FÜNFTE GRUPPE ABeutthes ^cittciskbtn um 1800 « N 0) Der Zeitraum vom Tode Friedrichs des Großen bis zu den Freiheitskriegen bedeutet politisch die Ohnmacht und Zerrissenheit Deutschlands. Gerade in diesen Jahrzehnten aber vollzieht sich eine große geistige Umwand lung, die trotz aller Ungunst der äußeren Verhältnisse zum erstarkten Bewußtsein des eigenen Wertes, zur vollen Ausprägung der Schriftsprache — künftig zugleich Umgangssprache aller deutschen Stämme — und zur Schaffung einer großen NATIONALLITERATUR führt, die auf die europäische Geistesentwicklung bestimmend einwirkt. Im Gegensatz zu anderen Ländern, deren Literatur im Schutze der Macht und des Reichtums als Frucht einer alten, durchgebildeten Kultur heranreifen kann, muß auf deutschem Boden vielfach das Geistesstreben seine eigent liche Kraft und Tiefe erst aus der Abkehr von der engen und kargen Wirklichkeit der Kleinstaaten und Klein städte gewinnen; doch verbindet sich damit die ungeteilte Hingabe an eine ideale Welt und die Forderung nach innerer Erneuerung und lebendiger, auf Selbstvollendung gerichteter Bildung. Der dauernde Gehalt fremd ländischer Dichtung wird dabei empfänglich aufgenommen und schöpferisch neu gestaltet. Das Leben und Wirken GOETHES erstreckt sich über die ganze Epoche. Seine dichterische Entwicklung wird wäh rend seines Straßburger Aufenthaltes (1770/71) durch die Freundschaft mit Herderund die Liebe zu Friederike Brion aufs stärkste beeinflußt und gefördert. Ein weiterer, noch folgenreicherer Abschnitt in Goethes Leben wird später die Reise nach Italien (1786—88), mit der er sich nach zehnjähriger Amtstätigkeit in Weimar die volle Muße zu neuer dichterischer Tätigkeit wiedergewinnt. Das Entscheidende aber ist für ihn die langersehnte Möglichkeit, die antike Welt in ihren unmittelbaren Zeugnissen auf sich wirken zu lassen. Kunst und Literatur des Altertums bieten ihm ein Vorbild gehaltener Naturkraft und festen Maßes, wonach sich für ihn — wie später auch für Schiller — der Wert eigener und fremder künstlerischer Arbeit bestimmt. Was er und mit ihm die Besten der Zeit erstreben, ist die lebendige Eingliederung des antiken Erbes in die neu erstehende Geistesbildung. SCHILLER ist mit seinem Jugenddrama „Die Räuber“ (1781 veröffentlicht) noch ganz der Wortführer der ersten stürmischen Gegenbewegung gegen die erstarrte Vernunftwelt der Aufklärung. Das Werk hat in ganz Deutschland einen außerordentlichen Erfolg durch seinen Einklang mit der Zeitstimmung. Die gemeinsame Arbeit an der Zeitschrift „Die Horen“ (seit 1794) führt später zur Lebensfreundschaft zwischen Goethe und Schiller. Als Denker geht Schiller und ebenso auch FICHTE von den Lehren KANTS aus, der in seinen Hauptwerken die Quellen und Grenzen der Erkenntnis untersucht und einen dem Geiste des strengen Preußentums ver wandten Pflichtgedanken zur Grundlage der Ethik erhebt. Fichte ist ein echter Schüler Kants, wenn er den Hörern seiner „Reden an die deutsche Nation“ den sittlichen Willen als das einzig Entscheidende einhämmert. Die Verdrängung der Vorherrschaft Frankreichs im europäischen Geistesleben wird durch die klassische Dichtung der Goethezeit besiegelt. In ähnlicher Weise sinkt der Vorrang der italienischen Musik seit MOZARTS Opern. Dem Triumph der Sinfonien HAYDNS bei seinen beiden Aufenthalten in London (1791 und 1794) folgt später die Weltgeltung BEETHOVENS, dessen Orchester- und Klaviermusik bis heute ihre werbende Kraft für das Ver ständnis deutschen Wesens bewahrt hat. Das deutsche Lied aber ist ohne den Melodienreichtum SCHUBERTS nicht zu denken, der in seinem kurzen Leben der Hausmusik eine Überfülle von herrlichen Liedern schenkt.