, genug, um beispielsweise für das Stadion zu Amsterdam einen Rekordbesuch zu bedeuten. Doch nicht die Zahl soll uns imponieren, auf die waren wir diesmal vorbereitet. Wie sich diese Riesen menge in diesem Riesenraum benahm, das war eine der größten und angenehmsten Überraschungen bei diesem, an Überraschungen nun wirklich nicht armen Olympia. Bei den Winterspielen in Lake Placid hatten amerikanische Veranstalter versagt, hatten amerikanische Zuschauer geringes Sportverständnis und großen Chauvinismus bewiesen. Viele hatten ähnliches für Los Angeles an genommen. Gleich nach der Ankunft verflogen alle der artigen Befürchtungen. Die Stadt stand völlig im Banne, im Zeichen der Spiele, sie lebte für sie, atmete mit ihnen, war wirklich einige Wochen lang Olympia. Man wußte hier würde es keine großen Entgleisungen geben, und dennoch übertraf der Sportgeist der Veranstalter und Zuschauer alle Erwartungen. Siege und Sonderleistungen amerikanischer Athleten wurden natürlich mit größtem Jubel aufgenommen. Bei fallsfreudig, brüllbereit saßen die Massen auf den Rängen, erlauerten sich die Gelegenheit selbst „einzugreifen“, los zuschreien, mitzuspielen. Wenn besonders bekannte Namen nur ausgerufen wurden, wenn man Carr oder Eastman zum Vorlauf ansagte, jubelte das Stadion auf, grüßte seine Helden und dankte ihnen im voraus, ver langte von ihnen den Kampf, das Erlebnis mitreißenden Wettstreites. Deshalb wurden die Fremden nicht weniger herzlich gefeiert. Nicht nur wenn sie siegten oder beson ders Schönes und Großes vollbrachten, ernteten sie Bei fall. Die Menge war sportfreudig genug, den ausländi schen Athleten, der einen amerikanischen Liebling schwer bedrängte, ebenso zu ermuntern und anzufeuern, wie den eigenen Landsmann. Er sollte sein Bestes geben, der Bessere sollte gewinnen. Die schwerste Belastungsprobe. Natürlich beschatteten manchmal kleine, flüchtige Wölk chen des Mißvergnügens den so klaren, kalifornischen. Olympia-Horizont. Das war die seltenste Ausnahme und wie auch sie sich der Regel von Gastfreundschaft und vorbildlichem Sportgeist anpaßte, unterstreicht die Forde rung, das faire, freundlich-objektive Publikum gleichfalls in das große Rekordbuch dieser Spiele einzutragen und keineswegs an letzter Stelle. Anderswo wäre es gar nicht aufgefallen, hier erschrak man, als am Freitag, den 5. August, sich zum erstenmal Protestgeschrei in den Siegerbeifall mischte, als in die sonnige Stadionstimmung das laute „buuuuhl“, Amerikas Pfuiruf, tönte. Nur ein Teil der 80 000 Zuschauer be teiligte sich an dieser Demonstration. So verhältnismäßig erstaunlich schwach sie war, so schnell klang sie ab, als der Sprecher an die Menge appellierte: „Ladies and Gentlemen please remember that those peoble are our guests." Gibt es eine schlichtere Mahnung als die: „Meine Damen und Herren, vergessen Sie nicht, daß diese Leute unsere Gäste sind.“ Gastfreundschaft gilt hier viel und eine wilde, mit Recht empörte Zuschauermenge von 80 000 Personen davon überzeugt, daß einer ihrer besten Kämpfer um den Sieg betrogen worden war, fühlte sich sofort als Gastgeber der Sportwelt, verzichtete darauf, ihre Gefühle laut zu äußern, war im Augenblick entschlossen, die Haltung zu wahren, die man einem Gast gegenüber an den Tag zu legen hat, auch wenn der einen Taktfehler beging. Die Begrüßung der Deutschen Olympia-Expedition vor dem Rathaus zu Los Angeles, wo sich eine begeisterte Menge zum herzliches Empfang eingefunden hatte.