Volltext Seite (XML)
MaMU W 2WW slNisztilmli Nk. 119. zu Nr. 13 des Hauptblattes. 1924, Beauftragt mit der HerauSgaber RegterungSrat Brauße in Dresden. Landtagsverhandlungen. (Fortsetzung der 7V.Sitzung von Freitag, den 4. Januar.) Letzter Punkt der Tagesordnung: Zweite Beratung über deu Antrag des Abg. Bertz u. Gen. auf Auf lösung des Landtags. (Mündlicher Bericht des Rechtsausschusses. Drucksache Nr. 653.) Berichterstatter Abg. Renner (Kom): Im Rechts- ausschuß erklärte der gewesene Ministerpräsident Fellisch im Auftrage der Regierung, daß es doch besser sei, vor der Abstimmung über die Auflösung deS Landtags die Anträge über dre Verminderung der Mitgliederzahl des Landtags zu erledigen. Die Regierung habe gegen eine solche Verminderung der Mitgliederzahl keine Einwen dungen zu machet». Herr Vizepräsident Bünger erklärte, daß seine Fraktion die Beratung dieser Anträge vor her gern gesehen hätte, daß er aber eine Entscheidung nicht hinausgezögcrt zu sehen wünsche. Der Herr Abg. Beutler schloß sich dieser Auffassung an, und auch Herr Abg Vr. Seyfert erklärte, daß man die Anträge über Herabsetzung der Mitgliederzahl des Landtags nicht anders behandeln dürfe wie andere Anträge. Der Rechtsausschuß empfiehlt dem Landtag gegen fünf Stimmen, unseren Antrag auf Auflösung anzunehmen. Die Vertreter der bürgerlichen Fraktionen erklärten, daß sie sich die endgültige Abstimmung für die Plenar sitzung des Landtags vorbehielten, und von der Sozial demokratischen Fraktion stimmte ein Teil für, ein Teil gegen die Auflösung des Landtags. Ich bitte, dem Be schlusse des Rechtsausschusses beizutreten. Als Abgeordneter möchte ich folgendes hinzufügen. Die Wahl des Ministerpräsidenten heute hat gezeigt, daß sehr wahrscheinlich die bürgerlichen Parteien — die Volkspartei und die Demokratische Partei — ihre Auf fassung über die Auflösung geändert haben, umgefallen sind und das Geschäft des Kuhhandels uni eine Minister- stelle der Auflösung des Landtages vorgezogen haben. Tie Herren von der Deutschen Bolkspartci und die Herren Demokraten haben gesehen, daß der Finanz- Minister Heldt, der sich so glänzend bewährt hat in der Ablehnung des Empfangs von Erwerbslosendemon strationen, in dem Hrnauswersen von Arbeitern aus Staatsbetrieben, in der Lohndrückerei, in der Ein schränkung der Rechte der Betriebsräte in den staat- lichcn Werken, in der Behandlung der Beamten und der Überweisung von ziemlich großen Vollmachten an die Direktoren der staatlichen Werke, der ausgesuchteste Mann für die große Koalition ist. Die bürgerlichen Parteien mögen von ihrem Standpunkt aus recht haben. Sie haben das getan, was wir von unserem Standpunkt — dem umgekehrten Standpunkt —aus eben falls machen würden. (Hört, hört!) Sie haben ein politisches Geschäft bei der Geschichte gemacht. Anders steht die Frage aber für die Sozialdemo kratische Partei. Bon der Sozialdemokratischen Partei haben für die große Koalition gestimmt der Flügel, der nach den vorliegenden Berichten über die Sitzungen der Bezirke der Sozialdemokratischen Partei keine Stimme mehr hinter sich hat. Es haben gestimmt für diese große Koalition jene Vertreter der Sozialdemo, kratiswen Partei, die bei der Abstimmung in Dresden von über 250 Stimmen nur 56 Stimmen auftreiben konnten, die in Freital eine einzige Stimme bekamen und die auch im Vogtlande nur 30 Stimmen erhalten haben. (Zuruf bei den Soz.: Und anderwärts?) Der einzige Bezirk, der sich für diese große Koalition ausgesprochen hat als Bersuchskarnickel, war der Bezirk Zittau. Der Bezirk Zwickau hat die große Koalition abgelehnt und hat auch die beiden Abgg. Schmrch und Schurig, die hier für die große Koalition eingetreten sind, als zukünftige Landtagskandidaten abgesägt. Es haben also für die große Koalition Leute gestimmt, die absolut nicht mehr das Vertrauen ihrer Parteigenossen, noch weniger das Vertrauen der Arbeiterschaft haben. Es handelt sich um eine Schiebung, die gemacht worden ist von einem Teil von Arbeiterverrätern, die ganz konsequent darauf Hinaussteuern, der Militärdiktatur das Arbeiten leicht zu machen. Es haben gestimmt für die Koalition Vertreter der Sozialdemokratischen Partei, die von ihren eigenen Parteigenossen schon seit Wochen ihrer Stellung als Bezirkssekretär enthoben sind. — Ich habe Sie gemeint, Herr Abg. Bethke. Das ganze Manöver dieser Vertreter der Sozialdemokratischen Partei beruht nur darauf, daß hinter ihnen nicht die Arbeiterschaft, sondern nur der Berliner Parteivorstand, der Fritz Ebert des Belagerungszustandes steht (Zu ruf bei den Dtschnat.: Stinnes nicht vergessen! — Heiterkeit.) Ohne die Möglichkeiten des Belagerungs zustandes, ohne die Eimchränkung der politischen Frei heiten wäre den sächsischen rechten Sozialdemokraten dieses Schieberstück sicherlich nicht gelungen. (Sehr richtig! bei den Kom) Sie wollen die Arbeiterschaft an die Kapitalisten ausliefern. (Abg. Bethke: Tas hat Koenen im Reichslage besser gemacht als Sie!) Meine bürgerlichen Damen und Herren von der großen Koalition! Mit dem Bündnis, das Sie mit den Sozialdemokraten geschlossen haben, haben Sie eine sehr schwache Position zusammengetrommelt. Ta haben Sie eine Anzahl von politischen Schiebern be kommen, aber Sie haben keinen Einfluß bekommen innerhalb des sächsischen Volke-, des sächsischen Prole tariat-. Da- säck fische Proletariat wird auf diese Koalition die Antwort geben, die sich gebührt, und ich denke, der Sozialdemokratische Parteitag wird die Ant wort qeben, die sich gehört. Auch die Erklärung der Linken der Sozialdemokrat tischen Frakrion zur großen Koalition ist etwas sehr lind gehalten; man wird nicht recht schlau, was die Abgeber der Erklärung wollen; wollen sie Opposition gegen den rechten Flügel (Abg. Ellrodt: Um Gottes willen!), wollen sie die Stellung der Partei, der sozialdemokratischen Mehrheit in Sachsen vertreten, oder wollen sie gegen dielen Schritt keine Oppo- sition machen oder möchten sie nur eine Disziplin frage aus der Geschichte machen? Gespräche draußen in den Mandelgängen lassen darauf schließen, daß ein Teil dieser Erklärer nicht einen Tisziplinbruch bei der Geschichte haben wollten. Tas zeigt, daß auch bei den linken Sozialdemokraten nicht genügend Festigkeit vor handen ist. Dieses ganze Manöver, dieses Übergehen in die Koalition, dieser schändliche Betrug an den sächsychen Arbeitern konnte nur deswegen geschehen, weil neben dem Mittel des Belagerungszustandes die Schwäche und Halbheit der linken Sozialdemokraten der rechten Hälfte der Partei die Möglichkeit zu diesem Vorstoß gegeben hat. (Bravo! bei den Kom) Abg. Bethke (Soz): Ich bin der Gegenstand der Ausführungen des Herrn Kollegen Renner geworden. Ich muß ihm erklären, ich habe aus meiner Auslassung zu der großen Koalition, solange ich im sächsischen poli tischen Leben, und zwar führend im sächsischen poli tischen Leben, stehe, nie ein Hehl gemacht. Ich habe diese meine Auffassung zu einer Zeit vertreten, als meine Parteifreunde es entschieden ablehnten, mit der Kommunistischen Partei eine Politik zu machen, und weil meine Parteifreunde, die mich auf meinen Posten gehoben haben (Abg. Granz: Sie haben Sie wieder heruntergelangt!), klar erkannten, daß mit der Partei des Herrn Renner unmöglich eine proletarische Politik getrieben werden kann, deshalb haben sie mich aus diesen Posten gestellt. Ich gebe zu, daß eine Wand lung in den letzten Jahren eingetreten ist, daß ein großer Teil meiner Parteifreunde der Auffassung ge wesen ist, mit der Kommunistischen Partei ließe sich praktisch arbeiten. Aber ich bin überzeugt, daß diese Einstellung heute bei einen, sehr großen Teile meiner Parteifreunde sich ins Gegenteil gewandelt hat, wie eine Urabstimmung ergeben würde. (Abg Böttcher: Der Schwanengesang eines abgesägten Parteisekretärs! >— Bravo! auf der Tribüne.) Auch die Tatsache, daß in einzelnen Bezirken heute noch mit Majorität be schlossen worden ist, eine große Koalition abzulehnen, gibt keine Gewähr dafür, wie die gesamte Partei zu diesem Problem steht (Abg. Böttcher: Lipinski hat einen ähnlichen Schwanengesang gesungen!) Diese Überzeugung hat die Mehrzahl meiner Parteifreunde in der Fraktion. Wir sind fest überzeugt, daß der Moment kommen wird, wo die Mehrzahl meiner Parteifreunde erkennt, daß dieser Schritt ein unbedingt notwendiger und im Interesse der gesamten Partei ver Sozialdemokratie gelegen ist. Von diesem Gesichts punkte aus gehen wir den Schritt, der uns durch das Handeln der Kommunisten ausgczwungen worden ist. (Lachen bei den Kom.) Der Antrag auf Auflösung wird hierauf gegen die Stimmen der Deutschnationalen, der Kommunisten und einer sozialdemokratischen Minderheit abgelehnt. (Schluß der Sitzung 6 Uhr 7 Min. nachm.) 8«. Sitzung. Dienstag, den 1». Januar 1924. Präsident Winkler eröffnet die Sitzung j1 Uhr 21 Minuten nachmittags. Am Regierungstisch Ministerpräsident Heldt mit sämtlichen neuen Ministern und einer Anzahl Regierungs- Vertretern. Auf Vorschlag des Landtagsvorstandes wird zunächst beschlossen, den neu eingegangenen Antrag Drucksache Nr. 658 des Abg. Bertz (Kom.) u. Gen, Mißtrauens- antrag gegen den Ministerpräsidenten Heldt, gemeinsam mit der Aussprache über die Regierungs- erklärung zu behandeln. Weiter teilt der Präsident den Eingang eines Schreibens des bisherigen ersten Vizepräsidenten Bünger (Dtsch. Bp.) mit, wonach dieser mit Rücksicht auf seine Ernennung zum Justizminister sein Amt als erster Vizepräsident des Landtags niederlegt. Hierauf wird in die Tagesordnung eingetreten: 1. Erklärung der Regierung. Während der Präsident dem Ministerpräsidenten Heldt das Wort erteilt und dieser sich zur Rednertribüne begibt, verlassen einige Mitglieder des linken Flügels der Sozialdemokratischen Fraktion den Sitzungssaal. Bon feiten der Kommunisten erfolgen lebhafte Zurufe, u. a.: Ter Bockjäger von Ullersdorf! In wessen Namen wird denn die Regierungserklärung abgegeben? Die Sozialdemokratie ist doch von der Regierung abgerückt! Mmifterpräfivenk -eldt: Mein« sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem ich mn 4. Januar diese- Jahrc- durch das Vertrauen des Landtags (Zuruf bei den Kom munisten: Was, durch das Vertrauen des Landtags? — Durch das Vertrauen des Generals Müller!) zum Mi nisterpräsidenten berufen worden bin, habe ich folgende Herren zu Ministern ernannt: zu meinen! Stellvertreter und zum Minister des Innern Herrn Landtagsabgeordneten Ma? Müller, zum Minister für Volksbildung Herrn Landtags abgeordneten Dr. Kaiser (Abg Schneller: Kaiserliche Volksbildung!), zum Justizminister Herrn Landtagsabgeordneten Bünger (Abg. Böttcher: Tie weiße Justiz kann wieder lachen! Die alte Klassenjustiz in Sachsen, sie lebe hoch! — Abg. 1>r. Kastner: Unter Zeigner ging es Euch besser! — Unruhe bei den Kommunisten ), zum Finanzminister Herrn Landtagsabgeordneten Dr. Reinhold. Herr Arbeitsminister Elsner ist auf seinem Posten verblieben. Bis zu der noch ausstehenden Ernennung eines Wiitschastsministers führe ich die Geschäfte des Wirtschaftsministeriums. (Abg. Böttcher: Eine solche Müllerei!) Sämtliche Minister haben der Reichs- und Landesverfassung Treue gelobt. (Abg. Schneller: Können wir das Protokoll darüber einsehen?) Tas erste Kabinett der Mitte, das zurzeit in Sachsen gebildet worden ist (Abg. Böttcher: Sie sind doch ein Kabinett der Rechten! — Abg. Ellrodt: Ein Lachkabinett!), 'st in Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse von den verschiedensten Seiten lebhaften Angriffen ausgesetzt ge wesen. Wie ist die Wirklichkeit? Nachdem durch die bekannten Vorgänge die sozia listische Minderheitslegierung meines Herrn Amtsvor gängers nicht mehr haltbar war, ist es zur Bildung der Wgenannten Großen Koalition gekommen. (Abg. Bött cher: Die formulieren aber vorsichtig!) Tie aus der Zwangsläufigkeit der Entwicklung ge bildete Regierung wird das ihrige dazu beitragen, daß die so begründete Arbeitsgemeinschaft länger Zusammen halten wird als die Regierungen der letzten Zeit. (Abg. Schneller: Na, gute Luft! — Abg. Siewert: Sie sind aber ein Prophet! — Abg. Ellrodt: Tas werden wir Euch aber elend versalzen!) Allerdings wird der Versuch gemacht, den Bestand der Regierung dadurch in Frage zu stellen, daß die Auflistung des Landtags und Neuwahlen im Wege des Volksbegehrens betrieben werden. Tie Regierung wird hierbei pflichtgemäß nach den gesetzlichen Bestimmuneen ve>schien. Landtag und Regierung werden sich aber während des Verfahrens darüber schlüssig zu machen haben, ob und in welchem Umfange noch vor den Neu wahlen die von mehreren Seiten angeregte Verringe- ung der Abgeordnetenzahl durch verfassungsänderndes Geiey durchgeführt und außerdem die Veränderungen des Wahlrechts übernommen werden sollen, die für die Reichstagswahlen teils eingeführt, teils geplant sind. Dabei vertu-nt auch der Gedanke, durch Verkleinerung der Wahlkreise ein engeres persönliches Verhältnis des Abgeordneten zu seinen Wählern anzuftreben, sorgsamste Prüfung. In dem gegenwärtigen Kabinett sind zum ersten mal die Vertreter aller Parteien zusammengefaßt, die aus dem Boden der republikanischen Verfassung stehen. (Zuruf der den Kommunistin: Hört, Hörl! Welcher Re publik denn, und welcher Verfassung denn? Des Artikel 48?) Tarin liegt eine sichere Gewähr dafür, daß die verfassungsmäßigen Einrichtungen des Freistaates Sachsen ^Abg. Schneller: Im Interesse der herrschenden Klaffe angewenvct werden!) von ihm peinlichst gewahrt und geschützt w«rden. Zugleich darf gehofft werben, daß es durch die gemeinschaftliche Arbeit aller der wirtschaft lichen Kreise, die in Mitgliedern des Kabinetts ihre Vertreter sehen, gelingen wird, die wirtschafiliche Not unseics Vo-kes und vor allem der Ärmsten unter ihnen m wzialem Geiste so wert zu lindern (Abg. Schneller: Nachdem Ihr sie hmausgeworfen habt!), als es ange sichts der gegenwärtigen Lage menschlichen Kräften überhaupt möglich ist. (Abg. Böttcher: Herr Minister- präsid.nt, rufen Sie doch erst einmal Ihre Fraktion herein!) Bei der finanziellen Abhängigkeit der Länder vom Reich kann die Rot vielfach nur mit Hilfe des Reichs gelindert werden. Tie sächsische Regierung muß Wert darauf legen, daß die komplizierten Wirtschaftsverhältmsse und die besonders große Erwerbs losigkeit in Sachsen von der Reichsregierung in beson derem Maße gewürdigt werden. Sie glaubt, dieses Ziel besser durch mündliche Verhandlungen erreichen zu kör nen als durch einen Federkrieg (Sehr richtig! bei den Demokraten.), zumal wenn der Landtag sie hierbei tatkräftig unterstützt (Sehr gut! und Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.) Daß die Förderung der Sozialfürsorge im Rahmen der Rcichsgesetzgebung unser Bestreben sein wird, sei besonders unterstrichen. (Zuruf bei den Kommunisten: Mit den Gummiknüttel!) Den Opfern der Wirtschafls- krise werden wir versuchen, durch tatkräftige Hilfe, ins besondere durch Beschaffung von Krediten und von Ar beitsmöglichkeit — Belebung des Baumarktes usw. — Erleichterung zu bringen. (Sehr gut! bei den Regierungs parteien.) Mit Erfolg kann das freilich nur durchgeführt werden, wenn besonders die leistungsfähigen Bevölke- rungSschichten in sozialem Geiste Mitwirken (Sehr gut! bei den Regierungsparteien. — Zurufe bei den Kom munisten, unter anderem: 70 Piozent Deutsche in Schweizer Hotels!) Diesen zu pflegen, wird Ausgabe der Regierung sein. Den fortschrittlichen Ausbau der Landesgesetzgebung