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11« ÄMqMW Mr AWn AuisxikU Nl. 259. zu Nr. 151 des Hauptblattes. 1925. Beauftragt mit der Herausgabe: RegterungSrat Braußs in Dresden Landtagsverhandlungen. (Fortsetzung der 14V. Sitzung von DienSstag, den 30. Juni.) Zu Kap. 30 ist nichts zu bemerken. Berichterstatter Abg. vr. Schmincke (Komm.): Zu Kap. 31 haben wir den Antrag gestellt, die Regierung zu beauftragen, baldigst eine Vorlage vorzulegen, mit der eine Verstaatlichung der Hebammenfürsorge durch" geführt wird. Es liegt die Verstaatlichung der Heb ammen einmal im Interesse der Hebammen selbst. Der Hebammenberuf ist ein außerordentlich wichtiger und verantwortlicher Beruf im Interesse der Volks gesundheit. Es ist deshalb notwendig, daß sie einmal sehr gut ausgebildet werden und daß sie zweitens von allen wirtschaftlichen Sorgen frei gemacht werden. Es ist doch jetzt so, das, die Hebammen allein auf das Geld angewiesen sind, welches sie bei den Entbindungen von ihren Klienten bekommen, und diese Beträge sind ost so niedrig, daß sie damit nicht auskommen können, zu mal die Zahl der Geburten in den letzten Jahren außerordentlich zurückgegangen ist. Wir sind der Meinung, daß die Hebammen verstaatlicht werden müssen und daß dann den Hebammen überhaupt weitere Aufgaben zugewiesen werden müssen, wie z. B. die Beratung der Schwangeren, hygienische Aufgaben bezüglich der Ernährung der Kinder usw Es würde sich also ein reiches Tätigkeitsfeld für die Hebammen, welche natürlich besser ausgebildet sein müßten er geben, wenn sie verstaatlicht würden. Zur Impff rage möchte ich erwähnen, daß eine Eingabe von den Jmpfgegnern an den Landtag ge richtet worden ist mit der Aufforderung, Strafver fügungen wegen Jmpsverweigeruug zu unterlassen, falls die Erziehungsberechtigten die eidesstattliche Ber- sichernng abgeben, daß sie es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können, ihre Pflegebefohlenen impfen zu lassen. Ihr Hauptargument ist, daß die Impfung ein außerordentlicher Eingriff in die persönliche Freiheit des Individuums ist. Dieses Argument steht ganz außer halb der medizinischen Argumente, die für uns maß gebend sein müssen. Der Staat unternimmt natürlich sehr viel Eingriffe in die persönliche Freiheit des In dividuums, aber diese Jmpfgegner haben sich nicht da gegen gewehrt, wenn so starke persönliche Eingriffe in ihre pcrsönlick e Freiheit gemacht wurden, daß sie wäh rend des Krieges z. B. eingezogen wurden und sich draußen als Soldaten totschießen lassen mußten. Das ist ein viel stärkerer Eingriff. Für uns mnß in erster Linie die Volksgesundheit maßgebend sein. Wenn die Volksgesundheit in Frage gestellt ist, ist es ganz selbst verständlich, daß die individuelle Freiheit in, Interesse des Ganzen zurücktreten muß, und das ist bei der Impfung unbedingt der Fall. Fast alle Arzte stehen auf dem Standpunkt, daß wohl die Zeit kommen kann, wo die Hygiene soweit fortgeschritten ist, auch in den um gebenden Ländern, daß die Gefahr einer Pockenepidemie außerordentlich gering ist, und daß mau dann zu einer freiwilligen Impfling vielleicht übergehen kann. Aber heute liegen die Dinge ganz anders. Heute stehen wir doch in einer Periode, wo die Bevölkerung infolge des Krieges unterernährt ist, wo die Krankheiten infolge des Krieges lind der Not nach den, Kriege außerordent lich zugenommen haben, wo die hygienischen Bedingungen der Bevölkerung in Deutschland außerordentlich schlecht sind, ich erinnere nur an die ungeheure Wohnungsnot. Heute wissen wir, daß in Ländern wie z. B. in England, wo die Impfling nicht streng durchgeführt ist, Pockenfälle wieder überhand nehmen. In dieser Zeit, wo wir von Völkern umgeben sind, die bezüglich der Hygiene noch weit tiefer stehen als das deutsche Volk, können wir es auf keinen Fall verantworten, daß man jetzt die Be stimmungen über die Impfung mildert. Mai, muß deshalb weitgehendste Aufklärung unter den Jmpf gegnern durch die Behörden schaffen und die Leute darauf Hinweisen, wie wichtig diese Impfling ist, und soll versuchen, nicht so rigoros vorzugehen. Ich selbst bin wiederholt von Jmpfgegnern gefragt worden, welches mein Standpunkt zur Impfung ist, und ich habe die Leute, die ihre Kinder vielleicht seit zwei Jahren nicht geimpft hatten, weil sie meinten, daß es unnötig sei oder daß die Gesundheit der Kinder schwer geschädigt würde, außerordentlich leicht überreden können, sich impfen zu lassen. Deshalb möchte ich der Regie rung empfehlen, vor allen Dingen überall Aufklärungs- Vorträge zu halten, damit man wenigstens diesen Jmpf gegnern energisch gegenübertritt. Ich möchte also darum dem Landtag empfehlen, diese Eingabe der Jmpf gegner auf sich beruhen zu lassen. Abg. vr Kretschmar (Dtschnat.): Ich möchte zu dieser Frage nur feststellen, daß ich mich außerordentlich freue, mich in diesem Punkte in Übereinstimmung mit Herrn Abg I)r Schmincke zu besinden. Ich würde es als ein Verbrechen an der Menschheit halten, wenn der Impfschutz durchbrochen würde. Es ist Aufgabe der Regierung, Aufklärung in diesem Punkte mit allen Kräften in die Bevölkerung zu tragen. Es ist mir da vor einigen Wochen zu Ohren gekommen, daß in dieser Beziehung nicht immer das volle Entgegenkommen gezeigt worden wäre, ja daß gewisse Hemmungen gegenüber aufklärenden Vorträgen bestanden hätten. Wenn das tatsächlich der Fall wäre, würde ich dringend bitten, sich in Zukunft an das zu halten, was der Herr Berichterstatter eben vorgetragen hat, daß die Auf Abg. Graupe (Mindert), d. Soz.): Die Imp ff rage ist ja bekanntlich sehr umstritten. Aus meiner persön lichen Erfahrung während der Kriegszeit habe ich die Überzeugung, daß mir für eine ganze Reihe von Men schen der Impfzwang nicht tragbar erscheint, da sie in folge ihrer persönlichen Körperkonstitution das Impfen nicht vertragen. Und da sich auch die ärztliche Wissen schaft über diese Frage noch nicht vollständig einig ist, so möchte auch ich der Regierung empfehlen, daß sie eine Milderung der Bestrafungen herbeiführt oder irgend welche Abänderungen der einschlägigen gesetzlichen Be stimmungen durch das Justizministerium vornehmen läßt. Was die Berstaatlichnng der Hebammen an laugt, so möchte ich darauf Hinweisen, daß im Jahre 1921 bei Verabschiedung des Gesetzes über die wirtschaftliche Besserstellung der Hebammen bereits der Landtag die damalige Regierung meines Wissens beauftragt hat, Erörterungen anzustellen, ob in Sachsen allgemein eine staatliche Geburtshilfe zur Einführung kommen kann. (Sehr richtig! b. d. Minderh. d. Soz. u. d. Komm.) Soweit ich unterrichtet bin, hat auch die Zeigner- Liebmann-Regierung diese Vorbereitungen getroffen und einen derartigen Gesetzentwurf vorlegen wollen. Ob die jetzige Regierung diese Vorbereitungen weiter verfolgt hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Soweit ich abcr die Verhältnisse im Lande beurteilen kann, ist es nach meiner ttbeizeugung eine dringende Notwendigk eit, daß wir bald auch in Sachsen die staatliche Geburts hilfe zur Einführung bringen. (Lebhaftes sehr richtig! klärung in der Jmpffrage schon einen wesentlichen Teil des Impfschutzes in sich trägt. „ Dann noch ein Wort zu der Frage der Boetersschr n Arbeiten! Nachdem sich das Landesgesundheltsantt ansführlich dazu ausgesprochen hat, erübrigen sich weitere Vorschläge. Ick) möchte nur bitten, daß den Arbeiten und der Persönlichkeit von Boeters, der dieser Sache ein gntes Teil seiner gesamten Arbeitskraft ye- widniet hat, weitestgehendes Entgegenkommen gezeigt wird insoweit, daß man alles tut, um die dieser zurzeit gewiß noch strittigen, aber auch hoch wichtigen Frage herbeizuführen. Endlich möchte ich zu dem geeinten Kapitel Landrs- gesundheitsamt noch einmal kurz auf die letzten Ver handlungen znrückkommeu, die im Anschluß an die Ein gabe des Ärztlichen Bezirksvereins stattgefuuden haben. Es ist damals der Antrag Blüher, dem wir uns ange schlossen hatten, abgelehnt worden und ein Zwychcn- antrag angenommen worden, von dem wir überzeugt sind, daß er nur eine vorläufige Lösung dieser Frage bringt. Ich müßte aber der Hoffnung Ausdruck geben, daß der Landtag der Auffassung, die im Antrag Blüher znm Ausdruck gekommen ist, tatsächlich nähertreten wird nnd daß die jetzige Regelung nur ein Schritt zu dieser Regelung ist. (Bravo! b. d. Dtschnat.) Abg. Lchnirch (Mehrh. d. Soz.): Es hat in Sachsen in einzelnen Bezirken ein System Platz gegriffen, das jeder Beschreibung spottet, daß sich Leute in den Kampf zwischen Jmpfgegnern und Ärzten einmischen, die ihrem Stande nach weit über diesem Kampfe stehen und lieber versuchen sollten, nicht erbitternd zu wirken, sondern Ol in die Wogen zu gießen. Die Jmpffrage ist nicht als eine Parteifrage anzusehen. Es gibt auch Arzte, die Jmpfgegner sind, und die deshalb keine Stümper sind. Die Widerstandsfähigkeit des Menschen gegen ausbrechende Krankheiten hängt mit der körper lichen Konstitution und mit der Ernährung zusammen, und es ist durchaus nicht erwiesen, daß z. B. die Pocken impfling einen Schutz gegen die Pockenerkrankung bietet. Wenn m dem kleinen Lande Hessen in der von der Frau Berichterstatterin erwähnten Weise Abhilfe ge schaffen worden ist, dann sollte man sich auch in unserem Lande dem nicht verschließen, sondern mit dazu bei tragen, daß der Kampf nicht unnötig verschärft wird. Ur teile, wie sie in Plauen speziell in den letzten Jahren gefällt worden sind, spotten aller Beschreibung in dieser Be ziehung. Hütte man früher schon für einige Aufklärung gesorgt und wäre besorgt dafür gewesen, daß man den Wert der Impfungen auch praktisch erweisen konnte, dann hätte sich die Gegenbewegung nicht so bemerkbar gemacht. Man wird doch nicht elwa behaupten wollen, daß alle die Anklagen der Jmpfgegner bezüglich gesund heitlicher Schädigungen und Todesfälle, die zu ver zeichnen sind, erfunden sind, ini Gegenteil, wir haben in den letzten Tagen erst wieder Material zugefertigt erhalten, woraus klar ersichtlich und auch von Medizinern bestätigt wird, daß manche Gesundheitsschädigungen auf die Impfungen zurückzuführen sind. Also hier ist ein Widerspruch, wie er nach meinem Dafürhalten gar nicht größer sein kann. Das alles gibt nach meinem Dafür halten Anlaß, die Frage zu prüfen, ob man künftig den Zustand, wie er gegenwärtig ist, auf die Dauer auf rechterhalten kann. Pch behalte mir vor, wenn zu der erwähnten Petition der Jmpfgegner der An trag des Prüfungsausschusses verhandelt wird, noch ein mal auf die Frage zurückzukommen. Bis dahin sollte aber die Regierung Sachsens dafür besorgt sein, daß der Kampf nicht unnötig verschärft wird, daß, wenn Übertretungen gegen das Jmpfgesetz vorkommen, nicht Strafen von 150 und 200 M. verhängt werden. Die Regierung sollte vielmehr für weitestgehende Auf klärung sorgen und erwägen, ob nicht doch eine gründliche Reform des Reichsimpfgefetzes vorzunehmen ist und Sachsen den Anstoß dazn geben soll, daß die Reichs- behördcn sich einmal ernstlich mit dieser Frage be schäftigen. ' b. d. Minderh. d. Soz. u. Komm.) Einzelne Gemeinden, z. B. die Gemeinde Freital, haben bereits die gemeind liche Geburtshilfe eingeführt. Wenn die schon dazu gekommen sind, die Hebammen anzustellen, so muß doch schon eine dringende Notwendigkeit dazu vorgelegen haben. Die Verstaatlichung der Hebammen liegt nicht allein im Interesse der Besserstellung der Hebammen, sondern vor alleni im Interesse des Allgemeinwohles der Be völkerung. Deshalb werden wir auch dem Minderheits« antrag auf Drucksache Nr. 1390 zustimmen. Ministerialrat v. Brescius: Meine sehr geehrten Damen und Herren I Der Antrag Arzt u. Gen., der die unentgeltliche Geburtshilfe vorsah, ist seinerzeit der Re gierung überwiesen worden. Auf Grund dieses An trages hat auch die Regierung in ihrem Schoße einen entsprechenden Entwurf über die Verbeamtung der Hebammen ausgearbeitet. Inzwischen kam die Inflation, der allgemeine Verfall, und das Gesamtministerium beschloß, diesen Antrag nicht weiter zu verfolgen, ins besondere, da auch inzwischen das Bcamtensperrgesetz gekommen war und der Abbau der Beamten. Es er schien absolut untunlich, zn einer Zeit, wo Beamte mit allen Rechten akgebaut werden mußten, in Sachsen 150 neue Beamtenstellen zu schaffen. Aus dem Grunde ist der Antrag bisher nicht weiter verfolgt worden Die Regierung glaubt, daß auch zurzeit die Ver hältnisse nicht soweit fortgeschritten sind, daß jetzt der Verbeamtung der Hebammen nühergetreten werden kann. Sie wissen, daß man versucht, die Verhältnisse der Hebammen auf andere Weise zn bessern, daß man nämlich das Mindesteinkommen und die Rnhestands- unterstützung gegen früher ganz erheblich vermehrt hat. Es darf gebeten werden, daß der Minderheitsantrag, niit dem sich die Regierung nicht einverstanden erklären kann, nicht angenommen wird Nach kurzem Schlußwort des Berichterstatters Abg. vr. Schmincke, der erstaunt ist, daß die Regierung der Verstaatlichung der Hebammen heute noch nicht näher treten will, werden die Ausschußanträge einstimmig an genommen, der Minderheitsantrag Or Schmincke ab gelehnt. Punkt 8: Zweite Beratung über Kap. 35 (Reichs- Versicherung und Reichsversorgung) der ordent lichen Staatshaushaltplans für das Rechnungsjahr 1925. (Mündlicher Bericht des Haushaltausschusses Druck sache Nr. 1444.) Berichterstatter Abg. Hagen (Mehrh. d. Soz.) be- antragt namens des Ausschusses: 1. bei Kap. 35 des ordentlichen Staatshaushaltplans für das Rechnungsjahr 1925 — Abt. 8 — an Stelle von „2 Direktoren 8 2 nnd 3 Direktoren X XII" zu setzen „1 Direktor - Dresden — XIII, 2 Direktoren — Leipzig, Chemnitz-82 und 2 Direk toren ^XII", im übrigen aber die Einstellungen im Kap. 35 und 8 nach der Vorlage zu ge nehmigen; 2. die Eingabe Nr. 1998 (Prüfungsausschuß) der Direktoren der sächsischen Oberversicherungsämter und Bersorgungsgerichte — Dresden — durch die Einstellung für erledigt zu erklären. Abg. Vörner (Dtschnat.) beantragt, um Dresden und Leipzig in der Besoldung gleichzustellen: in Drucksache Nr. 1444 unter 1 zu setzen statt „1 Direk tor Dresden XIII" „2 Direktoren Dresden und Leipzig XIII" und statt „2 Direktoren Leipzig und Chemnitz 8 II" „1 Direktor Chemnitz 8II und 2 Direk toren X XII." Abg. Renner (Komm.): Wir werden das nicht mit machen, wir sind nicht gewillt, Gehälter für Direktoren zu bewilligen. Wir werden aber immer bereit sein, die Geldmittel zn bewilligen, die notwendig sind zur Er haltung der arbeitsunfähigen Leute. Wir beantragen deshalb, über die Herauffe! uug der Direktorengehälter besonders abzustimmen. Abg. Lchnirch (Mehrh. d. Soz.): Wenn es nach uns ginge nnd diese Besoldung erträglich und möglich wäre, würden wir beantragen, daß sämtliche Direktoren nach XIII und vielleicht nach außerhalb der ganzen Be- soldungsordnung gestellt würden auf eine Stufe, welche man in der Besoldungsordnung nicht kennt, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil wir erkannt haben; daß die Tätigkeit der Herren dort jedenfalls sehr um fangreich ist. Warum haben wir aber im Beamten besoldungsausschuß die Frage seinerzeit abgelehut? Es wurde uns dort nachgewiesen, daß man von reichswegen einen Einspruch zu gewärtigen hätte; außerdem aber wurde erklärt, daß man vorher erst sich dazu entschlossen habe, einen Herrn nach 8 2 zu nehmen und damit glaubte, die Bahn für die künftige Ausrückung freizu bekommen. Wenn wir im Haushaltausschnß entgegen der Meinung des Besoldungsausschusses dazu kamen, den Dresdner Herren narb X 13 zu nehmen, so liegt hierin zunächst nur die Tatsache bestätigt, daß man glaubt, daß gerade im Versorgnugsamt Dresden die größere Arbeit zu erledigen ist, nnd daß man weiter glaubte, daß dann die Möglichkeit gegeben sei, bei den nächsten Etats schließlich auch die anderen Herren mit nachziehen zu können. Der Einwand des Herrn Abg.