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Sächsische Staatszeitung : 29.06.1931
- Erscheinungsdatum
- 1931-06-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480732469-193106290
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480732469-19310629
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-480732469-19310629
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Staatszeitung
-
Jahr
1931
-
Monat
1931-06
- Tag 1931-06-29
-
Monat
1931-06
-
Jahr
1931
- Titel
- Sächsische Staatszeitung : 29.06.1931
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Vette r zu Nr. ns Sächsische Staatszetümg — Montag, 2». Zunt i9Zi Tagung -es Reichsstädtebundes. »«<»,, z»ck Gesamtvorstand und HauptauSschuß des Reichs- fltdtebunde- hielten heute nachmittag hier ihre Tagung ab. Nach Eröffnungsreden von Ober bürgermeister vr. Belian, von Ministerialdirektor Menzel, Staat-rat Karcher und Ministerialdirektor vr. v. Leyden ergriff StaatSminister a. D- vr. Drew-, Präsident de- Preußischen Obowerwal- tnng-gericht», daS Wort z« einer Gedenkrede auf den Freiherrn vomHtein. Der Redner be schäftigt« sich besonder- mit der Städreorduung au- dem Jahre 1808, in der die Selbstverwaltung so fest und klar begründet fei, daß sie später für die Entwicklung aller Gemeinden und Gemeinde verbünde zum Angelpunkt geworden sei. Er schloß mit dem Worte Stein»: Ich kenn« nur «in Vater land, und da- ist da- ganze Deutschland, nicht nur ein Teil davon." vr. Syrup, Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeits losenversicherung, sprach da»» über die Arbeitslosigkeit. Die Krise, die in der Welt mehr alS SO Millionen und in Deutschland allein vier Millionen Arbeiter und Angestellte au- dem Wirt- schastsprozeß auSgeschaltet habe, wirkeiuallenLändern mehr oder weuiger stark. Alle anderen Länder könn ten auf Reserven zurückgreifen. Deutschland aber, das die Hälfte seine- nationalen Vermögen- verloren habe, sei diese Möglichkeit verschlossen. Wohl könne und müsse die Reichsbank bet der Ver trauenskrise auf dem Kreditmarkt jeder Ge fährdung der Mark entgegeuarbeiten, doch würden die nötigen Eingriffe der Reichsbank schließlich zu Lasten de» Ar- bett-markteS gehen. Dann behandelte der Redner die Notverord nung, bei deren Bestimmungen jeder betroffene Kreis in erster Linie seine Opfer, die Belastung anderer Kreise aber wenig würdige. Es könne nicht bestritten werden, daß da- finanzielle Gesamtergebnis der Notverordnung nicht entbehrt werden könne. Die Arbeitslosen seien von der Notverordnung ungewöhnlich schwer betroffen worden. Die geldliche Unterstützung der Arbeitslosen sei und bleibe ein Notbehelf. Alle Vorschllg« zurMikderun- d«r Arbeitslosigkeit, wie Ausschaltung ausländisch«« Arbeiter und Doppelverdiener, Verkürzung der Arbeitszeit, Antrieb der privaten Wirtschaft durch öffentliche Aufträge usw. müßten nicht nur auf ihr« arbeiiSmarktpolstische Wirkung, sondern auch auf ihre finanzielle und allgemenipoliuschc Be deutung geprüft werden. Der Redner schloß mit dem Wunsche, daß die nächste Zeit auf dem Ge biete der Reparationen nicht nur Verständnis- voll« Versicherungen, sondern Tatsachen bringen möge. Der geschästSführeud« Präsident vr Haekel-Berlin berichtete dann über die Kom- munalfinauzeu. Er führte u. a. aü», daß die letzte Notverordnung die Probleme der Ge meindefinanznot ungelöst lasse und daß mangels ausreichender Hilfsmittel des Reiches nur eine Minderung der ReparationSlasten den Gemeinden Rettung bringen könne. Rach einer lebhafte« Diskussion über die Referate hat die Tagung einstimmig eine Entschließung angenommen, in de« erklärt wird, daß die deutschen Städte sich ihrer Schicksal-Verbundenheit mit dem Reiche bewußt find und erneut die Nottoendigkett betonen, ihre Finanzpolitik in Übereinstimmung mit der des Reiches zu führen. Die Notver ordnung vom S. Juni 1V31 beseitige noch nicht die große Notlage der Gemein den, da die zu erwartenden Mehrein nahmen durch die eintreteuden bteuerau»- fälle und die Mehrausgaben für die Wohlfahrt-erwerbslosen und Krisenfür- sorg« für 1931 sogar übertroffen werden. Daher müßten, falls in Zukunft finanzielle Erleichterungen für da» Reich einireten, die dadurch freiwerdenden Mittel in erster Linie di« Sanierung der gesamten öffentlichen Finanzen, also auch der Gemeinden, sicherstellen. Mit besonderem Nachdruck wird auch noch darauf aufmerksam gemacht daß eine Deckung von Fehlbeträgen bei den Ge meinde« durch Kredite nicht mehr an gängig ist. auch in den Länder« und i« Reich, und wo die Selbstverwaltung Einschränkungen durch Gesetz und Verordnungen erfährt, da geschieht'«- nur unter dem Zwang der Röte der Zeit uird um der höheren allgemeine« Ziele wegen. Ist das deutsche Volk mit diesen Rechten stet- den Weg gegangen, den ihm die Steinschen Ideale zeigten? ES wäre eine verhängnisvolle Selbst täuschung, wenn man diese Frage mit einem Ja beantworten wollte. Die Dynastie« und die Dynasten sind beseitigt, die Kleinstaate rei aber besteht noch. Da» deutsche Volk ist noch keine Nation geworden. Und der Geist der Habsucht, des schmutzigen Vorteils lebt immer noch. Juteresseuhaufe», aus eigenen oder StandeSvortetl bedacht, ver stoßen auch heute gegen den wahren Geist der Selbstverwaltung, der ohne Selbstverpflichtung und Selbstverant Wortung nicht denkbar ist. Bleiben wir dieser Mängel eingedenk und wach in der Erkenntnis, daß Steins Sendung noch nicht erfüllt ist. Sie wird e» sein an dem Tage, an dem daS Sinnen uod Schaffen aller dem ganzen Volke und darüber hinaus der Menschheit gehört. Nach Minister Severing hielt SteichSinnenminjper vr. Wirth eine Ansprache, der er da» Thema: „Stein und der Reichsgedanke" zugrunde legte. Er führte u. o. au»: Das Typische des Freiherrn vom Stein liegt darin, daß ihn kein Ungemach veranlassen konnte, die Flucht au» dem Poli- tischen Leben anzutreten. Heute befinden wir uns in einer ähnlichen Lag« wie da» preu ßische Volk zur Zeit de» Freiherrn vom Stein. Gerade in dieser Stunde werden in Pari- die Würfel über da» Schicksal unsere» B olke» für ein« geraume Zeit falle». Worauf es in diesen düsteren Zeiten ankommt, ist, daß in unserem Vaterlande alle die polittsche Kraft aufbringen, diese Lage mit uns überstehen zu wollen. DaS Volk ist verloren, da» in solchen Zeitläuften nicht Frauen und Männer findet, die da» Schicksal meistern. Der Mi nister wie» dann darauf hin, daß die heutige Arbeiterbewegung gerade solche Frauen und Männer hervorgebracht habe. Er, der Minister, sei so ost nach der Reichsreform gefragt worden. Er müsse klar sagen: Jawohl die Zett ist reif dafür, daß im neuen Deutschland dem Gedanken der großen Reichsreform die Wege geebnet werden müssen und bald ein formulierter Gesetzentwurf dem Reichstag zugeleitet werde. In den Steinfeiern des großen Patrioten zu gedenken und nicht gleichzeitig den Zustand unseres Vaterlandes mit den Millionen unpolitischen Kräften sehe» zu wolle«, das hieße, des großen Toten in diesen Tagen nicht gerecht werde». Die Notverordnungen sind der Ausdruck der geistigen Not, sie find der Ausdruck der politische» Not. Demo kratische Entwicklung, im Geiste de- Frei- Herrn vom Stein ist nur denkbar, wen» eine politische WillenSschöpfung, auf dem Volke aufgebaut, in einem Staat herangezogen werden lanu. Da» ist die große Not, in der wir lebe». Reich-reform ist möglich, wenn da» Deutsche Volk politisch ist. Reich-reform ist praktisch durchführbar, wenn der p re u- bische Staat sich seiner hohenMission ein gedenk fühlt, auf diesem Wege den ersten entscheidenden Schritt zu machen. Nach den Worten de» ReichSinnenminister» er folgte der Gesang des Deutschlandliede-, worauf vr. Wirth ein Hoch auf da» deutsche Volk und Vaterla»d ausbrachte. Im Anschluß an die Feier erfolgte die Ent hüllung einer Stein-Gedenktafel. Die Weiherede hielt der Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt. Oer Scheuenprozeß. Lüneburg, 27. Juni. Im Scheuenprozeß wurden in der Nach mittagsverhandlung die Schwierigkeiten dieses Prozesse- bei der Vernehmung des robusten und drastischen Pul», eine» Berliner Jungen, offen bar. ES ist schwer zu sagen, was Wahrheit, Übertreibung und Dichtung ist. Der Erzieher Dittmer soll gewußt haben, daß e» lo-gehen würde. Anscheinend ist aber die Revolte ganz plötzlich ohne besondere Vorbereitung auSgebrochen. Pul» will nur alle» mitgebrüllt haben, waS die anderen geschrien hätten. Der Vorsitzende fragt Pul»: Wenn Sie Direktor gewesen wären, waS hätten Sie denn getan? PulS: Ich hätte wohl zuerst gedacht, sie wollen mir an- Leben. Wie die Jungen aber weiter sangen und gröhlten, hätte ich doch gedacht, die wollen ja gar nichts. Die meisten find nur mitgerannt, um waS zu erleben, um sagen zu können, sie sind bei der großen Revolte dabei gewesen. Die Anwälte, Zügli»-« und Richter können nur schwer er»st bleiben bei dem impulsiven Rede' schwall. Der bedächtige Gustav Krüger meint, e» habe jeder gemerkt, daß etwa» in der Luft gelegen habe. Er habe sich an den Ausbrüchen beteiligt, um sich keine Blöße zu geben. Der An- geklagte Spickermann behauptet, «S sei ihm in der Revoltenacht sogar zu langweilig gewesen. Siae Entschließung -es Alten Berg« arbetterverbandeS zur Lage im Ruhr« bergbau Köln, 29. Juni. Der Gesamtvorfiand de» freigewerkschaftltchen BergarbeUerverbande», der gestern hier tagte, nahm nach eingehender Aussprache über die Lag« der Bergarbeiter eine Entschließung an, in der «S u. a. heißt: Seit Januar vorigen Jahre» sind allein im Ruhrbergbau über 12K000 Bergarbeiter entlassen worden. Infolgedessen betrug die Zahl der arbeitsuchende« Bergarbeiter Ende Mat d. I. im' Ruhrkohlengebiet rund 90000, da» find 34,7 v. H. der Beschkf- tigte». Trotz einer Sprozentigen Lohn kürzung im Januar sind inzwischen wettere 33000 Bergarbeiter entlassen worden. In den übrigen Bergbaugebiete» sind die Verhältnisse ebenso «»günstig. Die Verbandsvertreter bringen deshalb nochmals zum Ausdruck, daß nur eine radikal« Verkürzung der Arbeitszeit die dringend notwendige Milderung der bergmännischen ArbeitS- lofennot bringe« kann. Im Zusammenhang mit de» Bestimmungen der Notverordnung, die eine einseitige Belastung der Arbeiterschaft bedeuten, erwarten dle Bergarbeitervertreter eine baldige Änderung der Notverordnung, die ?en Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit entspricht. Der Verband begrüßt den Abschluß de» Genfer Übereinkommen» zur Festsetzung der Dauer der Arbeitszeit in Kohlenbergwerke« al» einen ersten Schritt zu einem friedlichen Zusammen« arbeiten der europäischen Kohlenländer, von d«r RetchSregierung wird erwartet, daß sie nunmehr unverzüglich die Ratifikation diese» Übereinkommens betreibe. »eine verlä»ger»»g de» deutsch-polnische» Neggenavlomme»» Wre WTB-HandelSdienst er fährt, wird da» deutsch polnisch« Roggenabkommen, daS mit dem 30. d. M. abläuft »nd über besten Zweckmäßigkeit in dem Unt«rsuchu«gS»u-schub d«S Reichstag« lebhaft diskutiert worden ist, nicht ver- läugert werden. Der Bremer »tat angenommen. In der Bremer Bürgerschaft wurde am 27. Juni die Ab stimmung über de« Etat, und »war auf Antrag de, Deutfchnationalen namentlich vorgenommen. Der »lat wurde mit de« 6t Stimmen der SPD., der DVP. «nd der Staatspartei, gegen die b2 Stimmen der DNBP., der NSDAP, der KPD. und der HauSbefltzer angenommen. DaS Ergebni» wurde von den Kommunisten mit lauten „Nieder"« Ruse« ausgenommen. VUo Wrl» war det Henderso» Wie der „Sozialdemokratische Pressedienst" meldet, ist der sozialdemokratische Parteivorfitzrnde Otto Wel» dir er Tage in London gewesen. Er hatte Besprechungen mit dem engli'chen Außenminister Arthur Henderson und ander«» maßgebenden Persönlichkeiten der Labour-Parly. Polnischer Mlitlkfliegrr über J»ha»»t8d»rg. Au» der Richtung der LandeSgrenze (Pogobien) er schien über JohanniSburg am 27. Juni um 14 Uhr 3b Min. ein Doppeldecker, auf de» deutlich da» Zeichen „L bS" und die rot-weißen Vierecke, die Abzeichen der polnischen Militärflieger, erleunbar wäre» DaS Flugzeug überflog in «rner Höhe, die auf etwa 200 m geschätzt wurde, die Stadt, machte dann einen Bogen, flog über den Bahnhof und ent fernte sich in Richtung auf AryS. Haftbefehl -egr» «arrlla. Auf Antrag der Staai»anwaltschaft ist vom Untersuchungsrichter Haftbefehl gegen den bekannte» Schießsachver- ständige» Barella erlassen worden. Be- gründet wird der Haftbefehl damit, daß wegen der zu erwartende« hohe« Strai« Fluchtverdacht be» steht. Di« Untersuchung erstnckt sich auf den Ver dacht de» KoulurSverdrrchenS und de- schweren Betrugs. Hiffung -er norwegischen Flagge in Ofigrönftm- 7 O»lo, 29. Juni. DaS Blatt „Tiden» Tegn" läßt sich von einer norwegischen Jagdexpedition, di« auge«bticklich in Ostgrönlend weilt, mitteilen, daß i« den Gebieten de» Lande», die vo» der Expedition bereist wur den, die norwegische Flagge gehißt worden ist DaS Blatt erinnert daran daß Norwegen niemals die Souveränität Dänemark» «nf Ostgrünland an erkannt, vielmehr stet» de« Standpunkt vertreten habe, hier sei Niemand» Land. Die Streitfrage sollte, so meint die Zeitung, wohl noch dem Internationalen SchiedSgericht»hof vorgelegt wer den. Eine offizielle Bestätigung dieser Meldung ist nicht erfolgt. Vas deutsche Wandern er-bett dteWett. über Nacht ist in England eine große Be wegung herangewachsen, die die deutsche Wander- vogelbeweguug nach den britische« Insel» über trägt. Merkwürdigerweise war ja der Engländer, der erste Freiluftmensch, der auf dem Gebiet de» Sports bahnbrechend gewirkt hat, niemals ein Spaziergänger. Der germanische Wandergeist der Altvordere« war ihm verloren gegangen. Nun hat er sich de» moderne» Ersatz dafür von u»S geholt, und so iß e» gekommen, daß die englisch« Jugend, die früher nur Sport trieb, plötzlich die Straßen und Wege de» Laude- bevölkert, in ganz ähnlicher Ausrüstung wie unsere wanderfrohen Scharen. In Zeitungen und Zeitschriften wird dem „Hiker" — diese» Wort hat man für die Wa»derer geprägt — die beste Ausstattung mit Rucksack, Kochgeschirr, kurzen Hosen u»d nackten Beineu empfohlen, und e» sind bereits große Stif tungen für die Gründung von „Hosttels", wie die Jugendherbergen heißen, gemacht worden. Der Engländer, der ja da- deutsche Wort „Wanderlust" für diese» seiner Sprache fremde» Begriff über nommen hat, folgt auch im Wandern selbst dem deutschen Vorbild; der Name „Hiker" aber ist aus dem Amerikanischen übernommen, denn tn den vereinigte» Staat«» ist ja auch der Geist des Wanderns seit einige» Jahren erwacht, ebenfalls von Deutschland her befruchtet. So erobert sich das deutsche Wander» allmählich die Welt, und wir dürfe« stolz darauf fein, daß diese so gesunde »nd erfreuliche Bewegung, die mit der Erfrischung des Körper» zugleich so reiche Anregu»gen für Geist und Gcurüt bietet, bei un» zuerst tiefere Wurzel» .im BvlkSbewnßtsein geschlagen und sich -» einem Ausdruck deutsche» Wese«» ent wickelt hat. So merkwürdig «S heut« klingt, so ist dar Gebrauch der Bei»« ohne jede« b^ stimmte« Zweck, nur »nm Vergnügen und «rr Er- halvng, w»» Z«it «twaS Snb«k«,»te» od« Bev- achwte» gewesew Dem «hrs««e» «lrger, der «s fei« .Seßhaftigkeit" strstg war, «schi«, da» Krw- herschleudern i» den Straßen oder da» Herum vagabundieren im Lande al» ein verwerflicher und schädlicher Müßiggang, und die fahrende» Geselle« d«S Mittelalters galten als .unehrliche» Volk". Die Straße» waren unsicher, Reisen über- Haupt gefährlich u»d mühevoll, der Sin» für die Schönheit der Natur unentwickelt. Wa» sollte da her ei»en ehrsamen Bürger oder auf seiner Burg sitzenden Ritter dazu veranlassen, sich in die Kerne zu wagen, wenn nicht grimmige Notwendigkeit, wie der Beruf ihn dazu zwang »der da» Gebot der Kirch« eine Pilgerfahrt auferlegte. Erst al» sich »ach dem Dreißigjährigen Kriege die Menschen behaglicher in der Natur eiurtchtetev, al» mit einer friedlichen Zeit die Gartensreude aufblühte und der Mensch sich im Freien wohlzusühlen be gann, da blühe» auch die ersten Keime jener Wanderlust auf, di« eine Eigenheit de» deutschen Menschen werden sollte. Da singt Paul Gerhardt sei« frommes Lied „O Wandern, Wandern meine Lust" und betrachtet im langsame« Ei«h«rschreiten die zahllose» Wunder in Gotte» Natu»; da gleiche tut der Ritzebüttler Rat-Herr Brocke», we«n er durch die vielverzweigte» Wege seiner Gärten und Wiesen wandelt und nachdenklich vor einer Lirschenblüte oder einem Tausendschü» stehen bleibt, um sie in e»dlosen Versen g» besinge». Der Prediger Abraham a Sawa Tiara, stet» ein Ma»n origineller Ideen, empfiehlt seinen Zuhörern da» Spazierengehen al» „eme erbauliche und Gott wohlgefällige Ergötzlichkeit", durch die man von allerlei sündhafte» Dinge« abgehalten werde. Wie fremd aber auch noch den Menschen des 18. Jahrhunderts eine solche Wanderung tn der Natur war, zeigen die Anweisungen über di« richtige Art d«S „empfindsamen Promenieren»", die t» der Rokolozeit gegeben werde«. AS dies war »och kein Wandern i« heutige« Sinne, kein müßiges »»d resche» AuSschreiten, und der Er wecke» diese» eigentlichen Wandertriebes wurde erst her genial« Entbinder neuer Kräft« der Motsch««' seäle, Rousiamt. Dies«« Schäpser d«S »»Odenw» Raturgefühl» ff» do «rst« Mensch, do Ich »st trunkener Verzückung in die Arme der Natur wirft, der durch die Wälder und auf die Berge stürmt, um der großen Mutter alle» Echten und Wahren möglichst nahe zu sein. Der Verfasser der „Träumereie« eine» einsame« Wanderers" hat mit hinreißenden Worten dieses große Erlebnis gepriesen und besonder» in Deutschla«d ein viel stimmiges Echo erweckt. Klopftock und die Gänger de» HaniS priese« die Freude« einer fröhlichen Wanderfahrt, und der genialste Gestalter dieser damals noch so neuen Gefühle wurde der junge Goethe, de« seine Seuoffen den .Wauderer" nannten. In wundervollen Hymnen hat er da- stürmende Tempo deS beflügelten Schrittes in Gewitter und Regen geschildert, hat im „Egmout" ailsgentfe«: „Frisch hinaus, da, wo wir hin- gehöre«! Ins Feld, wo aus der Erde dampfend jed« nächste Wohltat der Natur und durch den Himmel wehend all« Segen der Gestirne uns umwitterx, wo wir, dem erdg^ore«en Riesen gleich, von der Berührung unserer Mutter kräftiger un» in die Höh« reißen, wo wir die Menschheit ganz und menschlich« Begier tn alle« Adem fühlen." Die ersten «nermüdliche« Fußgänger, die nur um de» Wanderns Wille» reisen, treten nun auf. Seume unternimmt seinen „Spazier gang" nach ShrakuS und trotzt ollen Unbilden deS Wetter» und der Wege. Doch im 18. Jahr- hundert wäre» es nur einzelne Raturschwärmer, die sich de« Wanderlust ergaben. Zur Volksfreude ist daS Wandern erst durch die deutsche Romantik geworden, di« darin di« schönste LeibeSübung erblickte. Der Ertüchtiger der Jugend der BefreiuvEttrtege, predigte daS Waudern alS einen „Trieb »ach Verbesserung, «in Gehen aus der Heimat in die Fremde, ab« immer i» de» Marke» deS Vaterland«»" und schrieb: einen neuen Aufschwung genommen, der sich nun über die Welt verbkeitet. Ver Letzte seiner Raffe. ES muß gewiß ein merkwürdiges Gefühl sein, al» der Letzte seiner Nasse auf der Erde zu lebe» und die Gewißheit zu besitzen, daß mit seinem Tode jede Spur der Völkerfamilie, zu der man gehört, verschwindet. Ab« solche Persönlichkeiten gibt «» auch in unserer Zeit. ES lst noch nicht sehr lang« h«r, daß der Letzte der TaSmanier, Trugannmt, in hohem Alter zu de« Jagdgrü«den seiner Väter versammelt wurde; sein« scharfen Züge lebe« nur «och in dem BrouzebUd fort, welches daS Museum zu Launceston besitzt. In Neuseeland erfreut fich der einzig« Vertreter «incr andern Völkerrasse noch seiner Gesundheit und einer stattlichen Wohlbeleibthett. DaS ist Tami Solomon, der Letzte der MorioriS, der Ur bevölkerung deS Landes, di« hier wohnten, bevor di« Maori ihre ersten Reisen unternahmen und die Eroberung Neuseelands begannen. Im Jahre 1836 gab e» »och 2000 von dies« Urbevölkerung; SO Jahr« später war diese Schar bereits auf 212 zusammengeschmolzen, und jetzt ist nur noch ein einzig« Moriori auf der Welt. Dieser lebt allein auf ein« der Chatham-Inseln, ist mit einer Maori frau »erheiratet »nd bewohnt ein hübsche» Haue, in de» « von einer ganze« Schar von jungen Solomon» umgiben ist. Da seine Sprößlinge aber Maoriblut in sich habe», find sie keine reinen MorioriS «ehr «nd können daher seine Raffe nicht sortpflanze«. So endet also mit Tami ei« Kapitel der Weltgeschichte. Er nimmt sich aber dies« Rolle, die « sptelt »icht sehr zu Herze«. Ma» darf sich ihm nicht alS «ine« dekadenten Spätling vorstelleu, sondern er ist ein gewichtiger Herr von fast 400 Pfund Lebendgewicht, stoS lustig »nd bereit, et« dröhnendes Lach«« höre« zu lasse«, welch«» „Die Waudcrschaft ist di« »ieneirfahrt nach d«m Honigtau de» Erdenleben»." Nun erblüht au» der Dichtung der herrlich« Strauß der deutschen ««ndatteder, «ck> seitdem lst daS Wandern d«r da» Hau» erschüttert. AlS der erst« Maori mit Sa««« Hantsch«, Kultur »icht »ehr verlor«» gegangen Tot vor «wa 7V0 Jahre« t» Neuseeland ««langt«,
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