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727 ÄMKÜU M AWm AMUitng Nl. 160. zu Nr. 143 d«r HauPtblrtteS. 1924. Beauftragt mit der Herausgabe» RegterungSrat Brauße in Dresden. Landtagsverhandlungen. (Fortsetzung der -8. Sitzung von Donnerstag, den IS. Juni.) Berichterstatter Abg. Böttcher (Kom): Das gesündeste und humanste Prinzip in der Taubstummenerziehung ist natürlich da» Priiizip der Dezentralisation. Meine Partei hat schon im Ausschuß darauf hingewiesen, daß wir auf diesen Grundsätzen, insbesondere in der Er ziehung der geschädigten Kinder, stehen. Wenn meine Partei davon abgesehen hat, einen konkreten Antrag auf Beibehaltung der Dezentralisation in der Taub stummenerziehung zu stellen, so aus dem einen Grunde, weil tatsächlich die Leipziger Anstalt ganz zweifellos hinsichtlich der Jnternatseinrichtunaen den übrigen An- statten in Sachsen überlegen ist. Es kommt aber noch eine andere Frage hinzu, und das ist die Abnahme der taubstummen Kinder. Es kommen von Jahr zu Jahr weniger Kinder für die Taubstummenerziehung in Frage, so daß natürlich die Frage der Einrichtung der Taubstummenerziehung von Staats wegen bald — überhaupt neu geregelt werden muß, wobei dann den Wünschen Rechnung getragen werden kann, die berech tigterweise sowohl seitens der Angehörigen der Taub stummen wie auch der Taubstummen selbst in dieser Frage vorgetragen worden sind. Ministerialdirektor Dr. Woelter: Meine Damen und Herren! In einer Angelegenheit, die so tief in die Interessen einer schwer geschädigten Menschenklasse ein- greift, können natürlich die finanziellen Gesichtspunkte nicht allein maßgebend sein. Aber die Regierung kann nicht an der Tatsache vorübcrgehen, daß in der ganz modern ausgestatteten Leipziger Anstalt 165 Plätze für Interne frei sind, und Fräulein vr. Hertwig hat schon ausgefichrt, daß diese Anstalt so ausgezeichnet eingerichtet ist — sie ist in einer Zeit entstanden, wo man noch großzügig sein konnte in der Einrichtung solcher An stalten —, daß die Dresdner Taubstummen es nicht als eine Beeinträchtigung ihrer Behaglichkeit und ihres Wohlbefindens empfinden können, wenn sie in die Leip ziger Anstalt übersiedeln müssen. Im Gegenteil, es ist mit Sicherheit zu erwarten, daß die Taubstummen sich sehr bald in der neuen schönen Anstalt wohlfühlen und sich eingerichtet haben werden. Selbstverständlich müssen iich" die' Angehörigen damit abfindcn, daß sie etwas weiter nach Leipzig zu fahren haben als nach Dresden, wenigstens ein Teil der Angehörigen. Ich glaube aber, die Angehörigen werden das sehr gern mit in Kauf nehmen, wenn sie erst einmal gesehen haben, wie gut ihre Taubstummen in Leipzig untergebracht sind. Die Tagesschule der Taubstummenanstalt soll in Dresden bleiben. Es ist zu erwarten, daß sie auch in der nötigen Weise ausgebaut bleiben kann. Dagegen ist die Regierung noch nicht zu einer endgültigen Ent schließung gekommen, und insoweit möchte ich die Aus führungen von Fräulein vr. Hertwig richtigstellen, so weit die Verlegung der Schwerhörigenschule in Frage kommt. Hier liegt die Frage nicht so glatt und ein fach, denn die Schwerhörigenschule ist auch hier in Dresden sehr gut untergebracht im Gegensatz zu der Taubstummenanstalt, wo ja verschiedene Mängel ohne weiteres sichtbar find. Es werden gegen die Verlegung der Schwerhörigenschule nach Leipzig auch pädagogische Bedenken geltend gemacht. Es wird vorgebracht, daß eS nicht ratsam sei, Schwerhörige und Taubstumme in einer und derselben Anstalt unterzubringen, weil die Schwerhörigen auf diese Weise sich an die Gebärden sprache der Taubstummen gewöhnten, während sie er zogen werden sollten, zu sprechen und die Sprache ab zulesen. Diese Auffassung hat auch ihre Gegner, aber jedenfalls werden diese pädagogischen Bedenken sehr eingehend erwogen werden müssen, und wenn man auf eine Verlegung der Schwerhörigenschule nach Leipzig zukommen sollte, so wäre die Voraussetzung wohl, daß eine völlige Trennung von Taubstummen und Schwerhörigen in Leipzig sich durchführen ließe. Ob das möglich sein würde und mit welchem Kosten aufwande und ob dieser Kostenaufwand dann eine Ver legung — rein finanziell gedacht — überhaupt zulassen würde, darüber sind die Erwägungen noch nicht ab geschlossen. Herrn Abgeordneten Weckel möchte ich zusagcn, daß seine Anregungen, höhere Abteilungen einzurichtcn und vor allen Dingen dafür Vorsorge zu wessen, daß es den Taubstummen nach ihrer Entlassung aus der An stalt möglichst erleichtert wird, Arbeitsgelegenheit zu finden, sorgfältig geprüft werden sollen. Hierauf wird der Antrag Nr. 855 einstimmig ange nommen. Nächster Punkt der Tagesordnung: Zweite Beratung über Kap. 12 (Münze), 75 (Großer Garten und sonstige staatliche Gartenanlagen in Dresden), 76 (Forstliche Hochschule zu Tharandt), 78 (Alters- und Landeskulturrentenbank), 82 Al- brechtSburg in Meißen), 87 (Gebäude- und Ma- fchinenversicherung) de- ordentlichen Staatshaus haltsplans für 1924. (Mündlicher Bericht des Haus- hattauSschusseS 8, Drucksache Nr. 859.) Auf Berichterstattung wird verzichtet. Abg. Börner (Dtschnat.) bittet bei Beratung des Kap. 78, AlterSrerrtenbank, die Anfrage seiner Fraktion, Drucksache Nr. 813, mit zu erledigen, welche lautet: Nach 8 1 unter (») 10 der dritten Steuernotver- ordnung vom 14. Februar werden auch Ansprüche der Versicherten aus Lebensversicherungsverträgen aufgewertet, worunter nach 8 8 dieser Verordnung Altersversicherungen, also auch die mit der sächsischen Altersrentenbank (Kap. 78 des Haushaltplans) abge schlossenen Versicherungsverträge fallen. Die zahl reichen daselbst Versicherten befinden sich in großer Not und fallen vielfach der Armenpflege anheim. Ist die Staatsregierung bereit, eine Aufwertung dieser Altersrentenanfprüche vorzunehmen, und ent sprechende Mittel in den HauShaltplan einzustellen? Ainanzminister Dr. Reinhold: Meine Damen und Herren! Ich bin bereit, dem Wunsche des Herrn Abge ordneten Börner zu entsprechen und eine Erklärung über die Altersrentenbank abzugeben. Die Negierung hat die Notlage der Versicherten schon lange erkannt und ist schon lange darauf bedacht gewesen, dieser Notlage abzuhelfen. ES mußten aber erst die gesetzlichen Bestimmungen abgewartet werden, wie eine Aufwertung dieser Versicherungsanfprüche zu erfolgen hatte. Die Negierung hat bereits seit der Zeit der Inflation der Regelung der Ansprüche der Versicherten gegen die staatliche Altersrentenbank die größte Aufmerksamkeit zugewandt. Nach der Dritten Steuernotverordnung vom 14. Februar 1924 § 8 sind diese Ansprüche in der Weise aufzuwerten, daß das nach Maßgabe der ge nannten Steuernotverordnung aufgewertete Aktiv-Ver mögen der Altersrentenbank nebst einem aus dem son- stigen Vermögen des Schuldners zu leistenden Beitrage nach näherer Bestimmung der Reichsregierung einem Treuhänder zu überweisen ist. Tiefer Treuhänder hat dann den ihm überwiesenen Betrag nach Abzug von Verwaltungskosten zugunsten der Versicherten nach einem von der Aufsichtsbehörde genehmigten Teilungsplane zu verwenden. Diese näheren Bestimmungen der Reichsregicrung sind bisher noch nicht erlassen. Tie Altersrentenbank hat indes die Vorarbeiten zur Feststellung des Gold werts des Aktiv-Vermögens und des Goldwerts der Verpflichtungen bereits seit längerer Zeit in Angrist genommen und ist darin weit vorgeschritten. Es ist beabsichtigt, das Verwögen der Altersrentenbank, auch soweit es nicht zum Teckungskapttale der Renten und Nentenanwartschasten gehören würde, zugunsten der Versicherten zu verwenden. Ein weiterer Beitrag ans sonstigem Vermögen des Schuldners kann daher nicht in Frage kommen, da die Altersrentenbank als selb ständige juristische Persönlichkeit anzusehen ist und ihr Vermögen restlos zur Verfügung gestellt werden soll. In welcher Höhe die Versicherungsansprüche aufge wertet werden können und in welcher Weise die Re gelung erfolgt — Rentenzahlung oder Kapitalabfindung — kann heute noch nicht voll überblickt werden. Nur so viel ist leider schon zu sagen, daß die Aufwertung, wenn sie nach den reichsgesetzlichen Vorschriften erfolgen würde, nur sehr gerinfügige Beträge für die einzelnen Altersrentner ergeben könnte. Unter diesen Umständen wird, sobald die erforderlichen zahlenmäßigen Unter lagen vorliegen, Entschließung darüber zu treffen sein, ob der Staat der Altersrentenbank einen Beitrag zur Aufwertung der Renten im ordentlichen Haushalt zur Verfügung stellen kann. Das Finanzministerium ist seinerseits in Ansehung der Notlage der Rentner und Versicherten bereit, Ihnen eine mäßige prozentuale Aufwertung der Altersrenten unter Festsetzung eines Mindestrentcnbetrags in Vorschlag zu bringen. Tie An forderung der Mittel dafür müßte, da Kap. 78 des vor- liegenden Haushalts 1924 solche hierfür nicht vorsieht, in einer Sondervorlage oder in einem Nachtragsbaus- hattsplan erfolgen. Hieraus werden die Einstellungen der zur Beratung stehenden Etatkapitel einstimmig nach der Vorlage ge nehmigt. Nächster Punkt der Tagesordnung: Zweite Be ratung über Kap. 32 (Gefamtministerium und Staatskanzlei, Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten und Vertretung Sachsens), 59o (StaatSbauschulen zu Dresden, Leipzig, Plauen und Zittau), 66 (Eichwesen), 69 (Statistisches Landesamt), 59» (Gewerbeakademie, Bauschule, Maschinenbauschule, Färbereischule und Ge- werbelehrerbildungSanstalt in Chemnitz) des ordentlichen Staatshaushaltsplans für 1924. (Antrag deS Haushaltausschusses Drucksache Nr. 860.) Ohne Berichterstattung und Aussprache werden die Einstellungen gegen 3 Stimmen nach der Vorlage ge- nehmigt, bei Kap. 32 mit der Änderung, daß in Tit. 2 statt „3 Regierungsamtmänner IX- zu setzen ist „3 RegierungSamtmänner (ObcrkasseninspektorenX IX)-. Weiter wird gegen 3 Stimmen beschlossen, die zu Kap. 59» eingegangene Eingabe deS Bundes Sächsischer Staatsbeamten, Höherstufung von Beamtenstellen betr., auf sich beruhen zu lassen. Der nächste Punkt: Zweite Beratung über Kap.38 (Justizministerium), 39 (Oberlandesgericht und Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht), 40 (Landgerichte, Amtsgerichte, Staatsanwalt schaften und Gefangenenanstalten), 41 (Allge meine und unvorhergesehene Ausgaben im Ge schäftsbereiche des Justizministeriums) des ordent lichen Staatshaushaltsplans für 1924 und über die Vorlage Nr. 132, den Bau eines Beamtenwohn hauses in Waldheim betr., sowie über eine zu Kap. 38 vorliegende Eingabe. (Mündlicher Bericht des Haushaltausschusses Drucksache Nr. 861) wird von der Tagesordnung abgesetzt. Zum nächsten Punkte: Zweite Beratung über Kap. 50 des ordentlichen Staatshaushaltsplans für 1924, Frauenkliniken zu Dresden und Chemnitz und Krankenstift zu Zwickau betr. (Mündlicher Bericht des Haushaltausschusses Drucksache Nr. 862) wird ohne Berichterstattung und Aussprache einstimmig be schlossen, 1. die Einstellungen nach der Vorlage zu ge nehmigen, 2. die Regierung zu ersuchen, in eine Prüfung darüber einzutreten, ob eine Verminderung der täglichen Dienstzeit der Hebammenschüler- iunen ohne Verlängerung der Gesamtlehrzeit möglich ist. Nächster Punkt: Zweite Beratung über Kap. 2 (Tomänenverwaltung), 14 (Staatliches Fern heiz- und Elektrizitätswerk zu Dresden), 17 (Landeslotterie), 74 (Verwaltung der Staats schulden), 86 (Allgemeine und unvorhergesehene Ausgaben im Geschäftsbereiche des Finanz ministeriums) des ordentlichen Staatshaushaltsplans für 1924 sowie über Tit. 12 (Darlehen an die Säch sische FIughäfcn-Betriebsgesellschaft m. b. H. in Dresden) des außerordentlichen Staatshaushaltsplans für 1924. (Mündlicher Bericht des Haushaltausschusses 8, Druck sache Nr. 868.) Nach kurzen Berichten der Berichterstatter werden die Einstellungen der in Frage stehenden Kapitel ohne Aussprache einstimmig nach der Vorlage genehmigt. Zum nächsten Punkte: Zweite Beratung über Kap. 60 des ordentlichen Staatshaushaltsplans sür 1924, Arbeitswesen und Arbeiterschutz sowie Handel, Gewerbe und Landwirtschaft im all gemeinen betr., fowie über den Antrag des Abg. Bertz u. Gen., Drucksache Nr. 300, nebst Eingaben. (Mündlicher Bericht des Haushaltausschusses .4, Truck sache Nr. 869) wird nach kurzem Berichte ohne Aus sprache einstimmig beschlossen, Ter Landtag wolle beschließen: I. die Einstellungen des Kap. 60 Abteilungen 8, 6 nach der Vorlage zu genehmigen; 2. den Antrag des Abg. Bertz u. Grn., betr. Ge währung von Darlehen an die Arbeiter-, An gestellten- und Beamtenkonsumvereine (Druck sache Nr. 300), nebst Eingaben auf fick beruhen zu lassen; 3. den Antrag der Abgg. Claus und Voigl: die Regierung zu ersuchen, Maßnahmen zu treffen» damit der Landwirtschaft geeignete Arbeitskräfte in genügender Zahl ei hatten und zugesührt werden, anzunehmen. Weiter werden in Erledigung des nächsten Punktes der Tagesordnung die Einstellungen in Kap. 61, Landespferdezucht, ohne Bericht und Aussprache einstimmig nach der Vorlage genehmigt. In Erledigung des nächsten Punktes der Tages ordnung wird ohne Bericht und Aussprache in zweiter Beratung die Notverordnung vom 31. März 1924 (Vor lage Nr. 128 unter Nr. 7), betr. Änderung des Ge setze- über die Zugtiersteuer, GBl. S. 232. (Münd licher Bericht des Rechtsausschusses, Drucksache Nr. 863.) gegen 3 Stimmen genehmigt. Nächster Punkt: Erste Beratung über den Antrag der Abgg. Schreiber, Pagenstecher u. Gen., die Auf hebung der Zugtiersteuer und die Aufbringung der für Wegebauzweckc erforderlichen Mittel betr. (Drucksache Nr. 853.) Der Antrag lautet: Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu ersuchen, ») die Zugticrsteuer aufzuheben, weil sie den Be stimmungen in Z 15 deS Finanzau-gleichs- 0»setze- widerspricht;