Volltext Seite (XML)
'—"" --- MaM M Nr. 77 -cs Frankenberger Nachrichtsblattes 1876 Tagen dem Sultan unterbreiten. doch vor seinem eigenen Äuhme bang und es erklärte, einen Aufstand von Vasallenstaaten nicht als Angriff betrachten zu können. Selbst verständlich sahen die Negierungen von Serbien und Montenegro hierin die Einladung, ihren Gelüsten fürderhin keinen Zwang anzuthun. Rußland, oder wenigstens die in Rußland sehr mächtige panslavistische Partei, macht keinen Hehl aus seiner Protektion der serbisch-montene grinischen Bestrebungen. Ja, es heißt sogar, der russische Botschafter in London, Graf Schu- waloff, unterstütze die Anstrengungen Serbiens zur Aufnahme einer Anleihe von 20 Millionen Mark. Der Oesterreichische Staat wird von der neuesten Wendung der orientalischen Ange legenheiten am meisten in Mitleidenschaft ge zogen. Die Serben im südlichen Ungarn ver hehlen ihre Sympathieen für ihre außer-öster reichischen Stammesgenossen nicht und machen- Miene, dieselben thalkräflig zu unterstützen. Die Ungarn fühlen instinctiv, daß ein Erfolg der serbischen Waffen den magyarischen Einfluß au ßerordentlich vermindern müßte, und drängen deshalb zu einem energischen Einschreiten gegen die slavenfreundlichen Elemente. Bemerkens- werth ist, daß die russischen Blätter gegen Oester reich einen überaus feindseligen Ton anschlugen, so daß das Gerücht auftauchen konnte, die ge plante Begegnung der Kaiser Alexander und Franz Joseph auf Schloß Reichstadt in Böhmen werde nicht stattfinden. Dieses Gerücht ist al lerdings durchaus erfunden gewesen. Die Zu sammenkunft wird zur festgesetzten Zeit stattfin den, und zwar werden Fürst Gorlschakoff und Graf Andrassy derselben beiwohnen. Aus der Türkei kommen die Nachrichten jetzt sehr spärlich; desto voller nimmt man in Belgrad den Mund. Noch haben die serbischen Truppen die Grenze nicht überschritten, ihr Kriegs plan aber wird seit Wochen in allen Zeitungen öffentlich besprochen. Fürst Milan ist in das Hauptquartier abgegangen, nachdem er an das serbische Volk eine Proklamation erlassen. Die Jnsnrgenten haben ihn zum Fürste» von Bos nien ausgerufen; jetzt .braucht er nur noch — Bosnien zu erobern. Fürst Nikita von Monte negro, dem die Insurgenten die Herzegowina zu Füßen gelegt, verhält sich ruhiger. Auch er hat stark gerüstet. In beiden Fürstenthümern ist alle waffenfähige Mannschaft zum Militär dienst herangezogen worden. Damit wachsen die Aussichten der Aufständischen auf rasche Er folge, damit werden aber auch rasche Erfolge zur Lebensfrage, denn die beiden Fürstenthümer haben über keine Reserven zu verfügen. — In Coustantinoptl sollte wieder einmal ein Minister wechsel und damit ein Systemwechsel in naher Aussicht stehen. Midhat Pascha aber bleibt im Amte, wie jetzt entschieden versichert wird, und wird sein Reformprogramm in diesen Wo chenscha u. 0. p e Das Gesammtreich Deutschland hat in der vergangenen Woche keine Geschichte gehabt. Sein leitender Minister ruht in Kis- singen von den Strapazen der Wintercampagne aus, — der Bundesrach hat sich in alle Welt zerstreut, — der einzigen brennenden Tagesfrage, den orientalischen Wirren, steht Deutschland nnbetheiligt gegenüber, so lange wenigstens, als die übrigen Großmächte ihrem Vorsatz getreu bleiben, den Ausstand der slavischen Naubstaaten gegen die Türkei als eine innere Angelegenheit der letzteren zu betrachte». In Preußen ist die Landtagssession »ach fast sechsmonatlicher Dauer geschlossen worden. Die Ergebnisse der langen und mühevollen Ses sion befriedigen nach keiner Richtung. Ein gro ßer Theil der Vorlagen hat unerledigt bleiben müssen und somit in unnützer Weise die Arbeits kräfte in nahezu aufreibendem Grade in An spruch genommen. Selbstverständlich schieben die verschiedenen Parteien die Schuld hieran einander zu. Nicht zum Geringsten ist es die Nähe der Wahlen, welche die Parteien dahin beeinflußt hat, sich weniger als sonst zu Com- promissen geneigt zu zeigen. — Der Schluß der Landtagssession gab dein jüngsten preußischen Minister, Reichskanzleramtspräsidenten Hofmann, Gelegenheit, sich den preußischen Volksvertretern in seiner neuen Würde zu präsentiren. In Bai ern ist der Landtag noch immer bei sammen und wird er mindestens bis zum l2. Juli noch bleiben. Die unglücklichen Partei verhältnisse dort hindern die Durchführung selbst derjenigen Reformen, welche allseitig als noth- wendig anerkannt werden. Dazu zählt nicht an letzter Stelle die Aenderung des Wahlgesetzes. Der diese Materie behandelnde, Entwurf des Ab geordneten Jörg jedoch konnte nur die absolute, nicht aber die von der Verfassung vorgeschriebe nen Zwei-Drittel-Majorität erlangen. In Sachsen hat dis von der preußischen Regierung geplante Uebernahme der Verwal tung der Berlin-Dresdener Eisenbahn, welcher Betriebsübernahme nach 15 Jahren der Ankauf folgen sollte, großen Schrecken verbreitet und dazu beigetragen, daß man sich dort in der Durchführung des Staatsbahnsystems beeilte. In Frankreich hat Marschall Mac Ma hon sich entschlossen, einer Forderung der öffent lichen Meinung Genüge zu thun, indem er eine große Anzahl wegen Theilnahme an dem Com mune-Aufstande vom Jahre 1871 verurtheilter Personen begnadigte und zugleich der weiteren gerichtlichen Verfolgung von der Theilnahme an jenem Aufstande verdächtige» Personen ein Ziel setzte. Die Maßnahme ist ein Beweis, daß Buffet's rachsüchtiger Geist auf den Marschall- Präsidenten einen bestimmenden Einfluß nicht übt und die französischen Negierungskreise eine Poli tik der Versöhnung zu befolgen sich anschicken. — Die Kammern stehen unmittelbar vor der Vertagung, doch möchte das Ministerium zuvor noch das Gemeindegesetz und das Gesetz über die Ertheilung der Grade erledigt sehen. Der Widerspruch gegen diese Gesetze geht nicht von der Deputirtenkammer, sondern vom Senat aus. In England nehmen die Interpellationen über die orientalische Frage kein Ende. Aus den Antworten der Minister ist kaum etwas Neues zu entnehmen. Wiederholt wurde con- statirt, daß England in dem häuslichen Streit der Türkei ebenso wie die anderen Mächte die strengste Neutralität beobachten werde. Eng lands Verhalten übrigens ist es zum überwie genden Theile zuzuschreiben, daß Serbien und Montenegro überhaupt wagen, den Krieg zu be ginnen. Blieb England bei seiner ursprünglichen Erklärung, daß es einen Angriff auf die Türkei von keiner Seite dulden werde, so mußten die Fürsten Nikita und Milan wohl oder übel Ruhe halten. Dem englischen Ministerium wurde je TageSqeschichte. Deutsches Reich. Ueber die Nolle, welche die deutsche Industrie auf der Weltausstellung in Philadelphia spielt, hat Professor Reuleaux, Director der Berliner Gewerbe-Academie und Mitglied der Jury, ein vernichtendes Urtheil gefällt. Er schreibt: „Es darf nicht verhehlt werden, es muß sogar laut ausgesprochen werden, daß Deutschland eine schwere Niederlage auf der Philadelphiaer Aus stellung erlitten hat. Unsere Leistungen stehen in der weitaus größten Zahl der ausgestellten Gegenstände hinter denen anderer Nationen zu rück, nur in wenigen erscheinen wir bei näherer Prüfung ihnen gleich, in einem Minimum von Fällen nur überlegen. Leider ist denn auch die Presse, und vor Allem die deutsch-amerikanische, schonungslos über unsere Ausstellung hergefal ¬ len. Jahre lang haben die Deutsch-Amerikaner von den Leistungen gesprochen, Welche Deutsch land, das wiedergeborene, erstarkte, an iMTAg legen werde; mit Stolz haben sie prophezeit, wie ihr ehemaliges Vaterland die übrigen Na tionen, wenn nicht in Schatten stellen, so doch vielfach überflügeln werde. Und nun ist von alledem nichts, vielmehr meistens das Gegen theil geschehen, und darum sind die überführten ehemaligen Freunde nun unsere erbittertsten Gegner und Tadler geworden. Vielleicht sind sie aber dennoch indirect unsere Freunde, indem sie Deutschland öffentlich den Spiegel vorhalten, den ihm seine Freunde in Europa so oft schon in kleineren Kreisen vorzuhalten gesucht, ohne daß ihnen geglaubt wurde. Aber das neue Deutschland ist verwöhnt von seinen Schmeich lern, die Phrase von Deutschlands Bestimmung und Stellung ist ihm so oft ins Gesicht gesagt worden, das Lied seines Ruhmes so oft vorge trillert worden, daß es die Fühlung mit den Forderungen verloren hat, welche ein interna tionaler Wettkanipf an seine Kräfte stellt. Thät- sache ist: unsere Niederlage ist unleugbar. Sie den Landsleuten zu verschweigen oder zu be mänteln, wäre gegen die patriotische Pflicht. Als Quintessenz aller Angriffe tritt der Wahr spruch auf: Deutschlands Industrie hat das Grundprincip „billig und schlecht". Leider hat unsere Industrie wirklich in, Durchschnitt diesen Grundsatz, wenigstens rücksichtslos in seinem ersten Theile und darum als Consequenz in seinem zweiten. Zweiter Satz: Deutschland weiß in den gewerblichen und bildenden Künsten keine anderen Motive mehr, als tendenziöspa triotische, die doch auf den Weltkampfplatz nicht hingehören, die auch keine andere Nation hin gebracht; für die tendenziöse, durch sich selbst gewinnende Schönheit hat es keinen Sinn mehr. In der That, nachdem man uns dies gesagt, beschleicht uns ein beschämendes Gefühl, wenn wir die Ausstellung durchwandern und in unse rer Abtheilung die geradezu bataillonsweise auf- marschirenden Germanien, Borussien, Kaiser, Kronprinzen, Bismarck, Moltke, Roon betrachten, die in Porzellan, in Bisquit, in Bronze, in Zink, in Eisen, in Thon, die gemalt, gestickt, gewirkt, gedruckt, lithographirt, gewebt an allen Ecken und Enden uns entgegenkommen. Und nun in der Kunstabtheilung gar zweimal Sedan! WaS hat die Commission für Kunstwerke sich bei der Annahme dieser Bilder gedacht! Und wieder in der Maschinenhalle: sieben Achtel des Raumes, so scheint es, für Krupp's Riesenkanonen, die da zwischen all' dem friedlichen Werk, das die anderen Nationen genannt haben, wie eine Droh ung stehen! Ist das wirklich der Ausdruck von Deutschlands „Mission"? Muß man nicht den Chauvinismus und Byzantinismus als bei unS in höchster Blüthe stehend annehmen? Zwingen wir nicht die sremden Nationen geradezu zu dieser Annahme? Dritter Satz: Mangel an Geschmack im Kunstgewerblichen, Mangel aN Fortschritt im rein Technischen. Wiederum müs sen wir an unsere Brust schlagen. „Bei allen Nationen, die auf der Ausstellung vertreten sind", sagen die Tadler, „haben wir etwas zu lernengefunden, in Deutschlands nichts!" Hart, aber beinahe ganz wahr!" Der unterirdische Telegraphendraht von Halle nach Berlin ist nunmehr völlig fertig gestellt und bereits einer Probe unterworfen worden, welche sehr befriedigend ausgefallen ist. Wenn die Leitung auch längere Zeit hindurch sich be währt, so soll mit dem Bau unterirdischer Leitun gen fortgesahren werden. Zunächst ist die Ver längerung des Berlin-HaUe'schen Kabels bis Frankfurt ajMain in Aussicht genommen. Da nach soll die unterirdische Leitung bis an die belgische Grenze fortgefübrt werden. Für den Werth solcher Leitungen sprechen folgende Er hebungen: Durch den Sturm in der Nacht vom