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HAARSPALTEREI: 59 ZU 6 o NACH PUNKTEN VERLOREN Werner Spannagel-Deutschland wird in der Ausscheidungsrunde der Fliegengewichtsklasse zum Sieger über den Argentinier J. Trillo erklärt. hatte. Der Kampf war unentschieden und wem immer die Jury Rang zwei gab, der durfte sich mit einigem Recht benachteiligt fühlen. Mit 59 : 60 Punkten „unter lag“ Campe. Man muß zugeben, daß eine derartige Ent scheidung schon an Haarspalterei grenzt und jedermann wird erkennen, daß dieses Treffen von Campe kaum ver loren, wenn auch ebensowenig gewonnen wurde. Dazu kam noch, daß der Berliner Polizist sich durch seine vorangegangenen Kämpfe, besonders durch den Sieg über den favorisierten Dänen Jensen, nicht nur einen Namen, sondern auch Sympathien erworben hatte. Die Art, wie er seine vom Publikum mit einer wütenden Demonstration abgelehnte Niederlage hinnahm, dem glücklichem Gegner neidlos die Hand schüttelte und sichtlich nicht daran dachte, zu grollen oder zu schmollen, machte ihn tatsächlich zum Liebling des Hauses, zum Helden des Finalabends. Der Amerikaner Flynn wurde schuldlos ausgebuuuht, der besiegte Deutsche Campe stürmisch bejubelt und gefeiert. Auch dieser Kampf schien erst nicht in Schwung zu kommen. Beide verlegten sich aufs Abwarten. Die erste Runde endete gleichauf, vielleicht mit dem Schatten eines Vorteils für Flynn. Im zweiten Gang wurden die Zu schauer warm. Campe begann zwar etwas spät seine besonders bei diesem Gegner wirksamste Waffe, den linken Geraden auszunützen, aber er war nur ganz un bedeutend hinter dem Amerikaner zurück und bestach durch seine saubere und genaue Arbeit. Die Zuschauer feuerten den Deutschen ebenso wie den Amerikaner an und gerieten in der letzten Runde ganz aus dem Häuschen, als Campe endlich von seiner Linken ausgiebig Gebrauch machte und ganze Serien und zum Schluß auch einzelne schöne Rechte anbrachte. Das Glückslos mit der Gold medaille fiel dem Amerikaner zu. Schwergewichtler. Der schwerste Schwergewichtler war der amerikanische Ringrichter, Capitain Mabbutt. Er muß von der Marine sein, denn so etwas an lebendiger Wasserverdrängung kann sich Amerikas Flotte nicht gut entgehen lassen. Die Galerie begrüßte ihn oft mit dem freundlichen Ruf: „Setz dich hin, Ringrichter!“ wenn er gerade einem ganzen Block die Aussicht auf den Kampf versperrte. Im übrigen war er erstaunlich beweglich und gewiß nicht weniger tüchtig als seine Kollegen, die es mit sich selbst weniger „schwer“ hatten. Sehr viel hatte man in der Vorreklame von dem argen tinischen Schwergewichtler Lovell erzählt. Der Neger sollte ein neuer Dempsey sein und das ganze Turnier schien an Interesse einzubüßen, als es hieß, er werde nicht antreten können. Beim Üben mit einem amerikanischen Professional hatte Lovell einen schweren Tiefschlag er halten und mußte einige Zeit das Bett hüten. Vielleicht hat das seine Form beeinflußt, denn obwohl Lovell aus gezeichnet gefiel, war er doch nicht jener ganz große Eindruck, den man erwartet hatte und vor allem ließ er nicht die behauptete, zerschmetternde Schlagkraft er kennen. Er bestätigte vielmehr den alten Erfahrungssatz, daß feine, flüssige Fußarbeit bei schweren Leuten meist auf Kosten der Schlagwirkung geht. Seine Beintechnik war das Bestechendste an dem argentinischen Neger. Er flizte nur so durch den Ring und der schlanke Athleten körper verriet in keiner Linie, daß hier ein „Schwer"- gewicht im Ringe war. Rasch reagierend vermied Lovell durch sein naturhaft sicheres Auge und seine Geschmei digkeit schwerere Treffer. Er selbst schlug als Haupt waffe einen schnellen, guten Linkshaken. Es war offenbar schwer, sich auf diesen flitzenden, schwarzen Schatten