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meisten von ihnen schon wieder übertroffen, wenig spä ter vielleicht schon fast vergessen sein. Wie lange wird sich das Ohr noch der merkwürdigen Melodie erinnern, in der der Ansager — wie der Muezzin von den Zinnen des Minaretts die Gläubigen zum Gebete ruft — immer und immer wieder aus dem Lautsprecher mehr sang als sprach: „. . . a new Olympic record.“ Vor kampf oder Zwischen lauf oder Final,selten ging es ohne eineVerbesserung der alten Marke ab, nicht selten sogar nicht ohne einen neuen Weltrekord. Die Rekorde mögen ver gehen, die Spiele selbst, das X. Olympia als Gan zes genommen sind ein auf lange Zeit unüber bietbarer „new Olympic and new world record“. Die deutschen Athleten haben bei weitem nicht so gut abgeschnitten, wie vor vier Jahren in Am sterdam. Sie haben ge kämpft, sie haben ihr bestes gegeben. In der klassischen Konkurrenz im köst lichen Klima Kaliforniens konnten sie nicht erreichen, was zu erreichen sie erwartet hatten. Es gibt vielerlei Er klärungen dafür und es gibt keine Erklärung. Unsre Kämpfer) ugend hat vier Kriegs jahre und eher mehr als nochmals vier Jahre unvorstellbaren Mangels während wichtigster Kindheitsperiode hinter sich. Vielleicht macht schon das begreiflich, weshalb ein amerikanischer, bri tischer oder finnischer Athlet, wenn er seine letzten Kraft reserven in Anspruch nimmt, sein Äußerstes einsetzt, eben eine Kleinigkeit mehr Kraftkapital zur Verfügung hat, als die meisten der Unsrigen. Die Deutschen wurden unter die fairsten Kämpfer gerechnet, zeigten auf vielen Gebieten großenteils großes Können und in vier Jahren werden sie Gelegenheit haben daheim zu beweisen, daß sie beim X. Olympia nicht viel gewonnen, aber gelernt haben viel zu gewinnen. Wir sahen neue Nationen sportlich in den Vordergrund treten, allen voran die Großmächte Japan und Italien. Zielbewußter Wille und großzügiger Einsatz finanzieller Mittel kann auch auf dem Gebiet der sportlichen Volks erziehung viel vollbringen. Doch da sind kleinere, ärmere Länder, da ist die grüne Insel Irland, da sind Schweden, Kanada, Lettland, da ist noch immer Finnland, wenn es auch viel von seiner sportlichen Vormachtstellung ein gebüßt hat .... Woher kommen diesen allen solche Kräfte? Woher schöpft der triumphale Sieger Amerika diese Menge Meisterathleten, diese Fülle lebensstarker Jugend ? Die Welt hat schwere Zeiten durchgemacht und macht sie noch durch. Dennoch wurde Olympia in jeder Hinsicht ein Erfolg. Mehr als 1% Millionen Menschen wohnten den Spielen bei, zehntausende Fremde kamen ins Land. Wochenlang lebten draußen im Olympischen Dorf 1500 Jünglinge aus allen Erdteilen, Rassen, Völkern freund schaftlich beisammen. Keiner hatte ein anderes Dach über dem Kopf, keiner eine andere Decke über dem Bett, einen andern Stuhl in seinem Stübchen, als alle Kameraden. so sauer wie möglich zu machen, ehrlichste und hoffent lich dauernde Kameradschaft. Im Chor von vierzig Völker fahnen entfaltete sich das olympische Banner, die sym bolische Kette der fünf verschiedenfarbigen Ringe, jeder einen Erdteil, jeder eine Rasse darstellend. Unlösbar ineinander verschlungen flattern sie kettenstark im weißen Flaggenfeld — der Welt. Olympia ist ein wundervoller Gedanke. Diesmal war es eine wundervolle Tat. Wir nennen das X. Weltsport fest mit Fug und Recht Rekord-Olympia. Je vollkommener es war, je mehr Los Angeles alle Erwartungen übertraf, selbst die höchstgespann ten, umso schwieriger wird die Aufgabe für den nächsten olympischen Gastgeber, für Berlin, für Deutschland. Sportlich und organisatorisch ist hier in den nächsten vier Jahren eine Riesenarbeit zu bewältigen, sie wird hoffentlich so gut geleistet werden, daß das deutsche Olympia in Ehren bestehen kann, selbst nach einem so vollkommenen Vorbild. Die Aufgabe ist schwer, sie ist nicht unlösbar. Wir wollen ihr gerecht werden. DER OLYMPISCHE EID „Wir schwören, daß wir uns bei den olympischen Spielen als ehren hafte Mitbewerber zeigen und die für die Spiele geltenden Bestimmun gen achten wollen. Unsere Teil nahme soll in ritterlichem Geiste zur Ehre unseres Vaterlandes und zum Ruhme des Sports erfolgen.“ Hier hauste ein herrlicher Völkerbund, hier vereinigten sich 40 Flaggen in vorbildlicher Freundschaft, hier knüpften die Kämpfer, entschlossen einander den Sieg Für unsere Begriffe war die Reklame der Amerikaner für die olym pischen Spiele einfach unvorstellbar. — Hier ein kleiner Ausschnitt aus einer Propaganda-Veranstaltung.