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Mage M Ur. 119 -es Frankenberger Uachrichtsblattes 1871. --Ü-. .. . ——— > > > , - - , Verhängnisse. Von Friedrich Gerstäcker. (Fortsetzung.) George gab sich dabei ernstliche Mühe, mit sei nen Kameraden an Bord in Frieden zu lebe», und leicht wurde ihm das wahrlich nicht gemacht, denn eö war roheS und aus allen Schichten der Gesell schaft zusammengewürfeltes Volk. Konnten sie doch auch an Bord eines Wallfischfängers eben AlleS brauchen, was dorkam, und mußten es sogar neh me», wo sie eS bekamen, denn wirkliche und an ständige Matrosen hüten sich wohl, in einem sol chen Geschäft zu fahren. Abenteuerliches Volk war deshalb da zusammengewürfelt, eine bunte Gesellschaft von allen nur erdenklichen Charakteren, wie sie kaum Irgendwo in der weiten Welt ein so enger Raum wieder vereinigen möchte. Die Offiziere, Harpuniere und Voolsteucrer blie ben davon allerdings ausgenommen, denn diese folgten ihrem Beruf; Schmied, Böttcher und Zim mermann gehörten ebenfalls ihrem Handwerk an, und sechs oder acht der übrigen Mannschaft konn ten als wirkliche Matrosen gelten. Außerdem hatte man mit George an dem nämlichen Abend noch etwa ein Dutzend Burschen eingeliefert bekommen, die wohl nie in ihrem Leben vorher ein Segel schiff von innen gesehen, außer möglicherweise als Passagiere auf der Ueberfahrt. Ein halb Dutzend Irländer, die man trunken auf der Straße aufge- lesen, ein paar Deutsche, die, der englischen Sprache noch nicht mächtig, in die ihnen von einem gefäl ligen Landsmann gelegte Schlinge reichen Verdien stes gegangen waren, ein Dutzend Neger von jeder Schaltirung, junge Kaufleute und Handwerker und was Alles sonst. Klang es doch in den Ohren Vieler au ßerordentlich verlockend, daß daS Fahrzeug nur elwa ein Jahr oder so zwischen den herrlichen Inseln der Südsee herumfahren und ^abei Fische fangen solle, und daß sie ihren Theil des Gewinnstes davon ab bekämen. Wie wenig dabei für den gewöhnlichen Matrosen übrig bleibt, davon hatten sie natürlich keine Ahnung — und ebensowenig, welch' schwerer Arbeit und Zeit sie dabei entgegengingen und wie sie balv von Hitze, bald von Kälte zu leiden haben würden. Mit keiner besonders lohnenden Beschäf tigung gerade lockte sie das abenteuerliche Leben an — sie wollten, wie sie meinten, einmal „die Welt sehen", und daß ein Wallfischfänger dafür der unglücklichste Platz ist, konnten sie sich ja nicht denken. George hielt sich von allen Diesen so fern als ir gend möglich und sprach — in der ersten Zeit be sonders — fast mit Niemandem. Er that seine Arbeit, ja, um sich keinen Rohheiten auszusetzen, konnte aber sonst, wenn er die „Wacht zur Koje" oder Ruhezeit hatte, Stunden lang vorn am Bug des Fahrzeugs sitzen und in die weite öde See hi- nausstarren. Oh wie schwer war ihm dabei das Herz — wie furchtbar schwer — und während er im Geist bei der Geliebten weilte, die daheim um ihn trauerte, erfaßte ihn selber ein unsagbares Weh und er hätte vergehen mögen in Gram und Kummer. Ein paar der Leute, die den Gefühlen eines Kameraden an Bord eines Wallfischfängers wahr lich keine Rechnung trugen, wollten ihn seines ewi gen Brütens wegen necken, und so lange sie das nur mit Worten thaten, ließ er sie ruhig gewähren und achtete ihrer nicht; als sich Einer von ihnen aber — ein rauflustiger Ire, der fich über den schweigsamen und stillen Menschen är gerte — einmal an ihm vergriff, indem er ihn aus dem Wege stieß, zerschlug ihn George, der die Kunst der Selbstvertheidigung aus dem Grunde verstand, dermaßen, daß er ihm von da an nie wieder zu nahe kam, und dadurch Halle er sich zugleich auch bei der übrigen Mannschaft in Re spekt gesetzt. Der Ire war bis dahin der soge nannte bull^ deS Schiffs gewesen, der im Vorcastle dominirte und keinen Widerspruch duldete. Dadurch aber, daß ihn der wohl nicht so starke, aber dafür so viel gelenkere junge Mann vollständig warf und besiegte, verlor jener das nur durch seine Fäuste behauptete Uebergewicht, und an George selber wagte sich Keiner wieder — wie er selber auch Keinem Ursache gab, fich über ihn zu beklagen. Trotzdem konnten ihn Viele an Bord nicht leiden, weil er ihnen zu vornehm uud „stolz" erschien und nie auf ihre meist rohen Späße einging. Der Zimmermann besonders, der als eine Art von Offizier des Vorkastells auf allen Schiffen gilt, haßte ihn und deshalb gerade nahm wohl manch mal der Böttcher, der den Zimmermann wieder nicht leiden konnte, seine Partei, ohne fich aber auch weiter mit ihm einzulassen, denn als „Bött cher" durfte er natürlich seiner Würde einem gemei nen Matrosen gegenüber nichts vergeben. Der Einzige nur an Bord, der wirklich eine Zuneigung zu ihm gefaßt zu haben schien, — wenn auch allein aus eigennützigen Gründen — war der Koch, ein wunderlicher und eigentlich für ei nen Koch recht schmieriger Patron. An Bord na türlich wurde er immer Doktor genannt, mußte aber früher jedenfalls bessere Zeiten gesehen haben und war, wie sich später heransstellie, auch nur durch den Trunk so heruntergekommen. George aber hatte seit jenem Abend, der ihn unglücklich gemacht und in diese furchtbare Lage gebracht, das Trinken, ja selbst den mäßigen Genuß des Brannt weins vollständig abgeschworen, und da er seine ihm zukommende Ration an Grog, d. h. Rum und Wasser, regelmässig dem Koch überließ, so ge wann er dadurch — ohne anfangs freilich das geringste Gewicht darauf zu legen — dessen Freund schaft. Wenn er manchmal Nachts seine Wacht als Ausguck vorn auf der Back hatte, oder auch in einer Ruhezeit dort saß und vor sich hinbrütend in die See hinausstarrte, dann kam der Koch auch dorthin, setzte sich neben ihn und suchte — anfangs freilich lange vergebens — ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, denn George liebte es nicht, in seinen Träumen gestört zu werden. War es doch auch die einzige Zeit, in der er sich der Erinnerung an daS Verlorene voll und ganz hingeben konnte. Er ließ deshalb den Koch auch ruhig die Unter haltung allein führen, bis er einmal zufällig aus fand, daß der Mann mehr von der Seemannskunst verstand, als man hinter einem Koch hätte suchen ollen. WaS hatte er sich selber früher um die Sterne bekümmert, die vom Himmel niederleuchteten! — Sein einziger Stern auf Erden war nur allein eine Jenny gewesen, und überhaupt etwas schwär, tierischer, träumerischer Natur, liebte er wohl den Mondenschein und die blitzenden Gestirne, aber rüg nie nach ihrem Lauf und Stand. Der alte Koch wußte desto besseren Bescheid da rin. Er zeigte ihm zuerst daS südliche Kreuz, das über ihnen jetzt schon hoch am Himmel stand, und George fand bald heraus, daß er nach der Stel lung und Höhe desselben ziemlich genau wenig. tenS den Breitengrad anzugeben wußte, auf dem le fich befanden. Der Kapitän nämlich «heilte der Mannschaft nie seine täglich genommene Observa- tion mit, und die Sache wurde sonderbarerweise immer als Geheimniß behandelt. Die Längengrade konnte der Koch ohne Chro- nometer und Instrumente natürlich nicht angeben, und es war deshalb unmöglich, zu bestimmen, wie weit sie fich von der amerikanischen Küste befanden, aber selbst die Breite blieb doch gewißermaßen ein Anhaltspunkt, und dieser nach mußten sie fich jetzt etwa, wie der Koch meinte, auf der Höhe der Falk lands-Inseln befinden. ES war auch möglich, daß ver Kapitän dort anlandete und fich überhaupt eine Zeitlang in deren Nähe aufhielt, denn eS gab dort herum zu manchen Jahreszeiten ziemlich viel Wallstsche und einzelne Fahrzeuge hatten schon gu ten Fang gemacht. George hatte denn auch schon von dem Koch, wie er fich nur erst einmal in ein Gespräch mit ihm einließ, bald erfahren, daß er selber früher wirklicher Seemann und sogar Kapitän gewesen sei. Durch Unglück aber war er heruntergekommen — sein Schiff scheiterte in einem Sturm an einer der Molukken, der Steuermann, der selber gern Kapitän werden wollte, verleumdete ihn später bei dem Rheder, einem New-Uorker HandlungshauS, Baring, SimmS u. Co. — er bekam, nach Hause zurückgekehrt, kein Schiff wieder und mußte auf- Neue als Steuermann fahren. Dadurch aber er bittert, ergab er fich — wie er ganz offen einge- stand — derart dem Trunk, daß er niehr und mehr herunterkam, bis er es jetzt endlich zum Koch auf einem Wallfischfänger gebracht hatte — „ein so elendes Brod," wie er hinzusügte, „wie es fich ein Mensch wohl auf deS lieben Herrgotts Wasser nur wünschen könne." Baring, SimmS n. Co. — wunderlicher Zu fall, wie er manchmal die Menschen auf der Welt zusammenwürfelt: das war die alte Firma von seines Vaters jetzigem Geschäft, und George gab es einen ordenllichen Stich durch's Herz, als er die bekannten Namen nennen Hörle. Baring, SimmS u. Co., und er, der Theilha- ber der Firma, eines der geachtelsten Geschäfte New-Uorks, befand sich als gemeiner Matrose an Bord eines Wallfischfängers und schwamm — Allem entführt, was ein Mensch nur auf dieser Welt er streben kann — der Südsee entgegen. — Im er sten Augenblicke drängte eS ihn auch, den Koch zu seinem Vertrauten zu machen — aber war nicht der gerade von der Firma vielleicht ungerecht behandelt und dadurch daS geworden, was er jetzt war: ein Diener, wo er früher als Herr befehlen durste? und mußte er nicht fürchten, auch dessen Haß dadurch auf sich zu ziehen? Es war besser, er schwieg, — was hätte ihm der Koch auch nü tzen — höchstens ihm das traurige Leben an Bord noch mehr verbittern können. (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. Trotz deS Krieges schließt der BunbeShauS- haltS-Eta« pro 1870 nach Berücksichtigung aller lür diese RechnungSperiode bereits nachgrwirse- nen oder in der Reftvelwaltung noch zu erwar tenden Ausgaben mit einem Ueberschuß von reiu l,092,190 Thlr. ab. Dieser Ueberschuß ist hauptsächlich aus den Mehreinnahmen an Zöl- len und Verbrauchssteuern erzielt, Vie sich tnS, gesammt auf 2,046,420 Thlr. belaufen; Rüben zucker allein ergab »Heils in Folge der am t. Septbr. 1869 eingetretenen Erhöhung des Steuer« latzeS, theilS in Folge der günstigen Rübenern- len in den Jahren 1869 und 1870, ein Mehr von 1,878,153 Thlr. Dem Gesammtbetrage ver Mehreinnahmen non 2,014,284 Thlr. stehen Mehrausgaben in Höhe von 992,924 Thlr. ge genüber, darunter die Kosten für die Rinderpest allein mit 844,893 Thlrn. Der Ueberschuß wird zunächst zur Deckung deS bei der Telegra phen-Verwaltung seit dem Jahre 1868 ausge- aufenen DeficiiS von zusammen 341,780 Thlr., weiches bisher als Vorschuß gebucht werden mußte, verwandt werden, was nalürlich nur auf dem Wege der Gesetzgebung möglich ist. Mit Ablauf deS jetzigen JahreS zählt die lemiche Reichsmarine: a. an Panzerschiffen: 7 mit zusammen 77 Geschützen, 4800 Pferde raft; b. an Schraubenschtffen: ein Linienschiff, 5 gedeckte Schraubencorvmen, 5 GlattveckScor- vetten, 7 Avisos, 22 Dampfkanmitnboote, 1 TranSporidampfer, mit zusammen 288 Geschü-