Volltext Seite (XML)
M - Nachforschungen vorzunehmen, welche ein überraschen des Resultat ergeben haben. Die mit den Erhebun gen betrauten Detektivs berichten nämlich, daß in der englischen Hauptstadt ein anarchistisches Komplott be stehe, welches den Zweck verfolge, Staatsmänner, hochgestellte Beamte oder hervorragende Fremde zu chloroformieren und alsdann zu entführen, um auf diese Weise die leeren Kassen der Umstürzler zu füllen. Die Behörden hofferi, auf Grund der bisherigen In formationen sämtliche Verschworene bald dingfest zu machen. Italic«. — Die offiziöse „Ginione" weist nachdrücklich aus die hohe internationale Bedeutung der Minister- krisiS hin. Der Ausgang derselben werde zeigen, daß Italien militärisch bankerott sei und ob es aus der Tripelallianz ausscheide oder nicht. Mchlaud. — Der Ministerpräsident Bunge ist von seiner Krankheit hergestellt und hat die Absicht, sich zu sei- . Mr Erholung ins Ausland zu begeben, aufgegeben. E Finonzminister Wyschnegradski wurde am Mon tag nachmittag vom Zarenpaar empfangen. — Wie nunmehr definitiv feststeht, wird Geh. Rat Thörner während der Beurlaubung des Finanzministers die zeitweilige Leitung des Finanzministeriums über nehmen. Bvlgarieu. — Die bulgarische Regierung hat dieser Tage der - Pforte eine Denkschrift überreicht, in der sie unter Hinweis auf die vielfachen russischen Uebergriffe „die Anerkennung der in Bulgarien bestehenden gesetzlichen Ordnung der Dinge in internationaler Beziehung" fordert. Aus dieser Note, die sich als eine völlige Anklageschrift gegen Rußland darstellt, heben wir einiges hervor. Es heißt darin: „Es stehe fest, daß die bulgarischen Emigranten in Rußland nicht bloß ein Asyl und Straflosigkeit, sondern auch Unter stützungen finden, die sie in den Stand setzen, Kom plotte zu schmieden und Attentate gegen die bulgari schen Staatsmänner vorzubereiten. Alle diese That- sachen hätten die bulgarische Regierung peinlich be rührt und in Bulgarien einen bedauerlichen Eindruck gemacht. Sie reihen sich zahlreichen früheren Vor gängen an, bei welchen die russische Regierung stets ihre wohlwollenden Gesinnungen für die bulgarischen Emigranten und ihre feindselige Haltung gegen die bulgarische Regierung offenbarten. Diesbezüglich er innert die Note an die nach der Ermordung Beltschews, von Zankow, Rizow, Stantschew, Grunew, Benden w und Luzkanow an Stambulow gerichteten Briefe, in welchem dieselben erklärten, sie würden weitere Atten tate ins Werk setzen, an das Verbleiben Grunews und Benderews in der russischen Armee, an die Jahres- Pension Zankows und an den Empfang Stantschews durch den Minister Giers. Es sei ferner eine bekannte Thatsache, daß alle bulgarischen Emigranten, welche sich m der Türkei, in Serbien und in anderen Staaten aufhalten, mit russischen Pässen versehen sind, ohne russische Unterthanen zu sein. Ja, die bulgarische Regierung habe konstatiert, daß einzelne Brigantenchefs, die in der Türkei geboren sind und türkische Unterthanen seien, solche russische Pässe be sitzen, so ein gewisser Costa Iwanow, genannt Grurdschukli, aus Macedonien, der Häuptling einer Räuberbande, die zahlreiche Räubereien verübte und mehrere Mordthaten vollbrachte. Es ist dies derselbe Räuberhauptmann, der auf der Station Bellovo Herrn Ländler, sowie den Kaufmann Mitcoglu gefangen nahm. Bei diesem Giurdschukli sei nun ein auf 3 Monate giltiger, vom russischen Gesandten in Belgrad unterzeichneter Passierzettel vom 3. Februar 1889, ferner ein von der russischen Gesandtschaft in Bukarest am 16. Februar 1889 in aller Form ausgestellter Paß gefunden worden, welch' letzterer das betr. Indi viduum als russischen Unterthan bezeichnet. Abgesehen von dem ihnen von den russischen Behörden gewähr ten Schutz, erhalten die bulgarischen Emigranten Sub- sidien von panslavistischen Komitees für die Organi sation und Ausführung von Komplotten gegen die fürstliche Regierung, und außerdem werden ihre Reisen durch die Schiffe der freiwilligen russischen Kreuzer flotte und der Gazarinischen Dampfschiffahrtsgesell schaft erleichtert, sodaß sie der Wachsamkeit der bul garischen Sichcrheitsorgane leicht entschlüpfen können. Wenn die bulgarischen Anarchisten nicht von den rus sischen Panslavistischen Komitees unterstützt und er mutigt würden, wenn ihnen nicht in sichtlicher Weise der Schutz gewisser Funktionäre der russischen Regie rung zu teil würde, und wenn sie nicht in der Türkei eine von allzuweit gehender Nachsicht getragene Gast freundschaft fänden, so würden sie ihre Verbrechen, deren offenkundiger, von ihnen selbst zynisch ünge- standener Zweck die Aenderung der in Bulgarien be stehenden Ordnung der Dinge ist, unzweifelhaft nicht ausführen können." — Inzwischen läuft aus Sofia der amtliche Kunde von einem neuen russischen Streich ein. Die offiziöse Meldung lautet: „Der Studierende am Odessaer Seminar, Kuscheleff (Bulgare), welcher die Anstalt wegen der ihm widerfahrenen schlechten Behandlung verlassen hatte, um über Konstantinopel nach Bulgarien zurückzukehren, wurde in Konstanti nopel gezwungen, den Waggon zu verlassen und von dem anwesenden Dragoman der russischen Botschaft ersucht, im russischen Kloster in Galata abzusteigen, um die Hotelkosten zu ersparen. Kuschebff gab dieser Einladung keine Folge und war am Donnerstag abend im Begriff, mit der Eisenbahn nach Sofia ab zureisen, als Stoyanoff in Begleitung der Kawassen der russischen Botschaft erschien und unter Interven tion der türkischen Polizei Kuscheleff verhaftete. Die hiervon in Kenntnis gesetzte bulgarische Regierung beauftragte ihren Agenten in Konfiantinopel, Dimi- troff, bei dem Großwesier zu protestieren und die Freilassung Kuscheleffs zu verlangen." Sozialdemokratische Zukunftsbilder. Frei »ach Bebel. Von Engen Richter, Mitglied des Reichstages. (Fortsetzung.) 11. Die nene Häuslichkeit. Die große Wohnungslotterie hat stattgeiunden und die neue Wohnung ist von uns bezogen worden. Freilich verbessert haben mir nnS nicht gerade. Wir wohnten Berlin 81V., 3 Treppen im Vorderhause und haben — zufällig in demselben Hause — eine Wohnung ange wiesen erhalten 3 Treppen im Hinterhause. Meine Frau ist ein Bißchen stark entläuschr. Sie Halle zwar den Gedanken an eine kleine Villa ausgegeben, aber wohl noch immer auf eine halbe Beletage irgendwo gehofft. Auf die Wohnung habe auch ich immer viel gegeben. Wir hatten bisher für uns 6 Personen 2 Stuben, 2 Kammern und die Küche. Die beiden Kammern, in denen Großvater und die Kinder schliefen, brauchen wir allerdings jetzt nicht mehr. Der Küche bei den Wohnungen bedarf es auch nicht weiter, da morgen die StaalSküchen eröffnet werden sollen. Aber aus 2—3 hübsche Stuben hatte ich mir im Stillen selbst Hoffnung gemacht. Statt dessen haben wir eine einfenstrige Stube und eine Art Mädchengelaß, wie man es früher nannte, zugeteilt be kommen. Etwas dunkler und etwas niedriger sind die Räume, auch Nebenräume sind nicht dabei. Indes alles ist mit rechten Dingen zugegangen. Unser Magistrat ist ehrlich, und nur ein Schelm giebt mehr, als er hat. Wie gestern in der Stadtverordnetenver sammlung dargelegt wurde, hat Berlin bisher laut dem früheren Mietssteuerkataster für seine 2 Millionen Ein wohner eine Million Wohnzimmer zur Verfügung gehabt. Nun ist aber der Bedarf an Räumen für öffentliche Zwecke in unserer sozialisierten Gesellschaft außerordentlich ge wachsen. Die zu öffentlichen Zwecken schon vorhanden gewesenen Räume einschließlich der Ladenlokale vermoch ten deshalb nur einen winzigen Bruchteil des jetzigen Bedarfs zu decken. War doch schon eine Million junger und alter Personen in Erziehungs- und Verpflegungs anstalten unterzudringen. Krankenhäuser mit 80000 Betten sind jetzt reserviert. Solche öffentliche Zwecke muffen aber den Privat interessen vorangehen. Mit großem Rechte hat mau deshalb vorzugsweise die größeren und besseren Häuser, namentlich in den westlichen Stadtteilen, dafür in Be schlag genommen. In den inneren Bezirken liegen desto mehr Büreaus und Verkaufsmagazine. In den Erdge schossen sind überall die Staatsküchen und Speisehäuser für diejenige Million Einwohner eingerichtet, welche nicht in öffentlichen Anstalten untergebracht ist. In den Hinterhäusern befinden sich auch Zentralmaschanstalten für dieselben. Wenn dergestalt für so viele besondere Zwecke auch besondere Räumlichkeiten reserviert werden mußten, so ergab sich daraus von vornherein eine Be schränkung der Privatwohnungen. Bei Uebernahme der Negierung sind, wie gesagt, im ganzen eine Million verfügbare Wohnzimmer vorgesunden worden. Es sind davon nach Deckung des Bedarfs für öffentliche Zwecke 600000 mehr oder weniger kleine Wohnzimmer übrig geblieben nebst einigen Hunderttausend Küchenräumen und anderen Nebenräumen. Für die in Privalwohnungen unterzubringende Million Einwohner entfiel daher pro Kopf eine Räumlichkeit. Um jeve Ungerechtigkeit zu verhindern, sind diese Räume verlost worden. Jede Person von 2l—65 Jahren, männlich oder weiblich, erhielt ein Los. Das Verlosen ist über haupt ein vorzügliches Mittel, um dem Prinzip der Gleichheit bei ungleichen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Die Sozialdemokraten in Berlin hatten schon in der früheren Gesellschaft solche Verlosungen einge- sührt bei Theaterplä'tzen. Nach der Verlosung der Wohnungen war Umtausch der zugelosten Räume gestattet. Diejenigen, welche bei sammen bleiben wollten, wie Eheleute, aber nach Stra ßen, Häusern oder Stockwerken getrennte Räume zuge lost erhalten hatten, tauschten mit anderen. Ich konnte freilich neben der sür meine Frau ausgelosten Stube nur noch das Mädchengelaß bekommen, indem ich dasür die für mich im Nachbarhaufe zugeloste Stube einem jungen Mann überließ, welcher das Mädchengelaß er-- lcst hatte. Indes die Hauptsache ist doch, daß wir beide- zusammen geblieben sind. Allen Eheleuten ist ein entsprechender Zimmerlausch freilich noch nicht geglückt. Manche geben sich vielleicht auch keine rechte Mühe, wieder zusamnunzukommen. Die Ehe ist Privaisache und deshalb können von Amts- wegen nicht besondere größere Wohnungen sür Eheleute und kleinere Wohnungen für Einzelpersonen verlost wer den. Wäre letzteres der Fall, so würde ja beispiels weise die Auslösung einer Ehe, welche doch an jedem Tage möglich sein soll, bis zum Freiwerden von Woh nungen für Einzelpersonen hinausgeschoben werden-, müssen. Jetzt dagegen kann jede bei Eingehung der Ehe nach privater Entschließung von zwei Personen zusammengelegte Wohnung ebenso wieder bei Auflösung der Ehe in ihre beiden ursprünglichen Teile zerlegt werden. Man teilt die zusammengestellten Möbel ab, und alles ist wieder vorbei. So ist in der neuen Gesellschaft auch hier alles auf das Folgerichtigste und Scharfsinnigste geordnet worden. Wie beschämend sind doch diese Einrichtungen, welche jede persönliche Freiheit sür Mann und Weib garan tieren, wiederum sür diejenigen, die stets behauptet ha ben, daß die Sozialdemokratie eine Knechtschaft des Einzelwillens bedeute. Für meine Alte und für mich sind dies natürlich keine praktischen Fragen. Wir halten wie bisher in Freud und Leid bis zu unserm Lebensende treu zusam men. Das sind nur schwache Naturen, bei welchen der innere Herzensbund auch noch der äußeren Klammern, wie in der alten Gesellschaft bedarf, um nicht auseinan derzufallen. Leider haben wir beim Umzug wieder einen weiteren Teil unseres Hausrats ini Stich lassen müssen. Die neue Wohnung war zu klein, um auch nur den Nest unseres Mobiliars, der uns nach dem Umzugslage un serer Lieben geblieben, vollständig aufnehmen zu können. Wir haben natürlich in die beiden Gelasse hineingesteckt, was von unseren Sachen hineinging, sodaß mir in der Bewegung etwas beengt sind. Aber das ehemalige Mädchengelaß ist doch gar zu klein und hat zu wenig Wandfläche. Sehr v elen anderen ist eS auch nicht besser ergangen. Beim Wohnungswechsel blieben daher viele Sachen aus der Straße stehen, welche in den neuen Näumen von ihren bisherigen Besitzern nicht unterge bracht werden konnten. Diese Sachen sind sämtlich ausgeladen worden, um die noch sehr mangelhafte Ein richtung in unseren großen öffentlichen Anstalten nach Möglichkeit zu vervollständigen. Darüber wollen wir uns aber nicht betrüben. Es gilt, in der neuen Gesellschaft an Stelle einer beschränk ten kümmerlichen Privat-xistenz ein großartiges öffent liches Leben zu organisieren, das mit seinen aus das Vollkommenste eingerichteten Anstalten sür leibliche und geistige Nahrung jeder Art, sür Erholung und Gesellig keit allen Menschen ohne Unterschied dasjenige zu teil werden läßt, was bis dahin nur eine bevorzugte Klasse genießen konnte. Der morgigen Eröffnung der Staats küchen soll demnächst auch die Eröffnung der neue» Volkstheater folgen. (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. * Auf dem Tegeler Schießplatz hat sich ein fürch terlicher, allerdings selbstverschuldeter Unglücksfall zu getragen. An Händen und Füßen blutend schleppte sich ein Mann vom Schießplatz aus der Stadt zrr und teilte mit, daß ein anderer Mann, den er beob achtet habe, als er eine Granate zu zertrümmern suchte, voll dieser, als sie plötzlich explodierte, in Stücke gerissen worden sei. Die nähere Untersuchung bestätigte diese Angabe. Man fand dre Ueberbleibsel deS unbekannten Mannes. Die Feststellung seiner Persönlichkeit war nicht möglich. Der durch Granat splitter verwundete Mann giebt seinen Namen als Weber an und behauptet, den Getöteten nicht zu ken nen. Die Behörden vermuten jedoch, baß die beide» gemeinschaftlich auf das Kugelsuchen ausgingen. Die explodierte Granate rührt noch aus dem Jahre 1886- her. Damals wurde ein Erdwall durch mit Pikrin gefüllte Granaten beschossen. Fünf dieser Granaten, waren damals unauffindbar und sind erst vor einigen Tagen bei dem Abtragen des Erdwalles wieder zum Vorschein gekommen und, wie die Behörde glaubte, so versteckt worden, daß sie nicht von Unbefugten ge funden werden konnten. Der Getötete muß jedoch entweder allein oder in Gemeinschaft mit Weber das- Versteck gefunden haben. Man vermutet, daß ihm die Last zu groß war und daß er versuchte, durch Zertrümmern der Granate sich den Transport zu er leichtern. Die Untersuchung ist in vollem Gange, Weder wurde in Hast behalten. * Die Stettiner Brigg „Felix" scheiterte und ken terte am Montag morgen an den Burnham Fiats (Norfolk). Der Kapitän ist gerettet, 7 Mann er tranken. * Auf dem Bahnhose von Hampstead Heath, im