ACHTE GRUPPE ABie Zeit won 1871 bis 1914 Am Tage der Kaiserkrönung im Spiegelsaal des Schlosses zu Versailles, am 18. Januar 1871, geht eine alte Sehn sucht der besten Deutschen in Erfüllung: der Traum von „Kaiser und Reich“. Mächtig steht fortan das neu gegründete Deutsche Reich im Kreise der Völker Europas. Die Regierung lenkt der „eiserne Kanzler“ FÜRST BISMARCK, der größte Staatsmann seiner Zeit. Das deutsche Heer ist unbestritten das beste der Welt. An der Spitze des Großen Generalstabes stehen geniale Feldherren wie GRAF MOLTKE, der Sieger von 1866 und 1870/71, und nachher GRAF SCHLIEFFEN, in dessen Geiste Hindenburg und Ludendorff die Schlachten des Weltkrieges geschlagen haben. Das deutsche Beamtentum gilt allenthalben als Muster der Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit. In der Wissenschaft behaupten die Deutschen einen Vorrang unter den Völkern; die deutsche Musik gewinnt durch RICHARD WAGNER abermals Weltruhm; ein glänzendes Zeitalter der Technik beginnt. Aber schon fallen dunkle Schatten auf die Zukunft. Das alte deutsche Erbübel der Uneinigkeit ist nicht geheilt. Der Hader und Sondergeist der Parteien des Reichstages stellt sich immer wieder den nationalen Notwendig keiten in den Weg. Gleichzeitig wächst die Bedeutung der sozialen Frage, die freilich in weiten Kreisen des Bürgertums nicht richtig erkannt wird. Die an Zahl gewaltig anschwellende Industriearbeiterschaft verfällt zu sehends einer regierungsfeindlichen Agitation. Die Lehre des Klassenkampfes fängt an, ihren zersetzenden Einfluß auszuüben. Im Jahre 1878 erfolgen sogar zwei Attentate auf den ehrwürdigen Kaiser Wilhelm I., der ernstlich verwundet wird. Die Antwort ist das strenge SOZIALISTENGESETZ; aber es vermag den Aufstieg der sozialdemokratischen Partei nicht aufzuhalten. So zeigen sich früh in dem scheinbar so festgefügten Bau des Reiches bedrohliche Risse. Trotz aller Kämpfe mit den Parteien fördert Bismarck jedoch in wichtigen Fragen den Ausbau der Reichseinheit. Vor allem bringt er das vorbildliche Werk der Sozialversicherung zustande, das die Arbeiterschaft gegen die schlimmsten Nöte der Krankheit, des Unfalls und des Alters schützt. Die größte Meisterschaft zeigt Bismarck in der auswärtigen Politik. Nach der Begründung des Reiches verfolgt er nur noch das eine Ziel, den Frieden zu sichern. Mit gespannter Aufmerksamkeit behält er stets die Gefahren im Auge, die dem Reiche von dem Neid und der Feindseligkeit seiner Nachbarn drohen, während das deutsche Volk, von den neuen Aufgaben deswirtschaftlichen Aufschwungs ganz erfüllt, sich in allzu sorgloserSelbstsicherheitwiegt. Von vornherein muß Deutschland mit einem erbitterten Gegner rechnen, mit Frankreich, das den Verlust Elsaß- Lothringens nicht verschmerzen will. Aber Bismarck schließt den DREIBUND mit Österreich-Ungarn und Italien; er weiß auch gute Beziehungen zu Rußland und England aufrechtzuerhalten. Kraft seines überragenden euro päischen Ansehens spielt er auf dem BERLINER KONGRESS von 1878, als nach dem russisch-türkischen Krieg scharfe Spannungen unter den anderen Großmächten auftreten, die Rolle des „ehrlichen Maklers“. Den zahlreichen Neidern des jungen Reiches aber hält er in seiner berühmten Reichstagsrede vom 6. Februar 1888 die stolzen Worte entgegen: „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt.“ Wenige Wochen nach dieser Rede stirbt Wilhelm I. Ihm folgt sein Sohn Friedrich III., der allerdings nur 99 Tage regiert, da er schon am 15.6.1888 einer unheilbaren Krankheit erliegt. Unter dem Zepter KAISER WILHELMS II. muß Bismarck am 18. März 1890 vom Kanzleramt zurücktreten. Noch acht Jahre lang lebt er in Friedrichsruh bei Hamburg — der „Alte im Sachsenwald“. Für das Reich ist sein Sturz ein verhängnisvoller Schlag. Der