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Wochenschau. „Je mehr sich da« ändert, desto mehr bleil^ es die nämlichi Geschichte" — diese bekannte Re densart der Franzosen läßt sich mit Recht auf dte Entwickelung der orientalischen Krise anwen den. Id näher tvir endlich einer Verständigung der Mächte zu sein glauben, je mehr die Situ ation geklärt und der Boden für einen billigen Ausgleich zwischen, den kämpfenden Parteien ge wonnen zu sein scheint, desto weiter entrückt uns russische Jntrigüe von dem erträumten Ziel. Rußland treibt nach wie vor« sein unehrliches Doppelspiel; während es in den amtlichen Kund gebungen des St. Petersbnrger Cabinets nichts änzustreben scheint als den Frieden, während es officielll sogar seine zu Gunsten der Südslaven erhobenen Ansprüche auf das in dem englischen Vermittelungsproaramm aufgestellte Maß herab drückt, zettelt es durch seine Emissäre auf dem Kriegsschauplatz immer neue gefährlichere Ver wickelungen an. Geschlagen und in seiner Existenz bedroht, fleht das klein» Serbien die Vermitte lung der Mächte an, die ihm bewilligt und so parteiisch betrieben wird, daß der Sieger schließ lich darein willigen muß, den Besiegten frei aus gehen zu lassen. In dem Augenblick, wo man Serbien diesen unverhofft günstigen Ausgang ankündigen will, erklärt die serbische Armee ein solches Resultat für unannehmbar, der geschla gene serbische Generalissimus, ein Fremdling im Lande, übernimmt selbstständig die Leitung der Politik, proklamirt die vollständige Unabhängig keit des Fürstenthums, die Erhebung desselben zum Königreich und den Krieg auf's Messer, bis jene überspannten Forderungen durchgesetzt seiest. Fürst Milan thut, als wolle er sich des Krönungs-Attentates erwehren und befiehlt dem zudringlichen Eindringling sich ruhig zu verhal ten und das Werfen mit Königskronen einzu stellen. Der an Tschernajeff Mit der Weisung ihn von der Undurchführbarkeit seines Vorschlags zu überzeugen (!) abgesandte Kriegsminister ge winnt seinerseits die Ueberzeugung, daß gegen über der Begeisterung, die Heer und Volk beseelt, jeder Widerstand vergeblich sein würde, und daß Fürst Milan durch Annahme des Kralj-(Königs-) Titels seinem Erstgebornen die Carriere eines „Krawälljewitsch" eröffnen müsse. Auf Grund dieser Sachlage erklärt denn das Belgrader Ca- binet, in eine Verlängerung der Waffenruhe nicht willigen, einen Waffenstillstand aber nur zugestehen zu können, wenn die siegreiche Pforte bei den besiegten Serben um Schonung bitte, und nm das Maß voll zu machen, bricht Held Tschernajeff die eben verlängerte Waffenruhe und überfällt die türkischen Truppen, welche ihrerseits an die Einstellung der Feindseligkeiten geglaubt hatten. Während sich dies auf dem Schauplatz der Un ruhen ereignet, tritt Rußland officiell den englisch- österreichischen Friedensvorschlägen bei, spricht wiederholt seine Entrüstung über das thörichte und gemeingefährliche Gebühren Tschernajeff's aus und schickt gleichzeitig diesem Tag für Tag Verstärkung an Mannschaften zu, die et schließlich sogar in voller Uniform mit Generälen und Stabsofficieren an der Spitze in ganzen ExtrazÜgett durch Rumä nien spedirt. In Belgrad muß der russische General-Konsul zuerst dem Fürsten Milan ernst liche Vorstellungen machen, da aber diese nicht fruchten, so sieht sich das Petersburger Cabinet genöthigt — „den Verhältnissen Rechnung zu tragen". So sind wir denn auf einem Punkte ange- langt, wo selbst das friedenverheißende Kaiser- wort, welches von Weißenburg aus beruhigend »ü aller Welt klang, von den Ereignissen demen- tirt werden zu sollen scheint. So weit wollen wir allerdings unser Mißtrauen in Rußlands Ehrlichkeit und unser Zutrauen zu seiner Gewis senlosigkeit nicht treiben, daß wir an eine beab sichtigte Täuschung unseres Kaisers glauben möch ten, aber wir sind überzeugt, daß Kaiser Alexan der bei allem persönlichen Wohlwollen, bei aller eigenen Friedensliebe machtlos ist gegenüber der unerbittlichen Cousequenz seiner Staatsmänner. Das, ist der Fluch der Despotie, daß sie dte Geister nicht zügeln kann, deren sie zur Knebe lung der Massen bedarf. Jndeß, wie auch die Verhältnisse im Osten sich gestalten mögen, einen bleibenden Trost schöpfen wir doch aus jenem Kaiserworte, und zu einer festen Hoffnung be rechtigt uns dasselbe: für Deutschland we nigstens wird der Friede nicht gestört werden. Diese Versicherung war der schönste Gruß, mit welchem ein deutscher Kaiser — seit mehr als zwei Jahrhunderten der erste! — das wiedergewonnene Elsaß betreten konnte. Hoffen >vir, daß diesem Gruße des schirmenden Mutter landes der Dank der neuen Provinzen nicht fehlen wird. Nach Beendigung der glänzenden militärischen Schauspiele, welche die äußere Veranlassung des Kaiserbesuches im Elsaß waren, ist der greise Monarch noch einmal im erfreulichsttü Wohlsein an den würtembergischen Hof zurückgekehrt, hat am Donnerstag an dem großen würtembergischen Volksfest in Cannstadt Theil genommen und sich sodann, von der Kaiserin und dem Kronprinzen des deutschen Reichs begleitet, nach Baden-Ba den begeben. Auf dem Gebiete der inneren Politik war es vor Allem der badische Mi nisterwechsel, welcher die allgemeine Aufmerksam keit auf sich gelenkt hat. Die freisinnigen Mi nister Jolly und v. Freydorf sind am 24. d. M. in den Ruhestand versetzt worden und die gleichfalls als freisinnig, angekündigten Her ren Turban und Grimm sind an ihre Stelle getreten. Was über die Ursachen dieser Per sonalveränderung im badischen Cabinet bisher verlautete, klingt zu unbestimmt und verworren, um als wirkliche Erklärung gelten zu können. Eine solche wird uns ja wohl bald in dem Ver halten der neuen Minister geboten werden. Nicht minderes Interesse darf der Beschluß des Hanno verschen Provinzial-Landtages in Anspruch neh men, durch welchen die preußische Regierung um' Aufhebung des über das Vermögen des Exkönigs von Hannover verhängten Sequesters, d. h. um Beseitigung des „Reptilieufonds" ersucht wird. Der während der letzten Tage in Bremen ver sammelt gewesene CongreßveutscherVolks- wirthe, dessen Resolutionen man dieses Mal angesichts der hochgehenden schutzzöllnerischen Agitation eine besondere Wichtigkeit beimeflen darf, hat sich erfreulicher Weise mit überwiegen der Majorität für die Prinzipien des Freihan- vtts und die Erneuerung der Handelsverträge auf der Basis dieser Prinzipien ausgesprochen. In Oesterreich-Ungarn hat wieder ein mal ein Ausgleichsversuch stattgefunden, der auch soweit geglückt ist, daß wenigstens die Minister der beiden Retchshälften sich über die meisten DtffereUzpunkte — mit Ausnahme eines der wichtigsten, der Achtzig-Millionen-Schuldfrage — verständigt haben. Ob sich in den beider seitigen Parlamenten das gleiche Resultat wird erzielen lassen, das unterliegt gegenwärtig noch lebhaften Bedenken. In Frankreich hat man seit dem 21. d. M. in einer Reihe von Banketten den Geburts tag der ersten Republik gefeiert. Im Uebrigen zeigt sich auch in den Maßregeln der Regierung, daß der republikanische Geist in allen Kreisen sich Geltung zu verschaffen weiß. Der franzö sische Kriegsminister hat an die Corpscomman- deure ein Zirkular gerichtet, worin er, an neuer liche Vorgänge anknüpfend, den Offizieren strenge untersagt, ohne seine vorgängige Erlaubniß bei öffentlichen Festlichkeiten, als Preisvertheilungen rc., eine leitende Rolle zu spielen, jedenfalls aber sich aller rhetorischen Demonstrationen gänzlich zu enthalten. , Der Widerspruch, in welchem das englische Cabinet sich in Bezug auf seine Orientpolitik mit der öffentlichen Meinung des Landes be- < fand, beginnt sich mehr und mehr auSzügleichen. Der gesunde Sinn der Engländer hat nicht langer Zeit bedurft, um sich von der durch Slad- s stone gepredigten Turcophobie (Türkenfurcht, Feindschaft), die am Ende nur di» Pläne Ruß- - lands hätte zur Reife bringen können, zu der H gemäßigten und vermittelnden Politik des Tory-, ß Eabinets zu bekehren. Die fortdauernde Ansiedelung tscherkessischer Colonisten längs der thessalischen Grenze erregt V auch in Griechenland eine steigende Erbitterung H gegen die Türkei. Obwohl die Pforte dem atheni- U schen Cabinet die formelle Versicherung gegeben, I sie wolle keine Tscherkessen mehr in die Grenz- ,Z distrikte entsenden, so wird dieses Versprechen Z doch, wie griechische Blätter behaupten, täglich verletzt. Die Regierung der nordamerikanischen Z Union hat mit den aufständischen Indianern H einen Friedensvertrag abgeschlossen. Für die Einsicht der Regierung in Washington mag das d M gutes ZeÜgNiß sein, für das Kriegs-Depar- z tement in Washington aber ist es sicherlich kein 5 Rühm, vor den Sioüx-Häuptlingen Eitting Bull, Ä Red Cloud und Spotted Tail das Feld haben H räumen zu müssen. Vermisch t e S. Ein wahrer Herkules, ein kleiner untersetzter " Mann, sollte Montag Nachmittag in Berlin zum Arrest abgeführt werden. Plötzlich griff er fei- ? neu Transporteur, einen kxäftigen Schutzmann, g an und warf ihn mit einem Wttrf auf das /'» Steinpflaster. Ein zweiter in der Nähe sich be- A findender Schutzmann, der den Vorfall sah, eilte D seinem College« zu Hilfe, da nahm der wütheydW Mensch beide Männer, in jede Hand einest, hob A sie in die Höhe und stieß sie kräftigst zusammenM Die Nothpfeife rief Hilse herbei und ersi den » vereinbarten Bemühungen von fünf Schutzleuten « gelang es, den schwächlich aussehenden Arreßgn-V ten zur Wache zu führen. Zwei freche Buben haben eine exemplarische,« Strafe erhalten. Das Zuchtpolizeigericht zu Cleve verurtheilte einen Maurergesellen, weil er- V die Krone der Friedenslinde in Geldern abge^U sägt hatte, zu 5 Monaten Gefängniß und einen W Händler wegen Anstiftung dazu zu 6 Monaten « Gefängniß. Die traurigen Folgen des so leichtfertig in V Scene gesetzten Strikes der Berliner Schriftsetzer,'« machen sich in erschreckendem Maße fühlbgr. V Nachdem die jüngeren unverheiratheten GehiW A wohl ausnahmslos Berlin verlassen haben, MtW noch 350 Hilfsbedürftige zurückgeblieben, weWM sich mit ihren Familien in der bittersten HMD besinden. Wie ungerechtfertigt der Streik WDD war, erhellt daraus, daß bis jetzt noch ununÄW krochen Arbeitskräfte aus der Provinz sichMW dem neuen Tarife der Berliner Druckereien MM bieten. Die Schwindelindustrie ergreift immer weitDW Gebiete. Kürzlich sind in Berlin bei mehrermW Neubauten Messing-Thürklinken in Gebrauch KW kommen, die bald wie Glas zerbrachen. EWW chemische Untersuchung ergab, daß die MsiWD viel zu viel Zink hatte (um das theure KupKW zu sparen) und daß die gelbe Farbe auf MW Oberfläche mittelst Säure hergestellt war. Auch die Meerenge von Gibraltar soll ihWD Tunnel erhalten, der Europa mit Afrika vereWW So wenigstens plant es der Verfasser etrUW jüngst in Madrid unter dem Titel „Der intMD continentale Tunnel" erschienenen Flugschrift. MM ser Tunnel würde, so weit er unter dem MMÄW belegen, nicht lsinger als 9 (eMüWUj 'MUW sein, dazu kämen noch auf jeder Landseite «W (englische) Meilen, so daß die Gesammtlänge SlW (englische) Meilen nicht übersteigen würde. DtW Kosten werden auf 4 Millionen Lsirl. veranschlagt!«