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LMMU M AWm AMsKU Nr. 281. zu Nr. 282 des Hauptblattes. 1925. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Brau he in Dresden. LandtagsverhaMungen. (Fortsetzung der 155. Sitzung von Donnerstag, den 3. Dezember.) Abg. Lieberafch (Komm.) (Fortsetzung): Eine andere Ursache der Erwerbslosigkeit im gegen« wärtigen Moment ist die Offensive der Unter nehmer, die Gestehungskosten sür die deutschen Produkte herabzusetzen und aus den Knochen der deutschen Arbeiter alles das herauszuholen, was notwendig ist, um die Arbeiterschaft unter die Politik der deutschen Schwer kapitalisten und Finanzführer zu zwingen. Es zeigt sich, daß wir am Beginn einer der schwersten Wirtschafts krisen stehen, daß in Deutschland die Arbeitslosigkeit in einem Maße in Erscheinung tritt, wie bisher noch in keinem kapitalistischem Land. Wenn man die Tat sache betrachtet, daß die Reichsregierung durch ihre Zollgesetzgebung und die gesamte Steuergesetzgebung die Lebenshaltung der großen Masse des Volkes schwer belastet hat, wenn man die Unterstützung, die ein Erwerbsloser über 21 Jahre erhält, mit dem Existenzminimum ver gleicht, dann muß man schon sagen: diese Unterstütznngs- sätze reichen nicht aus, um das allernotwendigste Stück trocken Brot für den Arbeiter anschassen zu können. Im Gegensätze dazu steht die Tätigkeit dieser selben Regierung, wenn es gilt, die Monarchen zu unterstützen, die immer nur auf Kosten der Gesamtheit des Volkes ein Schmarotzerleben geführt und eine Politik getrieben haben, die die Ursache dieses ungeheuren Massenelendes in Deutschland ist. Wenn man bedenkt, daß die Arbeiter die Kosten für die Erwerbslosenunterstützung selbst auf bringen müssen, so zeigt sich, daß die Erwerbslosen- kürsorge, wie wir sie zur Zeit haben, keine Wohlfahrts einrichtung ist, sondern ein Instrument in den Händen der bürgerlichen Gesellschaft, um die ganzen Lasten der Erwerbslosenfürsorge, soweit sie notgedrungen durch geführt werden mutzte, auf die Schultern der Arbeiter abzuwälzen, die Arbeiter aber gleichzeitig darum zu betrügen und ihnen auch mit Hilfe der Gesetzgebung diese Sätze zu entziehen. Die Ausländer müssen Bei träge zahlen, solange sie in deutschen Betrieben arbeiten, aber wenn sie dann auf Grund dieser Beitragszahlung bei Erwerbslosigkeit verlangen, daß ihnen die Unterstützung gegeben wird, dann weigert sich die Behörde, die Erwerbslosenunterstützung auszuzahlen. (Hört, hört! b. d. Komm.) Wenn man nachweist, daß ein Erwerbsloser infolge der un zureichenden Unterstützung sich einmal einige Mark in der Woche nebenbei verdient hat, dann wird er vor das bürgerliche Gericht geschleppt und dort wegen Be trugs verklagt, um auf diese Weise zu erreichen, daß er daun, um nicht ins Gefängnis zu kommen, diese Gelder zurückzahlt. Im sozialpolitischen Ausschüsse des Reichstages hat man sich bereits mit einer besseren Unterstützung der Erwerbslosen beschäftigt. Die Regierung erklärt: Wir sehen die Not der Erwerbslosen ein, aber wir haben kein Geld dafür. Dieselbe Regierung hatte 700 Mill. M. für die Ruhr-Industriellen, sie hatte 15 Mill. M. für die Grubenbesitzer, sie hat das Geld für die Ab findung der Monarchen, sie hat Geld dauernd, Kredite zu geben. Die Steuern werden den Kapitalisten er lassen, aber um die Erwerbslosen zu versorgen, dazu ist nach Ansicht der Regierung im sozialpolitischen Ausschuß kein Geld vorhanden. Die Arbeiter sollen bei soge nannten Notstandsarbeiten zu niedrigeren Sätzen ar beiten. Es stimmt nicht, wenn vorhin Herr Abg.Schembor dazwischenrief: die Notstandsarbeiten werden tariflich bezahlt. Es ist Vorschrift, daß sie nicht tariflich bezahlt werden dürfen, wenn die Reichsregierung nicht die Zu schüsse entziehen foll. Die Unternehmer werfen die Leute hinaus und stellen dann den Arbeitern frei, für 10 oder 20 Pfennige billiger zu arbeiten; sie sagen: Ferien könnt ihr bekommen, wenn ihr sie nacharbeitet durch Überstunden ohne Zuschlag. Nach dieser Richtung hin stoßen die Unternehmer z. Z. auf der ganzen Linie in Deutschland vor. Angesichts dieser Tatsache haben die Erwerbslosen jetzt in Verbindung mit den Gewerkschaften den Boden des Kampfes zu beziehen. Die Gewerkschaften müssen unter allen Umständen nicht nur die organisierten, sondern auch die Nichtorganisierten Arbeiter zusammen nehmen und gemeinsam mit ihnen den Kampf auf allen Gebieten führen, um einen Ausball der Unter stützung nach jeder Richtung hin zu betreiben. Die Kommunistische Fraktion hat angesichts dieser Umstände und der zukünftigen Entwicklung folgenden Antrag gestellt: Die Arbeitslosigkeit steigt in einer erschreckenden Weise. Alle Meldungen aus den verschiedensten Teilen Deutschlands, aus allen Industrien zeigen ein dauerndes Steigen der ErwerbSlosenziffern an. Die Berichte der bürgerlichen Zeitungen in ihrem wirtschaftlichen Teil lassen erkennen, daß wir erst am Anfang einer noch nie dagewesenen Wirtschaftskrise als Folge des Dawes paktes stehen. Diese Krise wird verschärft durch ein bauerndes Steigen der LebenSmittelpreise. Das Elend der Erwerbslosen und ihrer Familien ist grenzenlos. Die Regierung ist verpflichtet, das Elend der Erwerbs- losen zu beseitigen. Die Kommunistische Fraktion beantragt deshalb: . . -» der Landtag wolle beschließen: Die Regierung wird beauftragt, bei der Reichsregierung sofort folgende- durchzufetzen: 1») Die Unterstützungssätze werden sofort auf 50 Proz. des Tariflohnes erhöht, b) Männer und Frauen sind gleichzustellen, o) als Grundlage der Unterstützung dient die tat sächliche Familienstärke, eine Beschränkung auf eine bestimmte Kinderzahl ist unzulässig, ck) die Unterstützung ist während der ganzen Dauer der Erwerbslosigkeit zu zahlen, Karenzzeit und Beschränkung auf bestimmte Dauer (26 beziehent lich 39 Wochen) kommt in Wegfall, ») die Kurzarbeiterunterstützung wird wieder ein geführt, k) Renten dürfen auf die Unterstützungssätze nicht angerechnet werden, 8) die Sätze sind Mindestsätze, den Ländern und Gemeinden steht es frei, dieselben von sich aus zu erhöhen. k) Pslichtarbeit dars von den Unterstützungsempfängern nicht verlangt werden, i) zur Beseitigung der Erwerbslosigkeit werden so fort Notstandsarbeiten in größerem Umfange begonnen. Diese werden nach dem Tariflohn entschädigt. 2a) Ungeachtet der Dauer und des Ausganges der Verhandlungen mit der Reichsregierung wird die Regierung beauftragt, sofort im Hinblick auf den Winter den ledigen Erwerbslosen und den Ver heirateten ohne Kinder bei einer Erwerbslosigkeit bis zu 12 Wochen 50 M. und über 12 Wochen Erwerbslosigkeit 75 M. als einmalige Beihilfe zu gewähren. Verheiratete mit Kindern erhalten dieselben Sätze und außerdem für jedes Kind 10 M. b) Außerdem erhalten alle Unterstützungsempfänger vorläufig pro Haushalt fünf Zentner Briketts und pro Kopf einen Zentner Kartoffeln und zwei Kilo Gefrierfleisch kostenlos zur Verfügung gestellt. Ich beantrage, unseren Antrag dem Haushalt ausschuß L zu überweisen. Hierauf wird die Tagesordnung für die nächste Sitzung festgesetzt. Abg. Böttcher (Komm.), unterstützt von seinem Parteigenossen Renner, stellt erneut den Antrag, die Locarnoverträge mit auf die nächste Tagesordnung zu setzen. Ter Antrag wird gegen wenige Stimmen abgelehnt. Punkt 9: Erste Beratung über den Antrag des Abg. Wirth u. Gen., betreffend Arbeiterentlassungen und Erwerbslosenunterstützung(DrucksacheNr.1582)- Der Antrag lautet: Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu beauftragen, beim Reiche zu fordern 1. eine Verstärkung des gesetzlichen Schutzes gegen ungerechtfertigte und unbillige Entlassungen der Arbeitnehmer, 2. Erhöhung der Erwerbslosenunterstützung, 3. Wiedereinführung der Kurzarbeiterunterstützung, 4. Einstellung von erhöhten Mitteln für die produk tive Erwerbslosenfürsorge, 5. auf die Reichsbahnverwaltung einzuwirken, um eine schleunige Fertigstellung der begonnenen Bahnhofs- und Eisenbahnneubauten zu erreichen. L. durch landesgesetzliche Regelung zu bestimmen 1. die Einführung der Erwerbslosenunterstützung für Jugendliche, 2. das Arbeitsministerium zu veranlassen, die Betriebs stillegungsverordnung in schärfster Weise zu hand haben, um willkürliche und vermeidbare Still legungen zu verhindern, 3. Bereitstellung weiterer Mittel für den Wohnungs bau, 4. beschleunigte Vergebung der in Aussicht genom menen Staatsaufträge, 5. Einwirkung auf die Verwaltung der A.S.W., die in Aussicht genommenen Aufträge baldigst und soweit als möglich an die sächsische Industrie und das sächsische Gewerbe zu vergeben, 6. Unterstützung aller Maßnahmen, die zur Um stellung und Hebung der Wirtschaftlichkeit der In dustrie geeignet und notwendig sind, 7. Bereitstellung von Krediten für Notstandsmaß nahmen der Gemeinden. Abg. Kranz (Soz. — zur Begründung): Ich kann heute in meinen Ausführungen kürzer sein, da ich be reits in der Debatte über den Preisabbau diesen An trag begründet habe. Wenn Herr Abg. Lieberasch da von sprach, daß wir als Wirkung des Locarnovertrages in der nächsten Zeit eine größere Arbeitslosigkeit haben werden, so ist das eine so rabulistische Logik (Abg. Frau Büttner: Kommunistenlogik!) so unsinnig, daß man sich wundern muß, wie solche Ausführungen überhaupt ge macht werden können. Herr Abg. Lieberasch hat dann von den vielen Konkursen gesprochen. Die Zahl der Konkurse ist nicht so groß, wie er geschildert hat. Ich will ihn und die gesamte Kommunistische Fraktion an die Verbundenheit der europäischen Wirtschaftslage er innern. Was wir an Wirtschaftsnot bei uns sehen, findet sich in clleichem Maße und vielleicht noch stärker in England. In England sind von 482 Hochöfen in den letzten Monaten 350 emaegangen; e- sind heute nur noch 136 im Betrieb. 1^5 Millionen Arbeitslose hat England im September zu verzeichnen. Wir stehen auf dem Boden de» Beschluße», den die Internationale Sozialistenkonferenz in Bern im Jahre 1S19 gefaßt hat: Die Aufgabe des Völkerbundes wird besonders ge fördert werden, denn sein wirtschaftliches Programm umfaßt die rationelle und wissenschaftliche Organisation der Arbeit, den Internationalen Arbeiterschutz, die internationale Verteilung der Rohstoffe und die Inter nationalisierung der Transport- uno Anstauschmittel. Es hat lange gedauert, bis man zu dem Pakt von Locarno gekommen ist. Heute zeigt sich die Aus- Wirkung des Paktes von Locarno darin, daß der fran zösische Wiederaufbauminister Loucheur fordert, daß der Locarnopakt ergänzt werden müsse durch einen wirt schaftlichen Locarnovertrag, durch eine Weltwirtschafts konferenz. Er sagte: Marl muß untersuchen, ob es uns, den alten Völkern von Europa nicht möglich ist, daß wir uns Bedingungen schaffen, die jenen gleichkommen, unter denen sich die amerikanische Industrie entwickelt, und ob wir nicht emporkommen durch eine Auffassung, die formuliert wurde: die Bereinigten Staaten von Europa. Die Kommunisten wollen eine Politik treiben, die die Vereinigten Staaten von Europa unmöglich macht, sie sehen nur den einen Weg, ein militärisches Bündnis mit Rußland einzugehen. Wir stehen auf dem Stand punkt, daß eine solche Ausfassung nicht den Interessen des Volkes entspricht. Aus diesen Dingen aber ergibt sich die gegenwärtige Krise, die wir nicht so wie die Kommunisten behandeln, daß man Anträge stellt und viele Worte dazu macht. Wenn inan mit radikalen Redensarten den Arbeitslosen helfen könnte, dann müßte der Heiland für die Arbeitslosen die Kommunistische Partei gewesen sein. Die Arbeiter bedanken sich aber, wieder hinter ihrem Wagen herzulaufen. Nun zum Anträge selbst! Wir fordern eine Ver stärkung des gesetzlichen Schutzes gegen ungerechtfertigte und unbillige Entlassung der Arbeitnehmer. Ich darf daran erinnern, daß die Unternehmer in letzter Zeit auch bei langjährigen Arbeitnehmern, wenn sie krank geworden sind, von dem Rechte des 8 123 der Gewerbe ordnung rücksichtslos Gebrauch gemacht haben, daß es schwerer Auseinandersetzungen vor dem Gewerbcgericht bedurfte, um eine gewisse Regelung zu treffen. Der Herr Abg. Lieberasch hat bemängelt, daß aus der Erwerbslosenversicherung Kredite für Unternehmer gefordert worden sind. Wir als Gewerkschaftler stehen nicht auf dem Standpunkt, daß aus der Erwerbslosen versicherung im gegenwärtigen Zeitpunkt Kredite gewährt werden, aber ich darf bemerken, daß telbst Betriebsräte aus Chemnitzer Betrieben, die den Kommunisten sehr nahe stehen, sich an uns gewandt und gefordert haben, dafür zu wirken, daß Kredite aus der Erwerbslosen- Unterstützung für die Betriebe gegeben werden. Man kann daraus ersehen, daß die Arbeiter ganz anders über diese Dinge urteilen, als sie hier von Herrn Lieberasch vorgetragen werden. , Die Wiedereinführung der Kurzarbeiterunterstützung findet leider viel Hemmnisse beim Neichsarbeitsmini- sterium, weil sich die Albeitgeberorgamsationen gegen die Wiedereinführung wenden. Die sächsüche Regierung hat, soweit mir bekannt ist, sie bei der Reichsregierung immer wieder beantragt. Soweit meine Kenntnis reicht, ist jetzt seitens des Neichsarbeitsministeriums an die einzelnen Arbeitsnachweisstellender Bezirke eine Umfrage gelangt, die darauf hindeutet, daß man vielleicht im Reichsarbeitsministerium eine Schwenkung der Ansicht vorzunehmen bereit ist. Bei der Kurzarbeiterunterstützung kommen vor allem Frauen in Frage. Die Frauenarbeit hat sich in vielen Industrien wesentlich durchgesetzt, so daß eine wesentlich größere Anzahl von Frauen dort beschäftigt ist. Wenn man bedenkt, daß es zum gropen Teil Frauen sind, die als Kriegshinterbliebene für die Familie zu sorgen haben, so halten wir den bisher ab lehnenden Standpunkt des Reichsarbeitsministeriums für ganz und gar unverständlich. Bei der produktiven Erwerbslosenfürsorge käme vor allen Dingen der Straßenbau in Betracht. Unsere Straßen in Sachsen sind durch das starke Anwachsen des Automobilverkehrs, besonders des Lastkraftwagen verkehrs sehr ausbesserungsbedürftig, so daß es im In teresse des Staates liegt, wenn die Arbeitslosen zur Her stellung guter Straßen verwendet werden Es wird manchmal von Arbeitgebern die Behauptung ausge sprochen, daß die Erwerbslosen sich nicht nach Arbeit drängen. Demgegenüber möchte ich doch mit aller Be stimmtheit und Klarheit zum Ausdruck bringen, daß die Arbeitslosen sich immer nur darnach drängen, ihre« Unterhalt sich durch eine regelmäßige Arbeit zu ver dienen. Wenn bei der Reichsbahn gegenwärtig wieder eine große Anzahl Stellenarbeiter, Zeitarbeiter usw. entlassen werden sollen, so würde das gerade das, wa» die einzelnen Landesregierungen und die Reichsregierung beabsichtigen, illusorisch machen, indem auf der einen Seite die Zahl der Arbeitslosen durch Einführung von Notstandsarbeiten herabzudrücken versucht und auf der anderen Seite von der Reichsbahnverwaltung erhöht wird. Wir erwarten von der Reichsbahnverwaltung, daß sie mit solchen Maßnahmen nicht kommt. Wir müssen erwarten, daß da», was notwendig ist Herzustetten, jetzt in der nächsten Zeit sofort ge tan wird. Dann haben wir verlangt, die Einführung der Er werbslosenunterstützung sür Jugendliche durch landes- gesetzliche Regelung zu bestimmen. Das ist eine alt« Forderung der Gewerkschaften und der Arbeitslosen. ES ist ungerecht, wenn Jugendliche im Alter von 16 biU^