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1916. Fortsetzung zur Landtags-Beilage Nr. 43. die Eigenart und den sehr lomplizierten Charakter deS fran zösischen Volkes einigermaßen erkennen zu lernen. Er müsse sagen, daß ihn» die Franzosen ganz unverständlich erschienen, daß sie bei den großen Verlusten, die sie in diesen» Kriege hätten, immer noch saft bis zum letzten Mann de»» Krieg fortsetzen wollten. Aber diese Vorgänge stünden warnend vor seinen Angen, daß Deutschland nicht denselben Weg in. wirtschaftlicher und indu strieller Beziehung gehe, daß nicht in dem Augenblick, wo an Deutschland die Frage herantrete, seine Stellung auf den» Welt märkte zu behaupten, dieses in einer Weise gearbeitet habe, die nachher die Leistnngsfähigkeit ausschließe. Er könne bei» ego istische,» Standpunkt, der vor einiger Zeit durch die Presse ge- gangen sei, und den ein Direktor eines großen Werkes einge nommen habe, nicht teilen, der sage: „Es sei doch die eigene Angelegenheit eines jeden einzelnen Arbeiters, wenn er durch übermäßige Arbeit seine Gesundheit schädige und feine Arbeits kraft einbüße." Er stehe auf dem entgegengesetzten Standpunkte. Es sei nicht Sache des einzelnen Ar- 'beiters, sondern die Erhaltung der Bolkskraft zwinge dazu, wenn ein einzelner Arbeiter länger und über seine Kraft arbeiten »volle, einfach einen Riegel vorzuschieben, den», man schade sich dadurch mehr, als man in diesen» Falle der Industrie nütze. Jetzt sehe man schon auf den Arbeitersekretariaten, daß immer mehr Frauen känien, die sagten, der Arzt habe erklärt, sie sollten sich leichtere Arbeit suchen, die Arbeit wäre zu schwer für sie, oder sie sollten sich eine Beschäftigung suchen, wo sie mehr an der frischen Luft arbeiten könnten. Den ärztlichen Rat in allen Ehren, aber wie die Dinge jetzt lägen, werde jeder wissen, daß das nicht möglich sei. Um so mehr müsse man aber auch auf einen genügenden Arbciterschutz, namentlich für die Arbeiterinnen bedacht sein. Auch eine weitere Klage, die ebenfalls in diesen, Hause eine Rolle gespielt habe, gewinne jetzt immer mehr Raum, und zwar sei es die, daß die Kriegsverletzten darüber klagten, daß selbst bei voller Leistungsfähigkett die Rente, die sie erhielten, auf den Lohn angerechnet werde. Er sei der Meinung, daß es nicht anders gehen »verde, als daß mit Hilfe des § 138 des Bürgerlichen Gesetz buches, das den Verstoß gegen die guten Sitten behandelte, unbedingt in solchen Fällen eingegriffen werden müsse. (Sehr richtig! links.) Bei allen diesen Klagen, die jetzt laut würden, sollte man annehmen, daß es der Gewerbeinspektion wenigstens möglich sei, dafür Sorge zu tragen, daß sie abgestellt würden. Tas sei aber in vielen Fällen bisher nicht der Fall gewesen, namentlich in bezug auf das Uberstuudenwesen. Hier sei einmal zu konstatieren, daß eine ganze Reihe von Betrieben in der Metallindustrie Arbeiterinnen Sonntags und auch Feiertags be- jchäftige und beschäftigt habe ohne überhaupt die behördliche Genehmigung hierzu zu haben. Er sei der Meinung, daß die Gewerbeinspektion anordnen könne, daß nach dieser Richtung hin dafür Sorge getragen werde, daß derartige Zustände nicht mehr vorkümcn. Hierauf geht der Redner des Näheren auf die Überstunden in einem der größeren Betriebe in der Ehemnitzer Metallindustrie ein. Dort hätten die Frauen die ganze Woche bis abends 7 Uhr zu arbeiten, so daß es ihnen unmöglich gemacht »vorder, sei, ihren Verpflichtungen als Mutter und Hausfrau nachzukommen. Die Rücksprache der Gcwerbeinspektion mit dein Direktor habe folgendes Ergebnis gezeitigt in dem folgenden Anschlag: Bekanntmachung. „Wir machen hierdurch bekannt, daß sich Frau verw. Rockstroh, Emilienstraße 21, part., uns bereit erklärt hat, Kinder unserer Arbeiterinnen Sonn abends von 3 bis 7 Uhr nachmittags unter später noch zu ver einbarten Bedingungen bei sich aufzunehmen. Arbeiterinnen, die hiervon Gebrauch machen, wollen sich sofort in, Lohnbureau melder». Die Direktion der Zimmermann-Werke." Er müsse offen gestehen, mit diesen Vorschlägen sei gar nichts anzufaugen. Chemnitz sei doch kein Dorf mehr, sondern eine industrielle Groß stadt, die außerordentlich viel Verkehr habe, und schon daran scheitere die Durchführung des Vorschlags, da man die Kinder ohne Aufsicht nicht sich selbst überlassen und sie nach einem Stadt teil, wo die Fra»» wohne, dirigiere», könne. Es werde weiter darüber geklagt, daß Arbeiterinnen reklamiert worden seien für die Kriegsindustrie, zum Drehe»» von Granaten, die aber gar nicht in Kriegsindustrie beschäftigt würden. (Sehr richtig!) DaS solle beispielsweise in der sächsische», Maschinenfabrik an der Tagesordnung gewesen sein. Ebenso, wie dort auch Soun- und Feiertags ohne behördliche Genchmigung gearbeitet »verde. Er »«eine, diesen Erscheinungen müsse unter allen Umständen nach- gegangen oder vorgebeugt werden. DerAbg. Löbner habe in bezug auf die Uufallverhütungsvorschristen gemeint, man solle in kameradschaft licher Weise aus die Arbeiter einwirken, daß sie die Unfall- verhütungsvorschnften mehr einhielten. Er wundere sich, daß ihm nicht bekannt sein sollte, daß seine Partei bei jeder Gelegen heit Borträge halten lasse, welche die Arbeiter mit allen Unfall verhütungsvorschriften und Einrichtungen vertraut machen sollte»», und daß sie darauf hingewiesen würden, daß sie diese zum Schutze ihres Lebens und ihrer Gesundheit geschaffenen Einrichtungen mich beachten müßten. Abg. Löbner habe hier eine Statistik aus gemacht und dabei bestimmte Prozentsätze herausgerechnet, nach denen die Arbeiter Schutzvorrichtungen nicht eingehalten hätten. Theoretisch sei das ja ganz schön, »vas der Hr. Kollege hier vorgetragen habe, aber die Entlohnung der Arbeiter und Arbeiterinnen sei meistens so gestellt, daß sie ihre Kraft aufs äußerste ausuützcu niüßten. Taran hinderten nun in gewissem Grade die zu ihren, Schutze vorgesehene», Arbciterschutzemrichtungen, und darum hätten sie die weggenommcn, damit sie vorteilhafter arbeiten könnten. Diesen, Zustande sei sofort ein Ende bereitet, wenn den, entsprechend auch die Löhne erhöht würden. Aber bevor das nicht geschehe, bevor in der Hauptsache in der Industrie immer fortgcarbeitet werde nach einem System, das in der Tat auf die äußerste An spannung der Kräfte zugeschnitten fei, folange würden die Borträge, so gut sie von seiner Partei gemeint seien, und alle Hinweise das nicht erreichen, was der Hr. Kollege Löbner hier gewünscht habe. Aus dem von ihn. Gesagten gehe zweifellos hervor, daß der Gewerbeinspektion große Aufgabe», zur Bewältigung zugewiesen seien, und er möchte dabei die Hoffnung aussprechen, daß es ihr gelinge, die ihr zugewiesenen Aufgaben auch zu lösen und sie fruchtbar für die gesamte Volkskraft und für die Allgemeinheit umzulegeu. Soweit die Gcwerbeinspektoren dabei auf die Mit arbeit oder auf die Mithilfe anderer angewiesen seien, hätten so wohl die Gewerkschaften wie auch seine politischen Freunde schon wiederholt ihre Unterstützung zugesagt, und wenn die Möglichkeit geschaffen werde, daß alle Kräfte zusammeuwirkten, dann werde cs auch gelingen, das deutsche Volk auch nach den, Kriege leistungsfähig zu erhalten. Daran liege ja auch, wenn auch in letzter Linie, die Gewähr, daß es seinen Platz auf den, Welt märkte behaupte. (Bravo! links.) Abg. Müller-Zwickau (soz.): Tas Kap. 64 gehöre ja von jeher zu den umstrittensten Kapiteln des Etats, und bei de», Gegensätzen zwischen Kapital und Arbeit und zwischen Unternehmern und Arbeitern sei das auch weiter verwunderlich. Er bilde sich auch uicht ein, daß in ab sehbarer Zeit das anders »verden »verde. Es hätte ihn tatsächlich gewundert, wenn der Hr. Abg. vr. Löbner an den Bericht der Finanzdeputation über dieses Kapitel nichts auszusetzen gehwt hätte. (Heiterkeit.) Abg. vr. Löbner habe zunächst einmal auf die Herausgabe des österreichischen Gewerbeinspektionsbcrichtes hingewiesen und gesagt, es sei eine höchst fragliche Sache, es könne der heimischen Industrie schaden wie der gesamten Volks wirtschaft. Er — Redner — meine, daß die Herausgabe des österreichischen Gewerbeinspektionsbcrichtes eine ganz besondere Stärke beweise und daß die ganz merkwürdige Auf fassung, die in Bundesratskreisen über die Herausgabe des deutscher, Gewerbeinspektionsbcrichts herrsche, einfach nicht zutreffe. Was habe man denn zu verheimlichen? Man könne ganz ruhig die Tatsache», konstatieren, die einmal hier vor handen seien. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) In anderen Ländern sei es nicht anders, dort sei es vielleicht noch viel trostloser, vielleicht noch viel trüber. Also nach dieser Richtm" hin, meine er, könnte mar, die Befürchtung ohne weiteres zurück' weisen. Dann scheine Abg. vr. Löbner im Irrtum über die ge plante künftige Herausgabe des GcwerbciuspektionsberichtcS zu sein. Ter Bericht solle über die Jahre 1914, 1915 und 1916 im Zusammenhänge im Jahre 1917 erscheinen. Er meine, jetzt könnte mit den notwendigen Vorbereitungen dazu schon begonnen sein. Tas sei eine Frage, über die mar, geteilter Meinung sei. Wenn Abg. vr. Löbner ausdrücklich die Vertreter der Arbeiter ermahnt habe, dafür zu sorgen, daß sie in der Er ziehung der Arbeiter hinsichtlich der Beachtung der Unfall vorschriften etwas mehr tun möchten, als sie angeblich bisher getan hätten, so sei zunächst einmal die Frage auf- zuwersen, wo denn die Schuld an der Häufigkeit der Unfall- und auch der Gewcrbekrankheiten liege. Zweifellos in, Arbeitsprozeß selbst. Er behaupte gar nicht, daß die Arbeitgeber jeweilig allein vorwiegend die Schuld trügen, sie liege in dein Drängen, in der Hast und den, Jagen des ganzen Arbeitsprozesses. Man brauche sich nur einmal in eine Fabrik zu stellen, um zu sehen, wie alles vor sich gehe, wie die Arbeiter in keiner Weise »nit- unter in der Lage seien, sich der Unfallschutzvorrichtungen zu be dienen. Die Leute hätten auch gar keine Zeit, vor den Unfall- Vorschriften stehen zu bleiben, um sie sich alle einzuprügen. Was würde eii» Meister oder ein Unternehmer in einer Fabrik sagen, wenn er ein paar Arbeiter oder Arbeiterinnen vor diesen An schlägen stehe»» sähe, die sich bemühten, diese Vorschriften sich ein zuprägen bez. auswendig zn lernen. Dazn sei die Zeit viel zu kostbar für die Arbeiter sowohl wie für die Arbeitgeber. Was der Abg. vr. Löbner über die weibliche Eitelkeit ausgeführt habe, möchte er mit Fug und Recht bezweifeln. Wenn erklärt »vorbei» sei, daß man nach den» Kriege Besseres zu tun habe, daß nach den» Kriege zunächst einmal das Interesse des Unternehmer tums vorwiege — das sei doch deutlich genug zum Ausdruck ge kommen —, dann habe das Unternehmertum auch ein be gründetes Interesse daran, dafür zu sorgen, daß in Verbindung damit auch die Interessen der Arbeiter gewahrt würden. (Zuruf: Das ist doch selbstverständlich!) Es sei in der Deputation schon deutlich genug zum Ausdruck gekommen, daß die Vertreter der Regierung für die Einrichtung eines Landesgcwerbeamtes leii» Interesse hätten, aus den, einfachen Grunde, weil, wie sich die Herren jeweilich summarisch anszudrückeu pflegten, ein Bedürfnis dazu nicht vorliege. Ihm erscheine dieser Standpunkt tatsächlich unverständlich. Er könne nur das Hans persönlich ersuchen, den hier in Frage kommenden Anträgen möglichst einstimmig bei- zutreten. Abg. vr. Löbner (nl.) tritt in» Sinne seiner ersten Ausführungen einigen Mißverständ nissen entgegen, die durch die Ausführungen zunächst des Abg. Heldt entstehen könnten iirsbesondere in bezug auf die Heraus gabe der Gewcrbeinspcktionsberichte, uud geht daun überhaupt kurz auf die Ausführungen des Abg. Heldt und des Abg. Müller- Zwickau näher ein. Nach dem Kriege kämen Zeiten, wo man sich ganz ruhig über diese Fragen unterhalten könne. Aber so dring- lich sei die Umgestaltung der Gcwerbcinspektionsorganisation jetzt nicht. (Bravo!) Damit ist die Debatte geschlossen. Der Hr. Bericht- erstatter verzichtet auf das Schlußwort. Nach einer per sönlichen Bemerkung der Abgg. Heldt (soz.) und vr. Löbner (nl.) wird zur Abstimmung verschritten. Der Antrag unter 1 und III wird einstimmig, der Antrag unter H, 1 gegen 17 und unter II, 2 gegen 16 Stimmen angenommen. Damit ist die heutige Tagesordnung erledigt. (Schluß der Sitzung 8 Uhr 50 Minuten nachmittags.) Druck von V.G. Teubner in Dresden.