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Sächsische Staatszeitung : 07.05.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-05-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480731217-192205079
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480731217-19220507
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480731217-19220507
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Staatszeitung
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-05
- Tag 1922-05-07
-
Monat
1922-05
-
Jahr
1922
- Titel
- Sächsische Staatszeitung : 07.05.1922
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WWdtilU zu WM NmtUitW Nr. 141. zu Nr. 106 des Hauptblatte-. 1922. Beauftragt mit de, Herausgabe: Regierungsrat Doenges in Dresden. Landtagsderhaudlungen. (Fortsetzung der Sitzung vom 4 Mai.) «bg. Vr. »Herle (Dtschnat): (Fortsetzung.) Wenn die Wahl der Gemeinderatsmitglieder nicht mehr aus Lebenszeit zulässig ist, sondern die berufsmäßigen Gemeindemitglieder auf kurze Fristen unter beschämenden Entschädigung», bedingungen abgeschoben werden sollen, so muß dies naturgemäß das Gefühl der Abhängigkeit von der gerade herrschenden politischen Partei verstärken Was folgt daraus für die Stellung der berufsmäßigen Gemeindemitglieder? Einmal wird die Selbstverwaltung mit Notwendigkeit dadurch geschädigt werden, daß unter diesen Voraussetzungen der Wunsch, in ein besoldetes Gemeindeamt einzutreten, gegenüber der Ver gangenheit sckon eine besondere Verfassung des betreffenden Kandidaten vorausgesetzt. (Heitere Zustimmung rechts) Jedenfalls werden Per- sonen mit ausgeprägtem Verantwortlichkeitsgesühl (Lachen links.), Personen mit der Kraft, etwas Selbständiges zu leisten und damit der Gemeinde Selbstverwaltungswillen zu ermöglichen, ethische und intellektuell starke Personen Bedenken tragen, unter dieses Joch der politischen Parteien zu treten. (Sehr richtig? rechts.) Nimmt man dazu die Besoldunysfrage der heutigen Zeit und die Abneigung, die man nun einmal — ich möchte sagen, etwas recht spät in unserem öffent lichen Leben gegen die Juristen überhaupt äußert — zusammen, dann wird man begreisen, daß schon jetzt von der klügeren Industrie und ande- ren Großbetrieben ein sehr starker Wettbewerb gegenüber dem Material, das bisher den Ge meinden zur Verfügung gestanden hat, eingesetzt hat, und die Abwanderung wird in Zukunft noch stärker werden als in der Vergangenheit. Wenn der Hr. Minister gesagt hat: Trösten Sie sich mit uns? so muß ich das unterstreichen, was ihm zugerufen worden ist: Das ist ein schlechter Trost! Ich weiß nicht, wie er die Ab hängigkeit von der politischen Partei erträgt. (Heitere Zustimmung rechts.) Ich würde sie in dem Stile, wie er sie ertragen hat, nicht ertragen können. (Sehr gut! rechts. — Lacken lmls.) Ich'kann mir nicht denken, daß eine ethisch starke Persönlichkeit unter das Joch kriecht, un er das er neulich vor unser aller Augen gekrochen ist. (Zustimmung rechts. — Lachen und Widerspruch links.) Und ein Bürgermeister, der ihm das Kunststück nachmacht, wird in seiner Gemeinde niemals das Ansehen und das Vertrauen haben können, daß er das Gewissen der Gemeinde und der Vertrauensmann der Gemeinde sein kann. (Sehr richtig! rechts. — Zurufe links.) Ein Bürgermeister wird das einem Minister nicht nachmachen können, an Stelle der ethischen Führung der Gemeinde ein politisches Schieber- geschäftssystem zu setzen. (Sehr richtig! rechts. — Lebhafter Wider.pruch links.) Besonders be dauere ich, daß die lebenslängliche Wahl ver schwinden soll, denn in dieser Wahl auf Lebens zeit lag ein Vorzug der sächsischen Verwaltung vor allen anderen Gemeindeverwaltungen im ganzen Deutschen Reiche. (Zuruf links: Wenn Sie das sagen, wird es Zeit, daß cs wegkommt!) Ich weiß aus meiner Praktischen Erfahrung, daß überall da, wo die Wahl aus Lebenszeit nicht besteht, sich die Tendenz einstellen kann und bei einer großen Anzahl ethisch schwächerer Personen einstcllt, zu schielen, nicht nur auf ihre Pflicht und Arbeit zu sehen, sondern auch nach dem Etirnrunzeln der Herrscher, einerlei, ob pe alter oder neuer Art sind, hinzusehen und deshalb mit Notwendigkeit einen falschen Kurs in der Ver waltung der Gemeinde zu steuern. Wenn der Hr. Wimper Lipinski gegenüber der cupiiis ck^wiuutio der berusSmüßigen Ver waltungsbeamten auf die geistige Überlegenheit hingewiesen hat, die sie entwickeln sollen, so hat er sich damit sehr treffend selbst gerichtet,-denn er hat damit festgestellt, daß er einen Zustand für richtig hält, in dem der geistig Überlegene leine Stimme hat, sondern derjenige, dec von der Cache nichts versteht. Wenn der Bürger meister — ich rede immer nur von den Gemein den, die ich kenne, nicht von den Großstädte», die in meinen Augen schon Republiken sind, also in das unglückliche Stadium des Siaates hin übergekommen find — nicht der geistige Führer der Gemeinde ist, dann ist die Gemeinde übel daran; denn sie hat niemand, der wie er seinen ganzen Lebensinhalt darin ichen kann, die Be dürfnisse der Gemeinde nicht nur zu erforschen, sondern auch zu fühlen und so -u erfüllen, wie er im eigenen Haushalte Verfahren würde. Die Vorstellung, die in der Poli ischen Orientierung der Gemeindeversassung über die Frage der Ge- meindeverwaltungeu begeht, nämlich, daß eine Gefahr vorhanden sei, daß die berufsmäßigen Gemeindevertreter da irgendein Herrschaftssystem gegen den Geist des Bürgertums führen wollten, diese Vo stcllung ist absolut abwegig. Wer die Gemeindeverwaltung kennt und wer weiß, wie die Dinge tatsächlich innerlich ausjehen, wird auch beftätitfen, daß es sich bei der Führung der Gemeinde geschäfte nicht um ene Hcrrscherrolle handelt, son. deru um eine Die, errvlle. (Sehr richtig! rechts.) Deswegen ist für mich der Streu um den äuße ren Rahmen unseres VerwoltungSjystemS, um das Sia- oder Zweikammersystem, nur ein Streit um Warte. Die Sache ist sehr einfach: Taug» der Bürgermeister etwas, dann ist die Bürger- meisterverfasiung im wesentlichen im Zuge, und taugt « nicht-, dann müssen die übrigen Ge- »emdemtvmitgliedcr da-, wa« ihm fehlt, er gänzen, und dann tritt eben irgendeine kollegiale Verfassung in stärkerem Maße in die Erscheinung. Wir lehnen deswegen au» den dargelegten Ur sachen heraus den Gedanken irgendwelcher poli tischen Rücksichten in der Ausgestaltung der Selbstverwaltung al» eine Dämpfung. Hemmung und Eabotierung de» Selbstverwaltungsgedankens ab. (Bravo! rechts.) Die zweite Quelle, aus der der Entwurf fließt, habe ich eine rückschrittliche genannt, und zwar rückschrittlich im Sinne einer Stärkung der staat lichen Bureaukratie. Das zeigt sich schon in der äusseren Entstehungsgeschichte des Entwurf». Al- früher eine solche Aufgabe zu lösen war, nahm die damalige Regierung, die man ja als urrück schrittlich ansieht, zum Referenten für ein der- artiges Gesetz einen Mann, der in der Sache erfahren war. Diesmal hat man das nicht für nölig gehalten, sondern man ist einen anderen Weg gegangen. Man hat die Kenntnis der Gemeindeverwaltung, wie sie in den Gemeinde vertretern vorhanden ist, lediglich in der Rolle Mit wirken lassen, in welcher der Chor in der antiken Tragödie mitwirkte. Man hat gehört, was die Herren zu sagen haben, aber um da-, was sie gesagt haben, hat man sich nicht gekümmert. Ich führe das neben dem sozialistischen Reformeifer mit politischer Tendenz daraus zurück, daß die rückschrittliche Tendenz unserer staatlichen Bureau kratie eine wesentliche Rolle gespielt hat. Sie tritt ganz deutlich in dem Gesetz in Erschei nung, und zwar einmal in dem Gedanken, daß alle Gemeinden unter 25000 Seelen in Zukunlt der Aufsicht der Amtshauptmann schaft unterstehen sollen oder jedenfalls unter stellt werden können, und sie tritt zum anderen m Erscleinung in den Vorstellungen darüber, welche Aufgaben der Bezirk in Zukunft haben soll. Wenn es an der Stelle, wo von den Ge- samigenieinden die Rede ist, so aussieht, als ob die Regierung einen Fortschritt im Sinne der Selbstverwaltung machen wolle, als ob sie den Gedanken der Selbstverwaltung in Wahrheit hinaustragen wollte in die kleinen Gemeinden, so bin ich mit meinem Hrn. Vorredner der Auf fassung daß man den Geburtsakt dieser Gesamt- gemcinden so erschwert hat, daß man hofft, daß das Kind in der Geourt ersticken werde und daß des wegen der Bezirk einer besonderen Beachtung be darf. Ich muß sagen, es besteht in den weitesten Kreisen keine klare Vorstellung darüber, welche unmögliche Stellung Bezirk und Gemeinde heute zueinander einnehmen. Es besteht keine Vor stellung darüber, wie praktisch unmöglich das ist, daß der Bezirk und die Gemeinde für die näm liche Aufgabe zuständig sein sollen, wenn eS einmal der Bezirk im Rahmen des Gesetzes be schließt. Wer einmal io praxi erlebt, wie es in ovnvreto wirkt, wenn Bezirk und Gemeinde für dieselbe Aufgabe aus dem nämlichen gemesse nen Topf die Steuern hcrausnehmen müssen, der muß mir zugeben: die gesamte Stellung des Bezirkes zu den Gemeinden wird in demselben Augenblick absolut unerträglich, wo sich in der Gemeinde eigenes Leben zu regen beginnt. Das ist in der Vergangenheit schon unerträglich gewesen, obwohl wir damals vor der Revolution noch ein eigenes Steuerrecht der Gemeinden hatten, also die Möglichkeit, den von dem Bezirk kurzerhand ausgelöffelten Topf mit irgendwelchen Mitteln auszufüllen. Heute, wo die Steuer portion absolut zugemessen ist, wird dies noch unmöglicher. Deswegen möchte ich den Ge danken aussvrechen, einerlei, ob man die Be zirke ansieht als Dinge, die sich durch die Ge- amtgemeinden erledigen werden, oder ob man ie ansieht als etwas, was bleibt: wenn das Ge- etz kommt, würde es wenigstens einen Zweck >aben, wenn es dafür sorgre, daß in diesem Punkte Klarheit wird. Entweder man hat den Mut zu sagen, der Bezirk ist die Gesamtge- meinde, und alle Gemeinden unter 25000 Seelen hängen von ihm ab, wie das im Entwurf steht, und zwar kraft Gesetz oder umgekehrt, es wird der alte Zustand von Anno damals w eder her- gestellt, von 1871, in welchem den Bezirken die allerbeschränktesten und allergemäßensten Auf- gaben zugewiesen werden. Ein Mittelding ist eine absolute Unmöglichkeit; es kann nur eins bringen, nämlich den Kampf zwischen einer Gemeinde, die eine Spur von Selbstverwaltungs« gcfühl und Verantwortung hat, und dem Bezirk. Deswegen möchte hier unter allen Umständen Klarheit geschaffen werden, daß nicht dieser Dualismus, der beide Teile aufreibt, weiter bestehen kann. Gai z nebenbei möchte ich darauf hi> weisen, daß unter Umständen diese BezirlS- kompetenzen einen staatsfiskalischen Beigeschmack haben können. Ich bin der Meinung, daß man mit § 191 mit Hilfe eines gefügigen Amts« Hauptmanns allerlei machen könnte auf diesem Gebiete. Ich möchte schließen und mich dahin zusammen fassen: eine Förderung der Selbstverwaltung sehe ich in keiner der Bestimmungen der Ge setzesvorlage. Ich sehe in dem Streit um Ein oder Zweikammersystem und was drum und dran hängt, eine ganz überflüssige Beunruhigung der Formen, in denen wir leben, überflüssig um des willen, weil ich noch von keinem Menschen, auch heute nicht, weder vom Hrn. Minister noch vom Hrn. Vorredner, eine einzige Tatsache habe an- sühren hören, daß unter dem bestehenden Gesetz in irgendeinem Punkte die gebenedeite Demo kratie sich nicht hätte voll ausleben können. So lange aber diese Behauptung nickt aufgestellt wird, sehe ich keine» Grund, warum wrr an den Formen, in denen unsere Gemeinden leben, herumrütteln wollen. Deswegen kommt bei der Sache nach meiner Meinung gar nicht» heraus al» eine Un- mhe über die äußere Gestaltung und in letzter Linie, wenn die Politisierung, so wie sie in Aus sicht genommen ist, gelingt, eine Herabdrückung de» Niveau» der Selbstverwaltung und ihrer ge sunden Kräste unter die Parteiherrschaft mit dem Erfolg des Schaukelns, der Kompromisse und der Patteischiebergeschäfte und endlich, wenn die Bestimmungen über die Bezirksverwaltung angenommen werden, eine Rückwättsrevidierung unserer selbständigen Gemeinden auf den Zu stand von vor 1848. (Bravo! rechts.) Das nennen wir dann Fortschritt und Demokratie. (Bravo! rechts.) Abg. Blüher (Dtsch. Bp.): Ehe ich in die Erörterung der Vorlage ein trete, möchte ich eine geschäftsordnungsmäßige Bemerkung machen. Der Hr. Minister des Innern ist nicht mehr anwesend. Ich halte eS mit der Würde des Hauses nicht für vereinbar, daß wir hier diskutieren, wenn der verantwort liche Minister fehlt. Ich weiß nicht, ob ich, wenn ich einmal persönlich werden will, mich richten soll an den Hrn. Ministerpräsidenten, der die Vorlage nicht geschaffen hat, oder an den Hrn. Staatskanzler, der die Verantwortung da für nicht trägt. Ich möchte deshalb den Hrn. Präsidenten bitten, dem Hrn. Minister Lipinski mittelen zu lassen, daß das HauS sich nach ihm sehnt. (Abg. Schnirch: Blüher spricht!) Präsident: Ich sähe es auch gern, wenn der Hr. Minister da wäre. Ich verweise auf Art. 16 der Ver fassung, der sagt: Der Landtag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit der Mitglieder des Gesamt ministenums und der obersten Rcchnungs- prüfungSbehörde verlangen. Dazu würde aber ein formeller Beschluß not- wendig sein. Die Sitzung müßte aber so lange unterbrochen werden, wenn ein solcher Antrag gestellt wird, bis der Hr. Minister des Innern zu finden ist. Ich stelle also anheim, einen solchen Antrag einzubringen. (Abg. Jähnig: Er war eben hier, er ist bloß einmal hinaus gegangen l) «bg. Bliiher (Dtsch. Vp.): Ich will keine Kabinettssrage daraus machen, ich möchte den Hrn. Präsidenten nur bitten, dem Hrn. Minister den Wunsch des Hauses Mit teilen zu wollen. Präsident: Ich werde das Nötige veranlassen. «bg. Blüher (Dtsch. Vp.): Der Hr. Minister des Innern ging bei seiner Einführung der Vorlage davon aus, daß an einem Tage Ende 1920 bei dem Amtsantritt der gegenwärtigen Minister die Zusage erteilt worden sei, eine neue Gemeindeordnung vorzulegen. Wenn jemand die Basis für die Beurteilung einer Revision der Gemeindeordnung vom Beginne der Ministerherrlichkeit des gegenwärtigen Ka binetts nimmt, dann muß ja natürlich eine ge wisse Beschränktheit des Gesichtsfeldes daraus folgen. (Sehr richtig! rechts.) Ich glaube, wenn man die Frage der Gemeindeordnung be handeln will, muß man sich schon bemühen, den Horizont etwas weiter zu stecken. (Sehr gut! rechts — Abg. Schneller: Jetzt geht's los!) Es handelt sich tatsächlich doch um eine Maßnahme, die keineswegs bloß eine sächsische Frage betrifft, sondern eine gesamtdeutsche Frage ist, und wir würden der schwierigen und bedeutsamen Auf gabe, an einer neuen Gemeindeordnung zu ar beiten, nicht gerecht werden, wenn wir uns nicht dieses Zusammenhanges bewußt wären. Seitdem die Städteordnung des Freihernr v. Stein im Jahre 1808 erschienen ist, ist die Selbstverwaltung der Gemeinden in Deutschland noch nicht zrr demjenigen Ziele gekommen, das sich der Freiherr v. Stein gesteckt hatte. Die Städte ordnung des Freiherrn v. Stein vom Jahr 1808 ist maßgebend gewesen für die städtische Leibst. Verwaltung. Für die ländliche Selbstverwaltung aber ist ein Gegenstück noch nicht geschaffen worden, ^ch darf daran erinnern, daß nach dem Borbude der preußischen Städteordnung die ankeren deutschen Staaten sich auch eine Städteordnung und Gemeindeordnung schufen, so Sachsen die Ltädteordnung 1832, die Land- gemeindeordnung 1838, und daß dann im Jahre I873 die Städteordnung und die Land gemeindeordnung überprüft oder, wie der offi zielle Ausdruck lautet, revidiert worden sind Damals — daS möchte ich an dieser Stelle her vorheben — zugleich mit der staatlichen Organi- sation, die sich auS^rückte im Lrganisationsgesctz und im Gesetz über die Bezirksverbände. Seit der Gesetzgebung des Jahres 1873 haben wir zwar zahlreiche Novellen, namentlich zur Land« gemeindeordnung gehabt, aber sie waren doch nur von verhältnismäßig unbedeutende» Folgen. Präsident (unterbrechend). Ter Hr. Minister ist jetzt anwesend. Abg. Blüher (Dtsch. Bp.): Ich begrüße den Hrn. Minister. Die Novellen zur Städteordnung waren sehr unbedeutend, ein Zeichen dafür, daß ein erheb liche» Bedürfnis zur Revision der Stüdteordnung nicht empfunden wurde. Bei den Landgemein den wurde die Verfassung fottgebildet zuletzt durch die Novelle von 1911. Wie hat nun in diese Entwicklung die Revo lution eingegriffen? Die Revolution mit der Reichsverfassung von Weimar hat zunächst — da» müssen wir festhalten — e» erstmalig unter nommen, einen Teil de» Gemeinderechtes vor da« Forum der Reich-verfassung zu ziehen, und zwar ist das in Art. 17 geschehen, worin aus gesprochen worden ist, daß für die Gemeinde» dasselbe Wahlrecht gelten soll, wie für Reich und Länder, also unmittelbare», gleiches, direkte» und geheimes Wahlrecht. Im übrigen beschränkt sich die Reichsverfassung auf einzelne kurz« Programmsätze. Der Strom der Revolution ist nicht einheitlich ins Reich geleitet worden, sondern in die einzelnen Länder. So sehen wir, daß Bayern, Württemberg, Baden, Thüringen, Preußen sich mit einer neuen Gemeinde ordnung beschäftigt haben und beschäftigen Tiefes Nebeneinander, diese mehrfache Arbeit, ich möchte sagen, diese 20 fache Arbeit in 20 ver schiedenen Ländern um dieselben Fragen und^ an denselben Problemen löst natürlich die Frage aus: Wird denn nicht einmal auf die preußische Städ!eordnung Steins eine deutsche Städte- ordnung, eine Reichsstädteordnung folgen? Diese Frage wurde aus dem Stuttgarter Städtetage Ende Juni v. I. ausgeworfen, und sie wurde dort, ich möchte sagen selbstverständlich, bejaht, und es kam die Anregung aus der unabh.-soz. Fraktion der Gemeinde Hamborn, einen Studien« ausschuß für diese Frage niederzusetzen. Das ist geschehen. Dieser Studienausschuß, dem Mit glieder von den Deutschnationalen bis zur U.S.P. angehört haben und angehören, hat auch ver schiedentlich getagt. Es ist das letztemal von ihm am 30. März in Essen eingehend beraten worden, und wir sind zu der Überzeugung ge kommen, daß ein Bedürfnis besteht, auf einer ganzen Reihe von Gebieten einheitliches Stäote« recht zu schaffen. Selbstverständlich kann eine deutsche Ltädteordnung nicht dahin gehen, in allen Einzelheiten die Probleme zu lösen, sondern sie wird sich immer darauf beschränken müssen, eine Art Rahmengesetz zu schaffen, ein Gerippe zu schaffen, an das das F.eisch angehängt wird je nachdem, wie man sich stellt, von den Landesgesetzen oder von den Ortsge etzen. Aber mit dieser Beschrän kung wird allerdings eine deutsche Städteord nung — das ist persönlich meine Auffassung — sich innerhalb verhältnismäßig weniger Jahre durchsetzen, und es ist ein eigentlich mett würdiges Zusammentreffen, daß ich, der in diesem Studienausjchuß mitkämpse, und zwar sehr lebhaft für die Reichsstädteordnung kämpfe, dort Schulter an Schulter kämpfte mit Ange hörigen der S. P D. und U. S. P., während andere Kollegen von mir von diesen unitari- sierenden Tendenzen gar nichts wissen wollen. Ich habe auch persönlich einmal meine Meinung über den Hauptinhalt des Verfassung-rechtes der Reichsstadteordnung geäußert und habe da ausgeführt, daß nach meiner Auffassung für die innere Gemeindeverfassung der Städte sich die beiden Systeme der Magistratsversassung und der Bürgermeisterverfassung durchge,etzt haben. Beide Systeme haben ihre Vorteile und ihre Nachteile, und die Reichsstädteordnung wird die Aufgabe haben, beide Systeme zuzulassen, bei beiden Systemen aber die durch die Zeit ge botenen Verbesserungen zu ermöglichen und zu fördern. Ich habe dann weiter darauf hinge wiesen, daß die städtischen Betriebe nach Art ihrer Verwaltung verfassungsmäßig und hau»- haltplanmäßig von der übrigen Stadtverwaltung abzulöjen find, daß für die Großstädte eine de zentralisierte Verwaltung ermöglicht werden soll. Ich habe daran allerdings die Bemerkung ge knüpft: Wie ich die Verhältnisse im Reiche be urteile, wird sich durch die Aussicht auf die Reichsstädteordnung lein Land davon abhalten lassen, zunächst seinen partikularistijchen Ten denzen nachzugehen und für sich eine eigene Stüdteordnung zu schaffen. Tas wird für Saryjen wie für Preußen gelten. Vom Standpunkte desjenigen, der doppelte oder dreiiache Arbeit vermeiden will, kann man das bedauern, ab zustellen ist es bei den politischen Verhältnisse« heute nicht. (Zuruf: Wer ist denn daran schmo?) Die Mehrheitsparteien in Sachsen werden ins besondere sich bemühen, das, was sie fi,re Ernte nennen, noch schleunigst aus dem Gebiete der Gemeindeverfassung iu die Scheuern zu bringen. (Heiterkeit.) Ich halte diese Politik einiger maßen für kurzsichtig (Zuruf links), d.nn wenn einmal die Richsstätcoronung kommt, wiro sic natürlich solche Ex ratouren, wie die Vorlage sie zu tanzen uns empfiehlt, nicht mehr zu- lasjen. (Aha! links) Und außeroem steht die ganze Mehrheit ja jetzt auf zwei Männer». SS kann doch auch einmal anders jein. (Zuruf links.) Es kann sein, daß sie ausreicht, um diese Gemeindeordnung unter Dach zu bringen, es kann aber auch kommen, daß dann eine andere Mehrheit erscheint und mit einem Para graphen jagt: die Gemeindeordnung wird auf- gchooen. (Zuruf link«: O nein, das wird nicht kommen!) Das werden wir sehen. Ich möch.e daraus die Folgerung ziehen: Ich halte eS nicht ,ur richtig, wenn man bei diesem Vorlage eine Ordnung durchzudrücken sich bemüht, die fich auf die Tauer nicht halten kann, denn wir haben alle ohne Nnte schied der Putteirichtung das lebhafte Interesse daran, daß rie Gemeinden, die den Unterbau deS gesamten öffent.ichen Lebens bilden, nicht ohne Not in Wirrwarr und Unordnung geraten, wie das geschehen müßte, wenn man sagte: heute die Verfassung, morgen jene Verfassung. Und deswegen wird e» unsere Aus gabe sein, im Ausschuß die Wege zu finden, in- wieweit es möglich ist, für diese Gemeindeord nung eine tragbarere Bast» -u schaffen al» di« gegenwärtige Mehrheit. Ob da» möglich sei» wird, ist mir nach dem gegenwüttigen Stand« zwar sehr zweifelhaft, aber wir dürfen un» nicht
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