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8MMW W ZiNtzeitmg 158. zu Nr. 141 des Hauptblattes. 1924. Beauftragt mit der Herausgabe: Regierung-rat Brauße in Dresden. L»»dt«ßs»erh»ndli««st«. »8. Sitzung. Danner-tag, de« 19. J««i 1924. Präsident Winkler eröfsiret die Sitzung 1 Uhr 13 Minuten nachmittags. Am Aegierungstisch Ministerpräsident Heldt, die Minister.«ünger, Müller-Chemnitz, Müller-Leipzig, vr. Reinhold und Regierungsvertreter. Auf Antrag des Abg. Wirth (Soz.) und aus Vor schlag de- Landtagsvorstandes wird Punkt 20 der Tagesordnung an erster Stelle beraten: Zweite Be ratung über die Anträge deS Abg. Bertz u. Gen. (Druck sachen Nr. 800, 804, 814 und 832), die Bergarberter- auSsperrung betr. (Mündlicher Bericht deS Hau-- haltausschusses 8, Drucksache Nr. 871. — Bgl. Landlags beilage Nr. 155.) Die Mehrheit beantragt; Der Landtag wolle beschließen: 1. die Anträge Nr. 800, 804, 814 und 832 nach den Erklärungen der Ctaatsrcgierung für er ledigt zu erklären; 2. die Sächsische Staatsregierung zu ersuchen: a) durch Verhandlungen mit der A.-G. Säch sische Werke darauf hinzuwirken, das; in den Sohlenwerken, wo der sächsische Staat mit Aktienmehrheit beteiligt ist, die Arbeit aus genommen werden kann; b) den Gemeinden zur Unterstützung der in Not geratenen Bevölkerungsschichten der Bergbaureviere finanzielle Beihilfen zur Verfügung zu stellen. Die kommunistische Minderheit beantragt: Der Landtag wolle beschließen: 1. die Regierung wird beauftragt, zur Unter- stütznng der. ausgesperrten und streikenden Bergarbeiter den zuständtaen Gemeinden eine Summe von 1 Million Mark zur Verfügung zu stellen. Diese Gelder sind unter Kontrolle der am Kampfe beteiligten Organisationen zur Ver teilung zu bringen.; 9. die Arbeitszeit im staatlichen Kohlenbergwerk Zauckerode beträgt unter Tage 7 Stunden und über Tage 8 Stunden. Die Löhne werden im Einvrrständnis mit der Arbeiterschaft in der von dieser beantragten Höhe festgesetzt. Maßregelungen dürfen auSAnlaß desKampfeS nicht stattsinden.; 3. die Regierung wird beauftragt a) alle Bergbaubetriebe, die sich in den Händen Privater befinden, zu bdschlagnahmen, d) durch Bewilligung der Forderungen der Arbeiter auch in diesen Betrieben dafür zu sorgen, daß die Produktion sofort wieder ausgenommen wird. Berichterstatter Abg. Granz (Kom.): Der Ausschuß 8 hat sich mit den Anträgen Nr. 800, 804, 814 und 832 eingehend befaßt. Die ersten beiden Anträge sind schon am 8. Mai eingckeicht worden, einer am 15. Mai und einer am 27. Mai. Es hat also lange gedauert, bis sich der Ausschuß 8 und der Landtag hcrbeigclasscn haben, die Anträge zu erledigen. Die bürgerlichen Parteien lehnten jede Bereitwilligkeit ab, sich mit den Anträgen zu befreunden, sie stellten sich vielmehr auf den Stand punkt, daß es nicht angängig sei, daß sich der Landtag mit den Anträgen befaßte. Der Abg. 8r. Eckardt wies darauf hin, daß die Löhne der Bergarbeiter schon reich lich hoch seien. (Widerspruchrechts.) DerTurchschnittslohn im Jahre 1914 sei 4,40 M. gewesen, im Jahre 1924 dagegen 4,50 M. (Abg. Schreiber: So hat es Dr. Eckardt nicht gesagt!) Weiter erklärte Herr Abg. vr. Eckardt, daß von 1914 bi- jetzt die Löhne der Bergarbeiter um 18 Proz. gestiegen seien. Dagegen kann festgesteüt werden, daß der Durchschnittslohn der Bergarbeiter im Jahre 1913 von dem Handelskammergericht in Plauen mit 4,82 M. festgestellt wurde. Ebenso betrug der Durchschnittslohn beim „Gottes Segen-Schacht" im Jahre 1914 4,60 M. Ich weiß nicht, wo Herr Abg. I)r Eckardt seine Berechnungen hergenommen hat, die er im Ausschuß vorgetragen hat, auf Grund deren er sagt, daß der Durchschnittslohn der Bergarbeiter seit 1914 um 18 Proz. gestiegen sei. Der Ministerialrat Haack erklärte, daß sich die Regierung alle erdenkliche Mühe gegeben hätte, mit den Bergarbeitern und dem Bergbaulichen Verein zu einer Verständigung zu kommen. Ter Bergbauliche Verein hatte allerdings jede Ver ständigung abgelehnt. Interessant war cs, daß der Direktor Albert erklärte, auf den Schächten in Zaucke rode seien die Bergarbeiter Opitz, Rüdiger u. Gen. ge werbsmäßige Hetzer (Hört, hört! beidcnKom.); die Be legschaft in Zauckerode sei erst durch Drohungen in den Streik getrieben worden. Er stellte weiter fest, daß 800 Arbeiter sofort in den Streik getreten wären und SOO Arbeiter zum Streik gezwungen worden seien. Weiter erklärte er, die Arbeiter hätten erklärt, wenn sie wieder in die Betriebe hinein müßten, dann würden sie sich später an Rüdiger, Opitz u. Gen. rächen. Dem gegenüber stellte der Abg. Menke (B. S P. D) fest, daß es ein Skandal sei, daß ein Sozialdemokrat nicht davor zurückschrccke, feine eigenen Parteigenossen so zu be schmutzen. (Abg. Siewert: Albert schillert in allen Farben!) ES scheint eine sehr dunkle Geschichte mit Direktor Albert zu sein. ES wurde auch zum Ausdruck gebracht, daß die Ausführungen des Herrn Direktor Albert Spitzelarbeit seien. Weiter erklärte Herr Direktor Albert, daß die Hipo nicht wegen der Bergarbeiter in das Bergarbeitergebiet gesandt worden sei, sondern nur zum Schutze der dortigen Fluren. (Lachen links.) Auf die Anfrage wegen Maßregelung der Arbeiter gab er ohne weiteres zu, daß, wenn der Streik beendet sei, mehrere hundert Arbeiter gemaßregelt würden. Abg. Lieberasch stellte fest, daß die Regierung zum größten Teil im Besitze der Aktien sei. Es wäre daher sehr wohl möglich gewesen, daß das Finanzministerium eingcgriffen hätte, um den Bergarbeitcrkampf, die Bergarbeiteraussperrung zu vermeiden, wenn sie die Forderungen der Bergarbeiter erfüllt hätten. Schuld daran, daß es nicht so weit gekommen ist, sei die Generaldirektion, die hier Vollmachten habe und sich immer mehr zu einer arbeiterfeindlichen Dunkelkammer entwickle. Ter Profit fei groß genug in den Berg werken, uni die minimalen Forderungen der Berg arbeiter zu bewilligen. Ebenso sei nur der MachtwiUe der Bergbauunternehmer schuld, daß die Forderungen der Bergarbeiter nicht bewilligt würden, denn die Kosten der Aussperrung seien viel höher, als wenn die Bergbauunternehmer den Bergarbeitern ihre mini malen Forderungen bewilligt hätten. Ter Präsident macht die Tribüne darauf aufmerk sam, das; keine Zustimmungs- oder Mißsallenskund- zebungen erfolgen dürfen. Abg. Granz (sortfahrcnd): Vielleicht nimmt der Herr Präsident darauf Rücksicht, daß die Bergarbeiter, )ie auf der Tribüne sind, empört über dieses Vcr- jalten sind. Wer gegen die Siebenstundenfchicht ist, die zweifellos ür die Bergarbeiter eine ganz berechtigte Forderung st, dem möchten wir empfehlen, daß er einmal nur ein Vierteljahr tn den Bergbaubetrieb einfährt; vielleicht ist das die beste Medizin, sich dann für die Siebenstundenfchicht zu begeistern. Im Ausschuß wurde auch gesagt, daß der Friedens minimallohn erreicht fei. Tagegen stellte der sozial demokratische Abgeordnete Dennhardt fest, daß der Lohn erst 80 Proz. des FriedenSminünallohnes beträgt, daß dagegen die Preise 160 Proz. der Friedenspreise be tragen. Also auch hier wird ohne weiteres festgestellt, daß das Existenzminimum der Bergarbeiter mindestens um 50 Proz. schlechter ist als vor dem Kriege. Einige Beispiele über das Lohnverhältnis der Bergarbeiter! Im Deutschland-Konzern Olsnitz-Lugau, wozu fünf Schichten gehören, ist der Turchschnittslohn eines Häuers 3^0 bis 4 M. ES kommen Ausnahmefälle vor, wo 4-M. für die Schicht erzielt werden. In fechs Schichten sind dort 21 bis 24 M. in der Woche verdient worden. Tavon gehen aber eine Menge Ab züge ab, z. B. müssen die Bergarbeiter für das Benzin der Lampen sorgen, für Lampenauebesserung, ebenso für fehlendes Handwerkszeug. Man sicht hier, wie die Bergbauunternehmer sich an den geringen Löhnen der Bergarbeiter noch bereichern. Ebenso werden davon abgezogen: Steuern, Pension-- und Knappfchaftskranken- kaße. Wir haben Häuer, die mit mehreren Kindern 19 bis 20 M., ja sogar welche, die nur 18 M. Abschlag in der Woche bekommen. Ein Häuer mit 7 Kindern er hielt 23 M. pro Woche Abschlag. Förderleute im Alter von 19 bis 22 Jahren haben pro Woche für sechs Schichten nur 12 M. Abschlag erlitten. Und was wird da alles abgezogen! Für Kranken geld in einem Monat 5,58 M., Pensionskasse 6,17 M., Unterstützungskasse 2 M, Lampen 75 Pf. und Steuern 4,05 M. Tas sind die Ausgaben für einen Monat für einen Bergarbeiter, der mit seinen ganzen Schichten auf 105 M. im Monat kam. Wir sehen, daß das, was Herr Abg. vr. Eckardt im Haushaltausschuß 8 behauptet hat, daß der Turchschnitts lohn der Bergarbeiter 4,60 M. nach dem Protokoll be trägt, nicht im entferntesten -utrifft, sondern daß die Löhne der Bergarbeiter wesentlich niedriger sind, als er behauptet hat. Hier habe ich eine Anzahl Lohn bücher vom Zwickauer und vom Lugau-Olsnitzer Kohlen revier, die von denjenigen Abgeordneten, die an den von mir vorgetragenen Zahlen noch Zweifel hegen, eingesehen werden können: darin wird das bestätigt. Wie man cs verantworten will, daß den Bergarbeitern ein so niedriger Lohn gezahlt wird, ist mir geradezu rätselhaft. Tas AbstimmungSverhättnis im Ausschuß über die Anträge der Kommunistischen Fraktion war so, daß die bürgerlichen Parteien und die Sozialdemokraten ein schließlich der damaligen linken Sozialdemokraten — heute sind es ja keine mehr — die Anträge der Kom munistischen Fraktion ablchnten (Hört, hört! bei den Kom.), die dahin gingen, den Bergarbeitern 1 Million zu bewilligen, die durch die Gemeinden an die Berg arbeiter verteilt werden soll, und weiter, daß die Berg- bauuntcrnchmer aufgesordcrt werden, daß ihnen zur Pflicht gemacht wird, sofort die berechtigten Lohn- und Arbeitsbedingungen, die sie fordern, zu bewilligen. Die Sozialdemokraten stellten dann einen anderen Antrag, und zwar den unter Ziff. 2 des Mehrheitsantrags. Dieser Mehrheitsanirag ist natürlich eine Geste, weil die Sozialdemokraten ganz genau wissen, daß mit diesen Anträgen den Bergarbeitern gar nichts geholfen ist, denn wenn die sächsische Staatsregierung den Berg arbeitern Helsen wollte, hätte sie das schon längst tun können, da brauchte sie nicht erst durch einen Beschluß des Haushaltausschusses 8 daraus hingestoßen zu werden. Die bürgerlichen Parteien waren noch freundlicher gegenüber den Bergarbeitern, indem sie den Antrag unter Ziff. 1 des Mehrheitsantrags stellten. Tie Er klärungen der Staatsregierung nämlich waren überhaupt nichts; sie erklärte bloß: wir haben uns Mühe gegeben, aber es war nichts zu erreichen. Tie Kommunisten haben dann ihre Anträge, die sie im Haushaltausschuß 8 gestellt haben, als Minderheitsanträge aufrecht erhalten. Tiefe Minderheitsanträge empfehlen wir dem Landtag zur Annahme. Tie Bergarbeiteraussperrung verursacht der Volks wirtschaft viel größeren Schaden, als wenn die Unter nehmer sofort die Forderungen bewilligt hätten. Des halb ist es notwendig, das; die Anträge angenommen werden, damit die Regierung gezwungen wird, die Forderungen dec Bergarbeiter ohne weiteres zu be willigen. Ebenso ist es unbedingt notwendig, die 1 Million sofort zur Verfügung zu stellen. Es ist sehr gut möglich, die I Million zu bewilligen. Warum? Im Olsnitz-Lugauer, Zwickauer und auch im Zauckeroder Kohlenrevier sind eine Menge Sipo und Hipo unter gebracht, die viel Geld kostet, das man lieber für die Bergarbeiter als Unterstützung geben könne. Es muß in diesem Zusammenhänge weiter feftgestellt werden, daß sich jetzt auch emzelne Streikbrecher gefunden haben, die 12 Stunden pro Tag arbeiten, also 1^, Schicht. Tafür erhielten sie, als die Woche um war, sage und schreibe 18 M. Abschlag. Ta haben die Streikbrecher schnell wieder die Arbeit nieder gelegt. Sie sind also von den Bergbauunternehmern kuriert worden, weil diese auch mit ihnen keine Aus nahme machten und ihnen nicht den gebührenden Lohn zahlten. In Zauckerode sind allerdings einige Streik brecher bester behandelt worden; sie erhalten dort 40 M. Wochenlohn. Wenn die sächsische Regierung in Zaucke rode den Streikbrechern wöchentlich 40 M. zahlen kann, und die Arbeiter verlangen hier 2^M. Wochenlohn, so ist es unverständlich, daß sie den Bergarbeitern diese ge forderten Löhne nicht zahlt. Es ist ebenfalls feftgestellt, daß der Bergbauliche Verein in Zwickau und Olsnitz einen Druck auf die Kreishauptmannschast ausübt, daß die Gemeinden die bis jetzt an die Bergarbeiter ge zahlten Unterstützungen aufgeben. Es ist bezeichnend, daß sich sogar einzelne Gemeinden dazu herbeilassen, unter dem Truck des Bergbaulicl)en Vereins die Unter stützungen an die Bergarbeiter nicht mehr zu zahlen, aber dafür wird um so mehr Sipo und Hipo nach dem Olsnitzcr Kohlenrevier geschickt, die dort in der Stadt Olsnitz z. B. mitten in der Stadt stationiert ist, wo die Arbeiter von der Internationalen Arbeitcrhilfe ver pflegt werden, wo sie warmes Mittagesten bekommen, wo fast alle Tage Brot an die Bergarbeiter ausgegeben wird. Tort wird die Sipo und Hipo stationiert, um die Bergarbeiter zu provozieren und um das schon lange gewünschte Blutbad unter den Bergarbeitern her beizuführen. Tas ist eine so rigorose Maßnahme, daß die Regierung verpflichtet ist — und der Landtag muß das hier auSsprechcn —, diese Truppen sofort zurück zuziehen. Bezeichnend ist auch der Schiedsspruch, den die Bergarbeiter in allen Betrieben einstimmig abgelehnt haben. Wir empfehlen also die Annahme der MindcrheitS- anträge der Kommunistischen Fraktion, damit in erster Linie sofort die 1 Million den Gemeinden übermittelt wird und es den Bergarbeitern möglich ist, so lange im Kampfe auszuharren, bis ihre berechtigten Lohnforde rungen bewilligt sind. (Beifall bei den Kom) Bevor in der Beratung fortgciahren wird, wird auf Vorschlag des Landtag-Vorstandes die Vorlage Nr. 138 über den Entwurf eines Gesetzes, den Gcldentwertungs- ausglcich bei bebauten Grundstücken betr., dem Ncchts- ausschuß überwiesen. Abg. Anders (Tisch. Vp.): Ich möchte als Vorsitzen der des Ausschusses 8 fcststcllen, daß das, was wir jetzt vom Kollegen Granz gehört haben, durchaus nicht den Charakter eines zu erstattenden Berichtes eines Berichterstatters getragen hat, sondern daß das eine glatte Parteircde gewesen ist. (Sehr richtig!) Ich muß dagegen protestieren, das; auf solche Wxjse über Ausschußvcrhandlungcn und über Tinge berichtet wird, die überhaupt nicht im Ausschuß zur Sprache gekommen sind. (Sehr richtig!) Es sind eine ganze Reihe von Einzelheiten heute hier angeführt worden, die hätten in den Ausschuß gehört, dort hätten sie zur Sprache gebracht werden können, damit sie im Ausschuß glatt erledigt werden konnten. Tas ist nicht geschehen, son dern cs sind heute hier Sachen erörtert worden, ohne daß wir Gelegenheit gehabt haben, diese Sachen genauer nachzuprüscn. (Beifall.) Ministerpräsident Heldt: Meine sehr geehrten Tamen und Herren! Zu der jetzt zu behandelnden Angelegen heit möchte ich für die Gcfamtregicrung folgende Er klärung abgebcn. Nachdem die Verhandlungen für den Sächsischen Steinkohlenbergbau am 16. Mai 1924 im ReichsarbcrtS- ministerium in Berlin vertagt wurden, um den Parteien