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Begleiterinnen der Olympia-Teilnehmerinnen auserwählt. einen so großen Rekord sie an sich bedeuten, geben den noch keine Vorstellung von dem Rekordsturm, der da durch das Stadion wirbelte. Zwanzigmal wurden Welt höchstleistüngen, fast fünfzigmal die bisherigen olympi schen überboten, nicht zu reden davon, daß oft in einem Bewerbe eine ganze Anzahl Teilnehmer die frühere Best leistung übertrafen. Trotz dieser Einleitung: Nicht Technik und nicht Theo rie, nicht die im Training erzielte Zeit, noch der Rekord entscheiden einen olympischen Wettbewerb. Wenn wir eine Statistik über das Abschneiden der Weltrekordleute verfaßten, das Ergebnis wäre für manche Zahlengläubige eine Überraschung. Der Hundertsatz olympischer Erfolge der Rekordathleten ist verblüffend gering. Diese Erschei nung trat von Olympia zu Olympia deutlicher hervor. Die große Zahl neuer, von neuen Leuten vollbrachter Höchst leistungssiege spricht abermals für die alte Erfahrung. Die beim Olympia geschaffenen Rekorde sind deshalb so sympathisch, weil sie aus dem lebendigen Kampfe stam men, im Wettstreite entstanden, aus der zwingenden Not wendigkeit, den Widersacher zu übertreffen, wenn nicht anders möglich, dann eben indem man sich selbst und alles je zuvor von irgend jemandem Vollbrachte noch übertraf. So, und nicht auf dem Wege kalter Laboratoriumsberech nung, soll sportliche Bestleistung erzeugt werden, nicht nach einem ausgeklügelten Schema, nicht als Experiment mit der Stoppuhr. Wir wurden überrascht. Wenn man unsere Leichtathleten und ihre Führer nachher fragte, dann erklärten sie das ihnen ganz besonders un erwartet kommende schlechte Abschneiden der Deutschen mit den überraschend großartigen Leistungen der andern. Das ist die beste und sympathischeste Erklärung, die ein Sportsmann für seine Niederlage geben kann. Viele hier vollbrachte Leistungen waren wirklich nicht vorher zusehen, nicht zu errechnen. Vielen andern, von denen man gehört hatte, schenkte man doch keinen rechten Glauben. Gewiß, die Bahn im Olympia-Stadion war schnell. Wir haben auch schnelle Bahnen. Doch selbst die Besten rennen schließlich nicht allein und schon gar nicht Dutzende neuer Rekorde. Die Bahn war sehr elastisch, eine Seltenheit gerade in Kalifornien, wo es viele Monate lang auch nicht einen Tropfen Regen gibt. Andererseits dürfte gerade das trockene, kalifornische Klima fast allen Athleten sehr gut bekommen sein und ihnen geholfen haben, ihre größte Leistungsfähigkeit zu erreichen. Die unerhört scharfe Konkurrenz trug das Ihrige dazu bei, um so mehr als die Zahl der Teilnehmer an den einzelnen Wettbewerben kleiner war als bei den bisherigen Olym pien. Alle Nationen hatten sparen müssen, und so waren nach Los Angeles nicht nur von jedem Land die wirklich Besten entsandt worden, sondern fast ausschließlich Leute, denen man eine Erfolgchance ausrechnen zu können glaubte. Dadurch fielen einige Vorkämpfe fort und die Wettkämpfe wurden hochklassiger und ausgeglichener. Unsere Überraschung war vielleicht auch eine Folge alten Mißtrauens. Wir wollten einfach nicht glauben, daß andere so Großartiges leisteten, wir dachten, das wäre schlechterdings unmöglich. Wir müssen uns ja nur an 1924 erinnern, als bei den Pariser Spielen der schottische Pfarrer Liddell die 400 Meter in 47,4 Sekunden herunter strampelte. Ein führender deutscher Athlet zweifelte die Pariser 400-Meter-Zeiten energisch an. Entweder habe die Zeitnehmung oder was wahrscheinlicher wäre, die Streckenabmessung versagt. Als man sich später mit dem neuen Standard abfand, als aus Amerika im letzten Olympiajahre Zeiten von unter 47 Sekunden gemeldet wurden, kam man dahinter, daß die Bahnen vielleicht die Ursache dieser Fabelzeiten seien. Man läuft die 400 Meter in Amerika mit nur einer Kurve, wie man die 200 auf einer langen Geraden läuft. Dann kam man ins Olympische Stadion, wo die 400 Meter um zwei Kurven gelaufen werden mußten, wie nur auf irgendeiner kleinen Bahn Europas, und doch lief der schnellste Amerikaner 46,2 Sekunden, und der nächste war nur 0,2 hinter ihm. Es ist nicht die Bahn und nicht das Training und nicht der Stil. All das wirkt natürlich mit, kommt hinzu. Die Hauptsache gerade beim Olympia, das Entscheidende gerade im Kampf um die Goldmedaille ist der Kämpfer. Ach, war dieser Liddell anno 1924 ein stilloser Läufer! Und wirkte denn Carr diesmal wie ein Künstler ? Keines wegs. Können haben beim Olympia fast alle, hohe Klasse stellen sie alle dar, hart trainiert, starterprobt sind sie alle. Den Ausschlag geben die stärkeren Nerven, die letzte Unze mehr an Kraftreserve, der etwas länger, etwas stärker glimmende Funke Kampfgeist, der die Flamme nährt, dem Muskelmotor Zündung gibt, wenn Strom und Brennstoff schon längst zu Ende zu sein scheinen. Erster Preis dem Publikum. Wenn man das Stadion zum erstenmal betrat, wirkte schon der bloße Anblick großartig. Er fiel förmlich über einen her. Vierzig Meter hoch wächst dieses Betonmassiv in den Sonnenglast, in den makellos blauen Himmel hinein. Eine Mauer aus 100000 Menschenköpfen sich selbst erbauend umgibt das dunkle Band der Bahn. Am Ostende ragt über der wuchtigen Säulenhalle des Haupt eingangs die hohe Olympia-Fackel, gegenüber glänzt ein ganzer Sektor weiß und messingfunkelnd: 1500 weiß gekleidete Musikanten und Sänger ...